Esther kehrt zurückEdith Steins Theaterstück "Nächtliche Zwiesprache"

1941 schreibt Edith Stein ein Theaterstück für ihre Karmelitinnen – eine Begegnung der Priorin mit der alttestamentlichen Esther. In eindringlichen Versen zeigt sie den Schwestern ihren Weg des Widerstands: das Gebet, das Kreuz, die stille Hingabe. Ein literarisches Zeugnis von großer Tiefe und prophetischer Kraft.

Artemisia Gentileschi (1593–1653): Esther vor Ahasver
Artemisia Gentileschi (1593–1653): Esther vor Ahasver© gemeinfrei/Wikimedia Commons

Edith Stein, Sr. Teresia Benedicta a Cruce, 1891-1942, eine vor allem als Philosophin, Karmelitin und Märtyrerin in Auschwitz bekannte jüdisch-stämmige deutsche Heilige, war zudem eine ausgezeichnete Schriftstellerin. Sie hatte ein außergewöhnliches Talent, mit Worten umzugehen, was sich neben allen philosophischen Arbeiten und geistlichen Schriften in den vielen Gedichten, Übersetzungen liturgischer und theologischer Texte, ihrer Autobiografie und nicht zuletzt in fünf von ihr geschriebenen Theaterstücken ausdrückt. An dieser Stelle wird das kleine, sehr beachtliche Theaterstück Nächtliche Zwiesprache etwas beleuchtet, das sie 1941 im Echter Karmel anlässlich des Namenstages der Priorin schrieb und das von den Schwestern im Karmel in der Rekreation aufgeführt wurde. Edith Stein war sehr feinfühlig und aufmerksam für gesellschaftliche Strömungen, sodass sie recht unverhüllt 1941 nicht nur vor den offensichtlichen Gefahren des Nationalsozialismus warnte – musste sie selbst doch aus Deutschland fliehen! –, sondern auch die "Lösung" im Kampf gegen das Böse ihren Mitschwestern vorschlägt: Die einzige Hoffnung liegt im Kreuz, in der Annahme des Kreuzes Christi als Mitwirken an seiner Erlösung der Menschen.

Die Nächtliche Zwiesprache ist eine Begegnung zweier Menschen, der Mutter Priorin, und – wie sich nach anfänglichem Rätseln herausstellt – der alttestamentlichen Königin Esther ("eine weibliche Gestalt, nach Pilgerart gekleidet"), die ihr in ihrer Zelle erscheint. Das kleine Stück hat einen dunklen, ernsten Ton, in welchem sich die Bedrängnis atmosphärisch zuspitzt. 

Die Königin Esther, die von der Priorin zunächst für die Gottesmutter Maria gehalten wird, da es zwischen beiden eine Bluts- wie auch Schicksalsverwandtschaft gibt, berichtet von ihrer eigenen Aufgabe, vor dem König, ihrem Gemahl, für die verfolgten Juden einzustehen, aus deren Volk sie genommen wurde:

"So kam der Tag, da ich dem König nahte,
Um vor dem Todfeind Rettung zu erfleh'n.
An seinem Blick hing Leben oder Tod"

Sie berichtet ebenfalls von der Errettung durch den Herrn:

"Darauf der Herr der Herrn, vor dem verbleicht
Der ird'schen Herrscher eitle Herrlichkeit.
Er selbst, der Ewige, neigt’ sich hernieder,
Und Rettung meines Volks verhieß Er mir. […]
So hat aus Hamans Hand der höchste Herr durch Esther, seine Magd, sein Volk befreit."

Der Grund für Esthers Wiederkehr in diesem Stück ist ein aktueller und sehr bedrängender im Jahr 1941. Edith Stein lässt die Mutter Priorin sagen:

"Und heute hat ein and'rer Haman ihm [dem Volk Israel]
In bitt'rem Haß den Untergang geschworen.
Ist’s darum wohl, daß Esther wiederkehrt?"

Es darf hier angemerkt werden, dass es einigen Mut benötigte, den "neuen Haman" offen zu benennen, auch wenn das Stück ursprünglich nur für die Schwestern intern gedacht war. Esther erklärt daraufhin, dass sie von Maria, der Mutter Gottes, geschickt sei, auf der Erde umherzupilgern und Seelen zu suchen, die ihr beten helfen, dass die Seinen den Herrn aufnähmen, damit Sein zweites Kommen geschehen könne:

"Eh' noch Elias sammeln kommt die Seinen,
Geht durch die Länder still der Gute Hirt.
Aus Abgrundtiefen holt er da und dort
Ein Lämmlein, birgt’s an seinem Herzen.
Und immer folgen and're ihm dann nach."

Die Mutter versteht ihre Botschaft. Wie Esther einst Wegbereiterin für das erste Kommen des Herrn war, sollen auch heute Seelen berufen werden:

"Ihr Volk, das deines ist: dein Israel,
Ich nehm' es auf in meines Herzens Herberg’.
Verborgen betend und verborgen opfernd
Hol’ ich es heim an meines Heilands Herz."

