Die französische Kirche ist derzeit ein beliebtes Gesprächsthema. Grund ist kein Skandal, sondern der unerwartete Zuspruch. Seit mehr als zehn Jahren nimmt die Zahl der Erwachsenentaufen zu, 2025 erreichte sie einen Rekord: In der diesjährigen Osternacht ließen sich über (vorwiegend junge) 10.000 Erwachsene taufen und 7.400 Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren. Ausgerechnet in dem durch den Laizismus stark säkular wirkenden Land wird der katholische Glaube neu entdeckt.
Wahrscheinlich verdanken sich die Zahlen einer Pluralität von Faktoren und Entwicklungen in der individuellen Lebensgeschichte – und nicht zuletzt dem Wirken des Heiligen Geistes. Es wäre verkürzt, sie monokausal erklären zu wollen. Nichtsdestotrotz hatte ich während meines Auslandsjahrs in Paris den Eindruck, dass der Zielgruppe der jungen Erwachsenen dort besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, und das könnte natürlich einen Einfluss auf das erstarkende Interesse am Glauben haben. Als Beispiel möchte ich ein konkretes Projekt einer Ordensgemeinschaft vorstellen, das für meine Begriffe viel richtig macht.
Das soziale Engagement ist also in einen spirituellen Rahmen von Gebet und geistlicher Begleitung eingebettet. Ein vergleichbarer Ansatz ist mir – bisher! – in Deutschland nicht begegnet.
Das Angebot heißt "Fraternité Damien" und bietet die Möglichkeit, sich sozial zu engagieren – aber nicht allein, sondern als Teil einer Gruppe. Dabei wird man professionell begleitet, kann sich austauschen und das Ganze geistlich fundieren. Das soziale Engagement ist also in einen spirituellen Rahmen von Gebet und geistlicher Begleitung eingebettet. Ein vergleichbarer Ansatz ist mir – bisher! – in Deutschland nicht begegnet. Dass im Zentrum das soziale Engagement steht, setzt nicht nur den Kernauftrag einer diakonischen Kirche um, sondern dürfte auch bei jungen Menschen gut ankommen. Die jüngeren Generationen wachsen mit unzähligen Herausforderungen und Krisen auf. Viele von ihnen haben den Impuls, die Welt von morgen anders zu gestalten.
Zunächst wird geschaut, welches Engagement zu einem selbst passen könnte. Zur Wahl stehen bestehende Initiativen, die sich beispielsweise für obdachlose oder behinderte Menschen einsetzen. Es wird also nicht versucht, etwas Neues ins Leben zu rufen, das möglicherweise auf Anfangsschwierigkeiten stoßen oder wieder einschlafen könnte. Stattdessen erhalten bewährte Hilfsorganisationen tatkräftige Unterstützung. Der Prozess wird spirituell verstanden und so gehört ein Einzelgespräch mit dem geistlichen Begleiter fest dazu. Mit der Suche nach einem passenden Einsatzort nicht allein zu sein, kommt jüngeren Menschen entgegen, die oft die Last spüren, für ihr Leben verantwortlich zu sein, und Respekt vor Entscheidungen haben.
Ob man sich wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich zur Verfügung stellen will, hängt von jedem Einzelnen ab. Dieser Wesenszug passt sehr gut in den schnelllebigen Alltag, in dem viele nur wenig Zeit haben. Lebensklug ist auch das Charakteristikum, dass in jeder Organisation mindestens zwei Personen aus der "Fraternité" sind. So kann jemand Neues gut Anschluss finden und man kann sich untereinander über Erfahrungen und mögliche Herausforderungen austauschen.
Die feste Basis der Gruppe ist ein monatliches Treffen am Freitagabend, das mit einer eucharistischen Anbetung beginnt. Besonders berührend war für mich, wenn die verschiedenen Mitglieder in die Stille hinein die Namen derer nannten und so vor Gott brachten, für die sie sich engagieren.
