Keine Stadt hat so viele verschiedene Beleuchtungsgeräte hervorgebracht wie das 79 n. Chr. verschüttete Pompeji. Vor allem die Bronzelampen lagern bis heute weitgehend unbeachtet in den Depots des Archäologischen Nationalmuseums in Neapel und des Parco Archeologico di Pompei. Bislang ist dieses Material von Spezialisten typologisch klassifiziert, jedoch nie auf seine Lichtwirkung untersucht worden. Das Forschungsprojekt „Neues Licht aus Pompeji“ (LMU, München) hat sich zum Ziel gesetzt, antiken Bronzelampen aus Pompeji und Herculaneum, museal erloschenen Objekten, ihr Licht zurückzugeben. In einer Forschungsausstellung der LMU in Kooperation mit den Staatlichen Antikensammlungen werden sie nun erstmals umfassend und neu restauriert der Öffentlichkeit präsentiert und in einer Kultur von Licht, Fest und Nacht verortet.
Licht in der Archäologie
Licht bleibt eine Herausforderung, nicht nur für die Naturwissenschaften. Die Präsenz des Sonnenlichtes ist Bedingung für Leben auf dieser Erde und für die Ausbildung von lichtempfindlichen Sinnesorganen bei Tier und Mensch. Licht ist eine der fundamentalen Erfahrungen menschlicher Lebenspraxis und Kultur. Zugleich ist Licht ein Denkraum, metaphorisch besetzt und versprachlicht, als Gott, Moral, Glaube und Erkenntnis. Licht ist aber auch ein ästhetischer Gestalter dessen, was und wie wir sehen. Dieser Aspekt bietet neue Perspektiven für die Archäologie und das Verständnis antiker Beleuchtung.
Aspekte antiker Beleuchtungstechnik
Die Archäologie interessiert sich seit geraumer Zeit für die praktischen Aspekte antiker Beleuchtungstechnik, aber auch für Tages- und Kunstlicht als Medium der Wahrnehmung von Architektur und Raum. Römisches Wohnen ist ohne den Einsatz von Kunstlicht nicht denkbar. Als Baukörper mit wenigen bis keinen Fenstern schließt das Römische Haus Sonnenlicht gezielt aus. Es erzeugt bewusst verschattete Areale, wie dies von Junichiro Tanizaki eindringlich auch für das traditionelle japanische Haus beschrieben worden ist.
Der Großteil des Hauskernes um das Atrium erhielt, so zeigt die Dissertation von Danilo Campanaro (Universität Lund) zur Casa degli Epigrammi Greci in Pompeji, auch bei Tag selten mehr als 10 Lux. Im Straßenraum bei vollem Sonnenlicht wird hingegen bis zu 100.000 Lux erreicht. Trat man durch die Fauces in ein Haus ein, brauchte man also geraume Zeit, bis man sich an die geringe Lichtmenge gewöhnt hatte, bis das Auge auf das sog. mesopische Sehen mit reduzierter Schärfe und Farbwahrnehmung umgestellt hatte.
Der gebündelte durch das Compluvium einfallende Lichtstrahl erzeugte im Atrium vor allem im Sommer punktuell starke, im Tagesverlauf wandernde Lichtkontraste, während die Cubicula, die vielfach am Morgen und im Tagesverlauf genutzt wurden, durchgängig nach zusätzlichem Lampenschein verlangten (Abb. 1). Auch die Räume ums Peristyl erleben eine erstaunlich unterschiedliche Intensität und Dauer des Lichteinfalls.
Wollen wir die sozialen Dynamiken im römischen Haus verstehen, so müssen wir das dynamische Licht miteinbeziehen. Die quantitative Berechnung von Lichtstärke und Leuchtdichte von Tages- und Kunstlicht sind ein erster Schritt. Doch wieviel Licht gaben die Öllampen in einem Raum, in einem Haus? Die Versuche, sich dem anzunähern, scheitern regelmäßig daran, dass wir zwar für manche Häuser die Gesamtzahl der Beleuchtungsgeräte kennen – in der Casa di Giulio Polibio waren es insgesamt 69 Ton- und Bronzelampen, aber nicht wissen, wie viele Lampen davon gleichzeitig in Betrieb waren. Man denke an die Warnungen Vitruvs vor Verrußung der Stuckdecken durch Öllampen.