Denn wie selbstverständlich gehört für Edith Stein das Volk Israel zur unsichtbaren Kirche, in welcher sie die wesentliche Kontinuität zwischen dem Alten und dem Neuen Bund verwirklicht sieht. Sie betont die bleibende Bedeutung des Volkes Israel in der Heilsgeschichte – ein gar nicht selbstverständlicher Gedanke im Jahr 1941. Sie lässt die alttestamentliche Esther sagen:

"Ich sah aus meinem Volk die Kirche wachsen, ein zart erblühend Reis, sah als ihr Herz die Unbefleckte, Reine, Davids Sproß. Ich sah aus Jesu Herz herniederfließen die Gnadenfülle in der Jungfrau Herz, von da fließt zu den Gliedern des Lebens Strom."

Die Lebensquelle ist das Herz Jesu, welches durch das Volk Israel fließt und über die Jungfrau Maria in die Kirche und die Welt. Es ist ein immer wiederkehrender Gedanke Edith Steins, dass die Kirche, ja die ganze Welt, von einem verborgenen, unsichtbaren Strom von Gebeten von gottverbundenen Seelen getragen wird. Sie wird dies auch als ihre eigene Lebensberufung erkennen und annehmen – bis in den von ihr im Vorhinein freiwillig angenommenen Tod. Es gibt bis heute einige Diskussionen um die Frage, ob es rechtens sei, Edith Stein als christliche Märtyrerin zu feiern, da sie doch aufgrund ihres Jüdisch-Seins nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort umgebracht wurde. Beide Seiten haben nachvollziehbare vernünftige Positionen, ihre eigene Deutung jedenfalls ist unbestreitbar: Sie sieht in ihrem Tod das Kreuz Christi. In dem hier vorgestellten Theaterstück wird das auf besondere Weise – eben literarisch – deutlich.

Sie vertraut darauf, dass Gott ihr Leben als Sühnopfer für alle angenommen hat, wie sie 1938 an eine Freundin über ihr eigenes Lebensopfer nach dem Vorbild der Königin Esther schreibt. Wie diese sieht Edith Stein sich aus ihrem Volk herausgenommen, um für es einzutreten: "Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Esther; aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig. Das ist so ein großer Trost." (ESGA 3, 332f., Brief 573 vom 31.10.1938 an Petra Brüning.)

Wie Esther hat auch Edith Stein keine andere Waffe als ihre flehenden Hände (Esther 4,17), welche sie erhebt, um ihrem verfolgten Volk Rettung zu erbitten. Esther ist für sie Vorbild darin, da sie, zu beiden Seiten gehörend, die Rolle der Vermittlerin annehmen kann ohne Rücksicht auf das eigene Leben.

Durch das Gebet am Heil der Welt mitarbeiten

Was bezeugt dieses Theaterstück nun in Bezug auf die Hoffnung, den Menschen als Pilger der Hoffnung?

Die Königin Esther wird von Edith Stein überzeitlich dargestellt – sie pilgert durch die Zeiten auf der Suche nach Seelen, die mit ihr im Verborgenen für die Vollendung der Welt beten. "Pilgerin der Hoffnung" ist sie somit nicht nur in ihrem Leben, sondern durch die Zeiten. Auch das ist ein für Edith Stein ganz typischer Gedanke, wenn sie etwa bezüglich des Kreuzweges an anderer Stelle schreibt:

"Der Heiland ist auf dem Kreuzweg nicht allein. […] Jeder, der in der Folge der Zeiten ein schweres Schicksal im Gedanken an den leidenden Heiland geduldig trug oder freiwillige Sühneleistungen auf sich nahm, hat damit etwas von der gewaltigen Schuldenlast der Menschheit getilgt und dem Herrn Seine Last tragen helfen" (Edith Stein, Kreuzesliebe).

Die Hoffnung auf Rettung auch vor innerweltlicher Gefahr erweist sich hier als überzeitlich, es ist ein Strom, der durch die Geschichte trägt, der im Verborgenen wirkt. Jeder und jede Einzelne kann – jetzt, heute, an der Stelle, an der er steht und wirkt – durch sein Gebet am Heil der Welt mitarbeiten. Edith Stein lässt Esther dazu sagen: "Dort oben aber fleht am Gnadenthron die Mutter unablässig für ihr Volk. Sie sucht nach Seelen, die ihr beten helfen."

Die uns jetzt umgebende Situation mag bedrückend sein, und dennoch liegt die Hoffnung im Vertrauen auf das Kreuz Christi, das Zeit und Raum sprengt:

"Ihm verbunden, bist du allgegenwärtig wie er. […] Überallhin trägt dich seine erbarmende Liebe, die Liebe aus dem göttlichen Herzen. Überall hin sprengt sie sein kostbares Blut – lindernd, heilend, erlösend." (Edith Stein, Ave Crux, spes unica).

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen