Heute möchte ich über das Klosterleben schreiben. Gestatten Sie mir einen persönlichen Zugang. Erstmals kam ich damit im Alter von nicht einmal 8 Jahren in Berührung:
Die Wand einer einsamen Klosterkirche. Unten das Portal, aber ohne Tür. Darüber schlank aufschließend ein wunderschönes gotisches Fenster mit filigranem Maßwerk. Es muss eine gewaltige Kirche gewesen sein. Aber jetzt ist nur noch dieses riesige Ruinenstück da. Ich stellte mir vor: Ein prächtiger Altar war da. Fenster über Fenster. Ein hoch in den Himmel aufragendes Dach. Und natürlich Türme muss es gegeben haben! Und ein großes Glockengestühl. Türme waren mir als Kind extrem wichtig. Verspielte, möglichst hohe Türme wie der Kölner Dom! Und prächtiges Geläut. Aber hier: nur eine Ruine! Bizarr schöne, aber tote Eichenäste um sie herum. Sie ragten in den warm leuchtenden Abendhimmel. Nachtdämmerung. Mönche sind nur schattenhaft zu sehen. Sie tragen im Dämmerdunkeln den Sarg eines verstorbenen Bruders in die Ruine.
Abtei im Eichenwald. Gemalt von Caspar David Friedrich. Ein Kloster, das es so nie gegeben hat. Eine Ruine dieses Klosters, die es so nie gegeben hat. Für Caspar David Friedrich verband sich damit sein künstlerischer Durchbruch. Der preußische König erwarb dieses Gemälde. Das sprach sich herum. Für mich als Kind gab es dieses Kloster wirklich. Als Bild auf einem Plattencover – Schuberts Unvollendete Sinfonie innen. Aus der Plattensammlung meiner Eltern. Inzwischen blass geworden, bleibt es ein Lieblingsstück. Stets griffbereit.
Dieses Kloster – es hat mich nie losgelassen – auch diese Sinfonie nicht, eine Unvollendete. Schubert schrieb in den Tagen, als er die beiden Sätze dieser Sinfonie komponierte, an einen Freund: "Du, ich kann nirgendwo hinkommen, ich habe GAR kein Geld, und es geht mir überhaupt sehr schlecht. Ich mache mir nichts draus und bin lustig." Was für eine Kombination: Schlechtester Zustand … und sich nichts draus machen und lustig sein. Wie kann das angehen? Wie kann auch das andere angehen: Eine so gewaltige Klosterkirche – wie konnte sie zu einer Ruine werden? Faszinierend und furchtbar zugleich.
Klosterrealitäten – damals und heute
"Furcht ist nicht in der Liebe". Auch diese Worte aus dem 1. Johannesbrief – ein gewaltiger Anspruch verbindet sich mit ihnen. Turmhoch. Ein weit über die Landschaft der Alltagswelt aufragender Turm. Und ein prächtiges Glockengeläut in ihm, persönlich, für die Kirche, aber auch für die Welt. "Furcht ist nicht in der Liebe!"
Diese Worte – sie sind auch in eine Zeit hineingesprochen, als die Menschen vor Ruinen standen. Komplett unsichere Zeiten damals. "Die ganze Welt liegt im Bösen, im Argen", fasst Johannes am Ende seines Briefes zusammen. Komplett illusionslos dabei. Verfolgungen, Flucht, Mord und Totschlag – das Christentum war gerade entstanden und schon vollständig in Frage gestellt.
Es darf die Prognose erlaubt sein, zu sagen: Diese geistlichen Orte bleiben in ihrer Eigenart elementar für den christlichen Glauben, quer durch alle christlichen Konfessionen hindurch.
Nun aber die Lage der Klöster, der Orden, der Kommunitäten heute. Als ich in den späten 1980er Jahren in Rom studierte, waren sie immer noch und immer wieder wichtige und starke Orte für die katholische Kirche – originelle, markante, geistlich eigensinnige Türme des geistlichen Lebens. Viele Abteien – noch vor Jahrzehnten quicklebendige Umschlagplätze von katholischer Kultur und geistlichem Leben: Sie sind dieser Tage in Frage gestellt, weil es an Nachwuchs fehlt.