Römische Figurenlampen als Lichtkunst
Doch Kunstlicht ist, auch im römischen Haus, nicht nur eine Frage der Lichtmenge, sondern auch der Lichtgestaltung. Licht wird bekanntlich dann für das Auge sichtbar, wenn es auf einen opaken Körper trifft oder wenn es ungleichmäßig verteilt ist, wenn etwa eine Lichtquelle oder ein Lichtstrahl von Dunkelheit umgeben ist. Heute achten wir beim Kauf von Lampen nicht nur auf Funktionalität des Leuchtmittels, sondern auch auf das Design des Lichtträgers, das Helligkeit, Lichtverteilung und Lichtfarbe beeinflusst. Auch Römische Bronzelampen setzen ihre bearbeiteten Metalloberflächen und ihre komplexen Geometrien bewusst ein, um mit dem Licht der Flamme optische und ästhetische Effekte zu erzielen. Sie sind Zeugnis einer performativen Lichtkunst der Antike, die es neu zu erschließen gilt.
Wie viele Objekte der neuen „Archäologie der Sinne“ verlangen römische Beleuchtungsgeräte ein experimentell-archäologisches Vorgehen. Ephemere Phänomene wie Licht, Rauch und Klang lassen sich schließlich nur erforschen, wenn man ihre flüchtige sinnliche Erscheinung reproduziert und dadurch konkretisiert – und eben nicht nur abstrakt hinzudenkt.
Mehrflammige figürliche Prachtlampen
Ausgangspunkt unserer Forschungen ist die Serie von mehrflammigen figürlichen Prachtlampen aus den Vesuvstädten, die 10 bis 15 cm hohe vollgegossene Deckelfiguren aufweisen und mit ornamentalen Reflektoren ausgestattet sind. Die Idee, Licht im Medium Bronze skulptural zu inszenieren, lässt sich bereits im archaischen Griechenland und Etrurien nachweisen; etruskische Kandelaber haben eine figürliche Bekrönung, die durch das Licht mehrerer Kerzen beleuchtet wurde (Abb. 2). Auch hellenistische und spätetruskische Hängelampen besitzen mehrflammige, von einer zentralen Figur bekrönte Lampenkörper (Abb. 3). Diese Tradition lässt sich zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und der frühen Kaiserzeit an einer Serie von großen zwei- oder dreiflammigen Bronzelampen aus Pompeji fassen, deren Deckel mit einer angelöteten oder per Zapfen eingesockelten Figur versehen ist. Einige der Lampen gehören dem Typus Loeschcke XVI an und lassen sich noch ins 1. Jh. v. Chr. datieren, andere des Typus Loeschcke XIX stammen aus den Jahrzehnten vor dem Untergang der Stadt.
Die besterhaltenen Stücke sind ein bereits im 18. Jahrhundert entdecktes Paar identischer Trilychneis (Abb. 4) mit einer wirbelnden Tänzerfigur aus Pompeji sowie eine Bilychnis mit stehendem Silen. An dem in der Insula Occidentalis gefundenen prächtigem Lampenpaar (heute im Antiquarium in Boscoreale) fehlt jeweils die Figur, ebenso auf einer leider durch Brand stark beschädigten Bilychnis. Von anderen Exemplaren haben sich nur die Satyr-Statuetten erhalten. Der syrinx-spielende Satyr wird seit dem 19. Jahrhundert mit einer Bilychnis ausgestellt, die jedoch laut Norbert Franken wohl nicht zugehörig ist. Vereinzelt ist der Henkel oder Reflektor als Figur gestaltet, so bei der kurz vor 79 n. Chr. entstandenen Firmalampe mit der Henkelfigur eines als Gladiator verkleideten Affen oder einer Serie von Lampen mit einem Reflektor, der die Form einer weit ausschwingenden Fledermaus besitzt.
Rekonstruktion von Licht und Schatten: ein experimentelles Vorgehen
Erste experimentelle Lichttests führten wir im Jahr 2018 an einer historischen Replik der Silens-Bilychnis durch, die vermutlich in der 2. Hälfte des 19. Jhs. in der neapolitanischen Werkstatt de Angelis/Chiurazzi geschaffen wurde. Dabei zeigte sich, dass die Figurenlampen so konzipiert sind, dass sie, wenn in Wandnähe aufgestellt, komplexe, dynamische Licht- und Schattenbilder erzeugen. Je mehr Flammen eine Lampe hatte, desto ausgefallener konnte ihre Wirkung sein. Nach den spektakulären ersten Ergebnissen erhielten wir die Möglichkeit, zwei der Figurenlampen aus dem Museo Archeologico Nazionale zu reproduzieren: die Trilychnis mit Tänzer (Abb. 5) und die Bilychnis mit Fledermausreflektor.
