Das frühe Christentum war mit dem Meer als physischer Ort und mentales Konstrukt eng verwoben. Das ist in Anbetracht der Ursprünge des christlichen Glaubens bemerkenswert: Jesus und seine Anhänger bewegten sich in den ländlichen Gebieten Galiläas. Erst die Generation nach Jesus verbreitete die neue Religion in den Hafenstädten des östlichen Mittelmeerraums und benutzte die maritimen Handelsrouten als Kommunikationswege. Christliche Gemeinden etablierten sich sukzessive rund um das Mittelmeer, das seit alters her die Lebenswelt der Griechen und Römer prägte.
Von einer dörflichen Erneuerungsbewegung zu einer hafenstädtischen Religion
Jesus entfaltete von Kafarnaum aus, einem galiläischen Fischerdorf, seine Wirktätigkeit. Rund um den See Genezareth und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft predigte er in Aramäisch einer jüdischen Bevölkerung, die der hellenistischen Kultur kritisch gegenüberstand. Von den Städten distanzierte er sich. Die Dörfer im Landesinneren waren seine Lebenswelt. Wie er selbst zogen auch seine Anhänger als Wandercharismatiker jenseits der am Meer gelegenen Städte umher.
Erst nach dem Tod Jesu sammelten sich Jesus-Anhänger auch in den Städten; Jerusalem und bald auch Antiocheia am Orontes zählten zu den frühen Zentren. In der syrischen Metropole wurden die Jesus-Verehrer zum ersten Mal Christianoi – Christen – genannt (Apostelgeschichte 11,26) und hier vollzog sich auch der welthistorisch entscheidende Schritt: der Antiochenische Zwischenfall (Galaterbrief 2,11–21). Zwischen den Jüngern Jesu war es zu einem Streit darüber gekommen, ob Nicht-Juden beschnitten sein und die jüdischen Speisegebote einhalten müssten, um Christen werden zu können. Der kurz vorher anberaumte Apostelkonvent hatte die sog. Heidenmission zwar grundsätzlich legitimiert, der Kompromiss war aber im Detail offenbar unterschiedlich ausdeutbar.
Jedenfalls formulierte der aus dem kleinasiatischen Tarsos stammende Paulus in Antiocheia erneut seinen Anspruch, auch Nicht-Juden den christlichen Glauben zu verkünden. Damit gerieten die griechischen Städte an der Mittelmeerküste in den Blick des «Apostels der Völker». Von Antiocheia zog Paulus zunächst zur Hafenstadt Seleukeia in Pisidien, um dort ein Schiff nach Zypern zu nehmen. Der Schritt aufs Meer war getan. Von nun an wandelte sich die ehemals ländliche Jesusbewegung zu einer städtischen Religion.
Lesen Sie mehr über das antike Christentum:
Das Titelthema gewährt einen tiefen Einblick in die Vielfalt des antiken Christentums: vom pulsierenden Leben in der Bischofsstadt Karthago, über Asketen in der syrischen Wüste bis in die Schreibstuben der frühen Klöster. Neben den Ausprägungen des Christentums griechischer und lateinischer Sprache spielen die sog. orientalischen Christentümer eine zentrale Rolle.
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Das Meer als Kommunikationsraum
Paulus durchzog auf insgesamt drei Reisen die griechische Welt und nutzte dabei die für die Antike üblichen Fortbewegungsmöglichkeiten. Er ging zu Fuß, reiste vor allem aber mit dem Schiff und folgte somit den gängigen Handelswegen. Christliche Gemeinden bildeten sich daher vorrangig in Hafenstädten und rekrutierten ihre Mitglieder aus einem ethnisch diversen und ökonomisch differenzierten Milieu, das traditionell neuen Religionen gegenüber offener war als die Dörfer im Landesinneren. Die maritime Kultur prägte daher auf vielfältige Weise die Lebenswelt der Christen.
Paulus hielt mit den von ihm gegründeten Gemeinden brieflichen Kontakt. Der Brief wurde das grundlegende Medium, um die communio, die Gemeinschaft der Christen, sicherzustellen. Ein reger Briefverkehr zwischen
den einzelnen Gemeinden vernetzte, die rund um das Mittelmeer lebenden Christen und informierte sie über Grundsatzfragen. Paulus nutze immer wieder die maritimen Kommunikationskanäle: Er ließ der Korinthischen
Gemeinde von Ephesos aus einen Brief zukommen; von Korinth aus schrieb er an die Gemeinden von Thessaloniki und Rom. Dabei verwendete Paulus die Welt- und Literatursprache Griechisch.
