Uralte Ruinen, vergessene Kulturen, verborgene Schätze – archäologische Sensationen erfreuen sich, das zeigen zahlreiche populäre TV-Formate, Magazine und Bücher, ungebrochener Beliebtheit. Oft allerdings sind eben dies auch genau jene stark romantisierten Pole, zwischen denen sich die öffentliche Wahrnehmung von Archäologie bewegt: verwegenes Abenteuer und draufgängerische Schatzsuche. Was zwar spannender klingt als jene Herausforderungen, mit denen moderne Archäologen üblicherweise zu tun haben – aber auch kaum weiter entfernt sein könnte von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den materiellen Überresten vergangenen menschlichen Lebens und Wirkens und jenen Fragen, die das Fach tatsächlich beschäftigen.
Dazu gehört eben gerade nicht die Schatzjagd auf Einzelobjekte, seien sie nun aus Gold oder nicht, sondern die oft aufwändige Dokumentation deren exakten Fundkontextes, der mehr preisgibt, als nur einen hübschen Gegenstand für die Vitrine. Bewahrung, Erhalt und Schutz von Denkmälern und des universellen kulturellen Erbes sind heute ebenso wesentlicher Bestandteil archäologischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wie Ausgrabung, Analyse und Auswertung.
Doch ist diese öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Arbeit etwas, über das wir uns glücklich schätzen und von dem wir Gebrauch machen sollten. Dessen Beachtung und Beantwortung nämlich ist mehr als gefällige Aufmerksamkeit oder lästige Pflicht. Sie ist Verpflichtung, unser Teil der Abmachung. Nicht nur, aber insbesondere in den Geisteswissenschaften wird Forschung oft genug aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Öffentlichkeit hat also durchaus guten Grund und ein berechtigtes Interesse mehr über diese Arbeit zu erfahren. Wissenschaft hat also durchaus auch die Pflicht zur Kommunikation. Als Altertumswissenschaft spiegelt die Archäologie in all ihren Disziplinen zu einem gewissen Grad selbstverständlich auch aktuelle Debatten wider – die Frage nach gesellschaftlichem Einfluss von Klimawandel und Migration z. B. ist nicht zufällig in den letzten Jahren auch wiederholt aus archäologischer Langfristperspektive diskutiert worden. Als Gesellschaftswissenschaftler sollten wir also in der Tat in der Lage sein, am öffentlichen Diskurs teilzuhaben – und diesem ggf. gar vorzugreifen. Das jedenfalls ist der Anspruch, den das Fach selbst formuliert, wenn es darum geht gesellschaftliche Relevanz (und gute Gründe für eine notwendige finanzielle Förderung) gegenüber der Öffentlichkeit geltend zu machen.
Aber stimmt das auch? Wenn archäologische Daten und Interpretationen in öffentlichen Debatten und Berichten herangezogen werden, dann i.d.R. zur Illustration oft monokausaler Erklärungen, die komplexe Zusammenhänge auf einzelne Phänomene zurückführen – die Abhängigkeit und das Zusammenwirken unterschiedlichster Elemente, die solchen Entwicklungen viel öfter zugrunde liegen, finden eher wenig Niederschlag. Trotz – und auch das muss betont werden – deutlich gesteigerter Bemühungen in Sachen Wissenschaftskommunikation ist die Vielfalt tatsächlicher archäologischer Forschung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht bzw. nicht immer in relevantem Umfang präsent. Wir glauben vielleicht an gesellschaftlichen Debatten teilzunehmen, sind aber allenfalls Stichwortgeber.
Und das liegt zu einem nicht unwesentlichen Teil durchaus auch an den Kommunikationsstrategien in unserem Fach. An der Bereitschaft, (eigene) Forschung einzuordnen und zu kommunizieren – oder wenigstens so zugänglich zu machen, dass andere, Journalisten beispielsweise, sie kommunizieren könnten. Machte man es sich leicht, könnte man sich auf die Position zurückziehen, dass die Gestaltung öffentlicher Diskurse nicht vorrangig Aufgabe von Wissenschaft und Forschung sei.
Freilich würde man damit den selbst behaupteten Anspruch gesellschaftlicher Relevanz untergaben – und einem gefährlichen Trugschluss aufsitzen: Denn selbstverständlich sind Präsentation und Kommunikation von Forschung wesentlicher Teil wissenschaftlichen Arbeitens. Gefährlich ist ein solcher Rückzug aber auch deshalb, weil er Leerstellen hinterlässt. Leerstellen, die natürlich nicht leer bleiben.
Unterbleibt ein Kommunikationsangebot von wissenschaftlicher Seite, wird das davon unabhängig bestehende Interesse eben von anderer Seite beantwortet. Dann füllen aktivere Quellen diese Lücke und gestalten und dominieren die Wahrnehmung archäologischer Forschung jenseits von Fachpublikationen und Tagungen. So können im ungünstigsten Falle Verschwörungstheorien und verzerrte, im schlimmsten Falle extrem verfälschende Darstellungen entstehen, wenn damit nämlich ganz eigene Ziele verfolgt werden. Die können, gerade auch in Bezug auf gesellschaftspolitisch kontrovers diskutierte Ereignisse (wie z. B., eingangs erwähnt, Klimawandel und Migration) bis zu politisch-extremistischen und nationalistischen Motiven reichen, indigenen Völkern eigene Kulturleistungen absprechen, kolonialistische und rassistische Weltbilder verbreiten. Dem können wir mit einer offeneren Gestaltung von Wissenschaftskommunikation entgegenwirken, in der Forschung und deren Resultate transparent dargestellt werden – unter Einbeziehung der an diesen Dingen ja eben gerade interessierten Öffentlichkeit.
Und viele Kollegen, Wissenschaftler und Journalisten, tun dies bereits engagiert und erfolgreich – u. a. beispielsweise auch an dieser Stelle, seit inzwischen 50 Jahren. Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sind allerdings zu oft noch nebenher zu erledigende Pflichten, werden in der Planung von Forschungsprojekten erst nach und nach als eigenständige Tätigkeitsfelder wahrgenommen und berücksichtigt und finden erst allmählich Eingang auch in die Ausbildung von Wissenschaftlern.
Forschung meint mehr als das Erheben von Daten. Deren Diskussion und Einordnung sind ebenso notwendig wie wichtig: Wissenschaft ist auch Wissenschaftskommunikation. Gesellschaftswissenschaft ist auch gesellschaftliche Verantwortung.
von Jens Notroff