Alessandria Giumlia-Mair führte zur Bestimmung der Legierung und der Oberflächenbearbeitung zunächst XRF-Analysen an den Einzelteilen der Lampen durch. Die verwendete Bleibronze fällt nicht aus der Norm. Die Analysen ergaben, dass die Reflektoren beider Lampen in der Antike eine Verzinnung der Oberfläche aufwiesen, d.h. im Kontrast zum Lampenkörper silbern-glänzten.
Parallel dazu erstellte Manuel Hunziker mit einem Streiflichtscanner hochauflösende 3D Scans, die als Grundlage für den Nachguss dienen konnten. Die Nachgüsse wurden in Zusammenarbeit mit Felix Lehner an der Kunstgiesserei St. Gallen gemacht. Das digitale Modell wurde in St. Gallen in PMMA-Pulver ausgedruckt und mit schwarzem Wachs infiltriert. Um den Schwund beim Guss auszugleichen, wurde das Modell 1,5 bis 2,5 Prozent größer skaliert. Das Wachsmodell wurde mit einem System von Einguss- und Abluftkanälen versehen und mit einer Gussform aus Gips und Ziegelsand ummantelt und zuletzt ausgeschmolzen. Die Tänzerlampen wurde so in fünf separaten Teilen, dem Fuß, Lampenkörper, Deckel, Tänzerfigur und Reflektor, gegossen, die Fledermausbilychnis in drei (Abb. 6). Die zeitaufwendige Bearbeitung der Rohgüsse, die Kaltarbeit und Verzinnung am Fledermausreflektor besorgte Olaf Herzog (Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek).
Der doppelte Silen
Für die lichtexperimentellen Tests verwendeten wir Olivenöl sowie 0,7 cm und 0,9 Zentimeter starke Baumwoll- bzw. Hanfdochte. Mit letzteren errechnete Lars Grobe eine durchschnittliche Lichtstärke einer Flamme von 2,5 bis maximal 5 cd (entsprechend einer Beleuchtungsstärke von 5 bis 16 lx). Große Bronzelampen mit mächtigen Dochten gaben demnach bis zu fünfmal mehr Licht ab als heutiges Kerzenlicht.
Blicken wir zuerst auf den Schattenwurf der Silens-Bilychnis (Abb. 7). Stellt man die Lampe in einem Abstand von 10 bis 50 cm von der Wand auf, so ergibt sich für das moderne Auge, das in den Prinzipien der Schattengeometrie womöglich besser trainiert ist als das antike, eine überraschende Konfiguration von zwei konkurrierenden Schatten, die auf hellem, aber auch rotem Untergrund monochromer Wandfelder, wie wir sie aus dem Dritten oder Vierten Stil kennen, sehr gut lesbar sind.
In ihrer Vergrößerung und Verdopplung ziehen die Schattenbilder den Blick auf sich und lenken von der Ausgangsfigur ab. Der Unterschied zwischen den Schattenbildern ist – gemäß dem Einfallswinkel des Lichtstrahls – erheblich. An die Wand projiziert, entwickeln die Silenssilhouetten ein Eigenleben und ein erzählerisches Verhältnis zueinander. Da es sich bei den Silhouetten um von zwei Lichtquellen beleuchtete Halbschatten handelt, ergibt sich je nach Flammengröße und Luftzug eine starke Dynamik. Mit der Dominanz einer Flamme wird der zugehörige Schatten kleiner, schärfer und dunkler, der zweite im gleichen Zug größer und lichter.
Der tanzende Akrobat – Schatten- und Spiegeleffekte
Das Paar von Tänzerlampen hat eine noch raffiniertere optische Wirkung. Zum einen sind die Tänzerlampen dreiflammig, zudem besaßen sie einen planen, spiegelnden Reflektor. Die Tänzerstatuette zeigt eine wirbelnde, ekstatische Rotationsbewegung um nahezu 360 Grad. Es handelt sich um einen bis auf Hüftschurz und Pilleus nackten Sklaven. In der Linken hält er an einer Kette den Stechhaken zum Säubern der Lampe. Der im Überfangguss an den Schlaufengriff angegossene blattförmige Reflektor war laut Mikroskopie und Metallanalyse poliert und verzinnt. Von Petroleumlampen des 19. und 20. Jahrhunderts kennen wir rückseitig angebrachte Spiegel, die für eine Intensivierung des Lichtstroms sorgten. Xenophon belegt im Symposion (Xen. symp. 7, 4), dass schon an griechischen Lampen mit spiegelndem Bronzematerial experimentiert wurde, was Staunen und Wunder erregte. Die gekippten Spiegel der Tänzerlampen spiegeln freilich nicht die Flammen selbst, sondern, bei bestimmtem Blickwinkel, die Tänzerfigur (Abb. 8).