Das Schlichte ist ansprechend und glaubwürdig
Nach der Gebetszeit gibt es Essen in Form eines repas partagé, die französische Variante von bring and share. Gemeinsames Essen stiftet Gemeinschaft und bietet eine ungezwungene Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese bodenständige Art, dass jeder etwas beisteuert und alle teilen, ist nicht nur wirklich sympathisch, sondern passt auch gut zu einer Kirche mit der entsprechenden Botschaft. Für die Atmosphäre würde ich mir öfter einmal ein repas partagé bei kirchlichen Treffen wünschen. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass das ganz einfach geht und man dafür wenige der gewohnten Strukturen und Gelder braucht – vielleicht ist sogar gerade das Schlichte und Einfache für junge Menschen heute ansprechend und vor allem glaubwürdig.
Der dritte Teil des Abends ist ein geleiteter Austausch über das eigene Engagement und damit in Verbindung stehende Themen, zum Beispiel mithilfe eines Impulses aus der Bibel.
Die "Fraternité Damien" ist Teil des jugendpastoralen Angebots einer Ordensgemeinschaft, die in Deutschland wenig bekannt ist: der Kongregation von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens, nach dem Quartier Picpus, wo sie sich in Paris niedergelassen hat, auch Picpuciens genannt.
Namensgebend ist ein beeindruckender Heiliger des Ordens, Damian von Molokai (1840–1889). Der belgische Ordenspriester ließ sich auf eigenen Wunsch auf die Insel Molokai versetzen. Ein besonders schlecht erreichbarer Teil dieser hawaiianischen Insel war 1866 zur Quarantänestation für Leprakranke erklärt worden. Er kümmerte sich um die erkrankten Menschen, die zuvor ohne medizinische Hilfe leben mussten, infizierte sich selbst und verstarb vier Jahre nach der Diagnose. Heute wird er als "Apostel der Leprakranken" verehrt. In seiner Biografie verdichtet sich ein Grundzug, der für viele Zeitgenossen für die Kirche leitend sein sollte: das zu tun, was man predigt; nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.
Angesprochen sind nicht nur Studentinnen und Studenten, sondern auch jeunes pros. Die Abkürzung für jeunes professionnels, also junge Berufstätige, steht in Frankreich für die Zielgruppe der Anfang 20- bis Mitte 30-Jährigen und meint keinen sozialen oder beruflichen Status. Nicht nur durch das Beispiel der Fraternité Damien, sondern überhaupt hatte ich den Eindruck, dass es für sie deutlich mehr Angebote gibt. Anders als in einer Hochschulgemeinde stehen nicht nur Angehörige der Universität im Fokus, sondern auch Auszubildende oder Berufsanfänger, die vielleicht neu für den Job in die Stadt gezogen sind und sich umso mehr über niederschwelligen Anschluss freuen.
Besonders faszinierend an der Gruppe war für mich die selbstverständliche Verbindung von Spiritualität und Engagement. Immer wieder wird konservativen oder charismatischen Jugendlichen vorgeworfen, sich nicht sozial zu engagieren, während diese wiederum liberaleren Zeitgenossen das geistliche Leben absprechen. Die "Fraternité Damien" zeigt, wie beides hervorragend verbunden werden kann. Ich habe mir fest vorgenommen, irgendwann einmal eine deutsche Version davon auszuprobieren und eine vergleichbare Gruppe ins Leben zu rufen. Einmal im Monat trifft man sich für Gebet, Essen und Austausch. Darüber hinaus engagiert sich jeder an dem Ort, an dem es für ihn am besten passt – sei es in einem Pflegeheim, bei einem Deutschkurs für Geflüchtete oder bei der Tafel. Für das gemeinsame Essen würde ich mit Baguette, Käse und Couscoussalat vielleicht sogar etwas mehr als nur das Konzept aus Frankreich importieren.