Es darf die Prognose erlaubt sein, zu sagen: Diese geistlichen Orte bleiben in ihrer Eigenart elementar für den christlichen Glauben, quer durch alle christlichen Konfessionen hindurch. Im Geiste von Franz Schubert und seiner Unvollendeten, der feststellen musste, dass gar nichts mehr geht, aber zugleich sich daraus nichts zu machen und lustig zu sein und darüber ungemein produktiv zu werden.
Sehnsucht nach starken Orten
Dieses Kloster auf dem Plattencover – das gibt es nicht mehr. Und das hat es nie gegeben! Aber wie wäre es, damit all die Orte vor dem geistigen und geistlichen Auge präsent werden zu lassen, die wirklich da sind, die nicht nur Bilder sind, sondern Kirchen und geistliche Orte, die in einer Tradition von Jahrhunderten eingebettet sind in der jeweiligen Landschaft, die sie oftmals kultiviert haben und auf die sie ausstrahlen.
Oftmals himmelaufragende Chorfenster da, Maßwerk, Türme auch, aber die zumeist nicht zu protzig, oftmals freche Dachreiter, mit einer in den Himmel sausenden Turmspitze, und ein Geläut in ihnen. Kreuzgänge, Kapitelsäle, Johanniskapellen, Räume der Konzentration und Einkehr. Starke Orte.
"Furcht ist nicht in der Liebe!" – Die Klöster, wenn es in ihnen vital zugeht, verkörpern diesen Gedanken, als Herbergen Gottes, Orte Gottes, seinem mitmenschlichen Optimismus gewidmet, der uns wissen lässt: "Fürchtet euch nicht!", der uns wissen lässt, Furcht und Liebe schließen sich aus. Sie sind, so die steile Behauptung des Johannesbriefes, absolut unvereinbar.
In diesen Tagen mehrt sich die Zahl derer, die klösterlich früh aufwachen und nicht mehr einschlafen können, weil ihnen die Furcht auf die Bettdecke krabbelt.
Das kommt, so steht zu befürchten, für unsere menschliche Liebe allerdings kaum hin. Im Gegenteil. Gerade wenn wir Menschen intensiv lieben, kommt da, wo wir lieben, Furcht auf. Die nicht zu bändigende Furcht vor dem Tod eines geliebten Menschen, der schwer erkrankt ist. In diesen Tagen mehrt sich die Zahl derer, die klösterlich früh aufwachen und nicht mehr einschlafen können, weil ihnen die Furcht auf die Bettdecke krabbelt, dass der Krieg in Europa mit seinen brutalen Streubomben und Drohnenfratze auch die Menschen ereilt, mit denen sie Tisch und Bett teilen.
Provokativ Unvollendete
"Furcht ist nicht in der Liebe?" Zugegeben: Es wäre unmenschlich, das von unserer mitmenschlichen Liebe zu fordern. Das ist am Ende auch nicht der springende Punkt für den ersten Johannesbrief. Sein springender Punkt ist wohl dieser: Gottes besondere Liebe verträgt sich nicht mit Furcht. Warum? Weil Gottes Liebe die Energie hat, die Dämonen der Furcht, die Tag für Tag von uns Besitz ergreifen, auszutreiben. Jesus Christus, sein ganzes Leben lang bis in den Tod hinein ist er unterwegs, um die lebenszerstörerische Furcht auszutreiben, die die Welt und uns fertig macht. "Furcht ist nicht in der Liebe".
Gottes Abteien und Klöster werden so die provokativ Unvollendeten in der Kirchenlandschaft dieser Tage.
Die Klöster und Abteien – sie sind Orte, können wieder zu Orten werden, in denen diese besondere Liebe, die Gott selbst ist, durchbuchstabiert wird: im monastischen Leben, in Gesprächen, in Stundengebeten, in der Musik, in diversen Formen geistlicher und weltlicher Gestaltung im Zusammenspiel von ora et labora.
Mit der Liebe Gottes gemeinsam die Dämonen der Furcht austreiben – es gilt, mit aller ökumenischen und geistlichen Kraft auszuschwärmen! Mit der Kraft der Durchlüftung jener Worte, die da lauten: "Furcht ist nicht in der Liebe" Gott, so selbst die Herberge sein lassen – und eine Gastfreundschaft wirken lassen, die geistreich ist, weil sie von Gottes Geistesgegenwart zehrt. Gottes Abteien und Klöster werden so die provokativ Unvollendeten in der Kirchenlandschaft dieser Tage.