Erkenntnisse der Katoptrik
Es ist naheliegend, dass in den Prachtlampen Erkenntnisse der Katoptrik verarbeitet wurden, einer Teildisziplin der Optik, die sich auf Basis der Sehstrahlentheorie mit der Reflexion von Licht auf spiegelnden Oberflächen beschäftigte. Nach Lukrez, Plinius und Plutarch war der Einsatz von Spiegeln zur Erzeugung staunenswerter Spiegelbilder weithin verbreitet. Auch der Schattenwurf der Trilychnis versetzt in Erstaunen. Durch die drei Flammen werden nun drei Schatten auf die Wand projiziert, die sich kaum überlappen. Frappierend sind nicht nur die Größen-, sondern auch die Formunterschiede der drei Schatten. So führt je nach Position der Statuette und Einfallswinkel das angezogene linke Bein und der ausgestreckte rechte Arm zu extremen Schattenverzerrungen (Abb. 9). In ihren unterschiedlichen Kontrasten, Größen und Konturen scheinen die drei Schatten-Tänzer nun wie in einem wirbelnden Tanz begriffen. Kombinierte man sie gar mit der zweiten Lampe, müsste man von einem Schattenchor sprechen.
Das Feuer malt – das Auge staunt
Dass Lampen Schatten erzeugen und der Schattenwurf kreatives Potential hat, belegt Plinius in seiner berühmten Anekdote vom Ursprung der Bildniskunst aus dem Schattenwurf (Plin. nat. 35, 151; Plin. nat. 35, 15). Demnach warf Mädchen in Korinth mit einer Lampe die Silhouette des scheidenden Geliebten an die Wand. Ihr Vater Butades, ein Töpfer in Korinth, schuf daraus das erste Porträt. Doch Schatten haben nicht nur mimetischen, abbildenden Charakter, sie haben auch ein die Wahrnehmung bannendes Eigenleben und gehören daher zu den performativen Wunderdingen des Theaters, Festes und Symposions.
Platons Höhlengleichnis (Plat. rep. 514a2–515c3) verdanken wir die anschaulichste antike Schilderung vom selbstvergessenen Staunen angesichts von theatralen Schattenspielen, die Artisten mit Figuren und Objekten den Gefangenen in der Höhle vorgaukeln. Platon benutzt das Schattenkino als Gleichnis für die unzureichende menschliche Erkenntnis. Zugleich ist er offenkundig fasziniert von seinem eigenen hyperrealistischen Szenario, das die Erfahrung von Gefangenschaft und Folter mit der Welt des Theaters verbindet. Dabei scheint er auf konkrete Licht-Schatteninszenierungen in der Theater- oder Gelagekultur seiner Zeit anzuspielen, denn die Urheber des genialen projektionstechnischen Arrangements nennt er Wunder-Macher (thaumatopoioi). Schatten sind nichts als der Entzug von Licht. Doch sie haben, wie Platon uns lehrt, eine fesselnde, die Erkenntnis verzaubernde Macht.
Die pompejanischen Figurenlampen mit ihren dionysischen Themen gehören in den Kontext der Cena, des Gastmahls. Es sind thaumapoioi, Wundermacher, in Dingform. Welche sinnlichen Erscheinungen diese „thaumatischen“ Apparate und hervorgebracht haben und welche weitreichenden Assoziationen sie weckten, kann uns die experimentelle Archäologie näherbringen.
Ausstellungsinfo
Sonderausstellung «Neues Licht aus Pompeji»
bis 30.4.2023 in den Staatlichen Antikensammlungen München
Der Katalog zur Ausstellung ist im Museum (30 Euro) und hier (35 Euro zzgl. Versand) erhältlich:
R. BIELFELDT / J. EBER / S. BOSCHE / F. KNAUSS / A. LUTZ, Neues Licht aus Pompeji (2022).