Leider bin ich bisher noch nicht mit dem Wienerlied wirklich warm geworden. Oft hart anstatt zart, lieber rau als seidig. Selten legato, eine radikale Ablehnung des Schwelgens. Und als ich am 26. Juli 2025 vom Tod des fast 97 Jahre alten Tom Lehrer erfuhr, daher den ganzen Tag seinen The Vatican Rag von 1965 hörte, spürte ich, warum.
The Vatican Rag ist ein Ragtime im Stil früher amerikanischer Unterhaltungsmusik: flott, pointiert, mit tänzelnder Linkshand (Oktavsprünge, Marschrhythmus) und sprunghafter Rechtshand, die Melodie und Ironie zugleich transportiert. Lehrer spielt mit betonter Leichtigkeit, fast wie ein Varietépianist. Virtuos, aber nie prätentiös.
Der Song erschien 1965, als in Rom das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende ging und die katholische Kirche versuchte, sich in die Gegenwart zu übersetzen. Als amerikanischer Jude beobachtete Tom Lehrer diese Entwicklungen amüsiert, von außen, aber nicht anteilslos. Sein Humor hat dabei etwas liebkosendes, erwischt aber immer noch die Kurve zu einer bissigen Pointe, damit nichts fad wird. The Vatican Rag verkostet das Absurde an seinem Gegenstand, ohne billige Paradoxien gegeneinander auszuspielen, sondern spielt mit doppelbödigen Motiven.
"Get in line in that processional / step into that small confessional" – eine ganze Welt kirchlicher Disziplin und ritueller Choreografie wird hier in ein paar Ragtime-Takte gepackt: Was passiert, wenn sich das Sakrale selbst zur Revue macht?
Lehrer nimmt die neuen liturgischen Experimente auf die Schippe – etwa die Einführung der Volkssprache und das Mehr an Beteiligung durch Laien. "Ave Maria / gee it's good to see ya" klingt cheeky, zielt aber noch was anderes: die Frage, ob Verständlichkeit wirklich gleichbedeutend mit Nähe ist. Auch dem Priester teilt er eine schöne Rolle zu: Er ist da, um Dir zu sagen, ob Deine Sünde wenigstens originell ist: "If it is, try playin' it safer / Drink the wine and chew the wafer."
In einer Zeit, in der sich Kirche in Triumphalismus oder Selbstdemontage ergeht, in der sie sich mit ihren eigenen Widersprüchen zugrunde zu richten scheint, sie desorientiert, oberflächlich oder zerstritten taumelt, sich mal zu ernst, mal zu wichtig nimmt … in dieser Zeit erinnert The Vatican Rag daran, dass ihr etwas Verspieltes innewohnt, das von außen betrachtet ein bisschen lächerlich und absurd wirkt – und doch zu ihrem Kern gehört.
Vielleicht ist der Vatican Rag ein Echo auf die Verspieltheit der Liturgie, ein Stück säkularer Mystagogie – inklusiv, blasphemisch, lustvoll und mit dem Religiösen auf Augenhöhe. Lehrer fragt nicht, ob man glauben soll. Er spielt uns vor, wie man es aushält, auch genüsslich aushält, in einer Welt zu glauben, in der alles zur Pose werden kann – auch der Glaube selbst.
Tom Lehrer hat uns zum Lachen gebracht, ohne dass wir vergaßen, was uns heilig ist.
Ihm ist dabei vielleicht eine der größten Hommagen an die Religion gelungen, die mit dem Wandel der Zeit hadert: Tom Lehrer hat uns zum Lachen gebracht, ohne dass wir vergaßen, was uns heilig ist. Danke, Tom Lehrer – und ruhe in Frieden!