Die Gefahren der Seefahrt
Die paulinischen Missionsreisen wurden von Lukas in der Apostelgeschichte festgehalten. Sie lesen sich spannend wie ein Roman. Damit liefert die Apostelgeschichte einen der ausführlichsten und anschaulichsten Reiseberichte, die uns aus der Antike erhalten geblieben sind. Besonders eindrücklich ist seine Fahrt von Caesarea Maritima nach Rom geschildert (Apostelgeschichte 27). Nachdem Paulus in Jerusalem gefangen gesetzt worden war, bestiegen die für eine Überführung nach Rom vorgesehenen Gefangenen in Caesarea ein Schiff aus einer kleinasiatischen Hafenstadt.
Den ersten Stopp legte man in Sidon ein. Widrige Winde – offenbar näherte sich das Ende der Schifffahrtssaison – zwang dazu, Zypern nördlich zu umfahren und Station in Myra zu machen. In der lykischen Hafenstadt wechselte die Gruppe auf ein geräumiges Schiff eines alexandrinischen Kaufmannes, das mit Weizen beladen Italien ansteuerte. Wiederum behinderten die Windverhältnisse ein rasches Fortkommen und machten einen weiteren Aufenthalt an der Südküste Kretas notwendig. Nun war klar, dass die kommende Strecke nur unter großem Risiko zu bewältigen war: Zwischen Mitte November und Mitte März galt das Meer als «geschlossen» (mare clausum) und man vermied, sich den gefährlichen Winterstürmen auszusetzen. Als jedoch ein günstiger Südwind wehte, entschieden sich der Kapitän und der Kaufmann, einen zum Überwintern geeigneten und nicht allzu fernen Hafen anzufahren.
Doch nun drehte der Wind und ein gewaltiger Sturm kam auf. Führungslos trieb das Schiff dahin. Die Stärke des Sturmes ließ befürchten, weit abgedrängt in Untiefen zu zerschellen. Mit vereinten Kräften versuchte man, die Abdriftgeschwindigkeit zu vermindern, das Auseinanderbrechen des Schiffs zu verhindern und den Tiefgang zu verringern, indem man Ladung und Schiffswerk über Bord warf. Eine endzeitliche Stimmung machte sich breit: Tagelang schienen weder Sonne noch Sterne, Navigation war unmöglich, jegliche Hoffnung auf Rettung dahin.
Nach vierzehntägiger Irrfahrt näherte man sich endlich Land. Beim Versuch, das Schiff an einem Strand auffahren zu lassen, zerschellte schließlich das hintere Schiffsteil. Mit viel Glück konnte sich jedoch die gesamte Schiffsbesatzung an Land retten. Man war auf einer Insel zwischen Nordafrika und Sizilien gelandet: Melite.
Das Kirchenschiff auf teuflischem Meer
Zweifellos ist der Bericht romanhaft ausgeschmückt. Dennoch vermittelt er einen lebhaften Eindruck von den Gefahren der Seefahrt und der unbezwingbaren Gewalt des Meeres. Daran konnte die metaphorische Deutung der Kirche als Schiff auf teuflischer See anknüpfen: Der Schiffsmast erinnerte an das Kreuz Christi, das den Weg zum rettenden Hafen Gottes weist. Sünden und Versuchungen gefährden die Reise auf dem «Meer des Böse» (Clemens von Alexandria, Paedagogus 3,12,101).
Die christlichen Literaten verbanden dabei griechisch-römische Denkfiguren mit den alttestamentlichen Schriften. Andererseits hatten sich die Bewohner Israels, anders als die Ägypter oder Phönizier, nicht als Seefahrer verstanden. Aus ihrer Perspektive war das Meer vor allem unheimlich: ein lebensfeindlicher Bereich, in dem der Tod lauert und die Sünde zu Hause ist.
Der Fisch als Wahrzeichen des Christentums
War Jona nicht von einem riesigen Fisch verschlungen worden, weil er Gott nicht gehorcht und so einen vernichtenden Sturm heraufbeschworen hatte? Die Erzählung von Jona und dem Fisch war eine der beliebtesten biblischen Geschichten überhaupt und wurde häufig in den Katakomben Roms dargestellt. Dort avancierte auch ein anderes maritimes Symbol zum Wahrzeichen der Christenheit überhaupt: der Fisch, auf Griechisch Ichthys, als Akronym für Iesous Christos Theou Yios Soter (Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter).
Sie wollen mehr über das Meer erfahren?
Lesen Sie in der ANTIKEN WELT 3/2019 «Die Antike und das Meer»
Das Leben am und der Kampf mit dem Meer prägte alle Kulturen der antiken Welt. Seerouten ermöglichten etwa die griechische Kolonisation rund um das Mittelmeer und das Schwarze Meer, und wer nicht nur das Meer besiegte, sondern auch gegnerische Kriegsschiffe, konnte seinen Einfluss auf weite Teile der damaligen Welt ausdehnen.
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