In den Alpen ist die Schöpfung oft noch in ihrer ganzen Ehrfurcht gebietenden Größe zu erfahren – als furchterregendes und zugleich anziehendes Geheimnis (mysterium tremendum et fascinans), um eine Formulierung des Religionsphilosophen Rudolf Otto aufzugreifen. So mussten wir vor Wochen miterleben, wie das Schweizer Dorf Blatten von einem Felssturz begraben wurde (vgl. CIG Nr. 23, S. 2).
Früher waren es die Gletscher, vor denen die Menschen Angst hatten. Die Eismassen drohten, ihr Hab und Gut zu verschlingen. Viele Gläubige suchten Zuflucht in religiösen Ritualen. So gab es etwa im Wallis seit 1678 eine Bitt-Prozession gegen die Ausbreitung des Aletsch-Gletschers, immer am 31. Juli.
Heute liegen die Dinge anders. Durch den Klimawandel sind Gletscher auf dem Rückzug – auch das mit unabsehbaren Folgen. Nach einem längeren kirchlichen Verfahren gelang es den Gläubigen im Wallis, ihr Gelübde zu ändern. Mit päpstlicher Genehmigung beten sie jetzt für den Erhalt des Gletschers. „Religion ist stets sehr innovativ“, kommentiert eine Religionshistorikerin auf swissinfo.ch. Entscheidend ist tatsächlich, ob wir mit Gott rechnen – sei es pro oder contra Gletscher.