Von Gunter Schöbel, Pfahlbaumuseum Unterhuldingen/UFG Eberhard Karls Universität Tübingen.
Geschichte boomt in den Medien. Doch im Unterricht ist davon – zumal nach Änderungen der Bildungspläne – nicht viel zu erkennen. Geschichts- und Archäologieverbände in Deutschland bemängeln zunehmend den Rückgang der dafür vorgesehenen Schulstunden. Eine Analyse aller deutschen Länder und Schularten hinsichtlich der verpflichtenden Bildungspläne zwischen 2011 und 2018 ergibt Beunruhigendes: Die föderale Struktur führte in den vergangenen Jahren verstärkt zu unterschiedlichen Lehrplänen. Einig ist man sich augenscheinlich nur darin, dass »Geschichtskompetenz« vermittelt werden soll. Doch wie? In jedem Bundesland konkurrieren etwa ein Dutzend Verlage mit ihren Geschichtsbüchern um den Zuschlag. Es herrscht Lehrmittelfreiheit und somit ein großes Durcheinander bei Vermittlung, Inhalten und Prüfungsaufgaben. Warum gibt es keinen Basis-Lehrplan für alle 16 Bundesländer? Wo sind die Archäologen, die mit ihrer Expertise bei den Bildungsplänen helfen könnten?
Archäologie – etwas für den Sandkasten?
Ur- und Frühgeschichte kommt – von Ausnahmen abgesehen – in der Ausbildung der Lehrer an Universitäten oder Pädagogischen Hochschulen in Deutschland nur noch am Rande vor. Prähistorische Archäologie wird beim Abschluss nicht geprüft. Warum auch, wenn die Bildungspläne dafür mancherorts nur noch zwei Doppelstunden in der Sekundarstufe vorsehen? Auch bei Lehrerfortbildungen spielt Archäologie keine große Rolle mehr. Das Thema wird zunehmend in Grundschule und Kindergarten verwiesen – »… das ist doch etwas für den Sandkasten«. Die Archäologie muss inzwischen um ihren angestammten Platz in der Sekundarstufe der Klassen 5 und 6 im Gymnasium im Fach Geschichte kämpfen. Fragt man Lehrer, so beginnt Geschichte so richtig erst bei Karl dem Großen und den Schriftkulturen. Antikes Griechenland und Rom kommen vor, aber die Steinzeit Europas wird höchstens als wenig entwickelte Stufe der Menschheit im Kontrast zu »höheren Kulturen« abgehandelt.
Schulbücher beginnen mit dem frühesten Menschen und Ägypten und spiegeln die Hochkultur dort mit der »Tiefkultur« bei uns. Dass dabei die Bronzezeit am Nil mit der viel älteren Steinzeit in Deutschland verglichen wird, fällt anscheinend gar nicht auf. Die Metallzeiten fehlen in manchen Bundesländern bereits als eigene Epoche. Der ehemalige eiserne Vorhang ist auf vielen Karten noch die Grenze der prähistorischen Geschichtspräsentation Richtung Osten. Ein europäischer Ansatz der Vorgeschichtsforschung durch die Zeiten fehlt oft, erfährt manchmal Berücksichtigung in »Fenstern zur Welt«. Aktuelle Fragen zur Rolle der Geschlechter sind bei »Jägern und Sammlern« noch nicht thematisiert. Gesellschaftsfragen lassen bei »Germanen und Römern« noch die historische Entwicklung der Schulbücher aus dem 19. Jh. erkennen und bieten Raum für die Rekonstruktion falscher Identitäten und Zusammenhänge. Hinweise auf archäologische Welterbestätten der UNESCO fehlen. Einigkeit besteht nur bei der Herkunft des Menschen aus Afrika und bei der »Neolithischen Revolution«, die uns den Ackerbau brachte, aber eigentlich ein Jahrtausende währender Prozess war – wie wir heute wissen.
Die Liste der Fehler ist lang, ein sinnvoller Aufbau von Inhalten und Kompetenzen nach vielfältiger Umarbeitung oft nicht mehr gegeben. Nach der Durchsicht aller 16 Bildungspläne und der maßgebenden Schulbücher ist der Mangel an Zusammenhängen deutlich zu erkennen.
Es geht auch besser
Doch gibt es vereinzelt gute Ansätze. In Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder in der Schweiz, wo es einen verbindlichen Lehrplan für alle 21 Kantone gibt, merkt man, dass Denkmalpflege und Fachleute bei den Schulbüchern geholfen haben. Mancherorts begeben sich Schulklassen auf die Suche nach Spuren der Bronze- und Eisenzeit im heimatlichen Terrain, Museen werden als Ort des Lernens genutzt. Schülerprojekte zu Archäologie und Umwelt finden statt. Leistungskurse in den Schulen und Pflichtveranstaltungen in der Pädagogik – etwa für UNESCO-Schwerpunktschulen – werden vereinzelt angeboten. Nichtschriftliche Quellen und archäologische Methoden finden Berücksichtigung. Archäo-Labore entstehen in Museen und Veranstaltungen der Kinderuniversitäten an den Hochschulstandorten vertiefen den Schulunterricht. Doch kohärent und beständig für die gesamte Bildungslandschaft ist dies nicht.
Modelle des 20. Jh. mit ihrer rein chronologischen Betrachtungsweise in den Schulbüchern sollten inzwischen hinter uns liegen. Forderungen des Deutschen Geschichtslehrerverbandes 2010 für eine Vermittlung von Geschichte zur Erlangung von Sach-, Deutungs- und Methodenkompetenz mit dem Ziel, auch Bewusstsein für die regionale und lokale Geschichte zu wecken, sind löblich. Diese sollten aber nicht nur Antike und Mittelalter, sondern verstärkt wieder die Archäologie beinhalten. Unter den Zielen der UN-Agenda 2030 für hochwertige Bildung oder der UNESCO nach nationaler Umsetzung der globalen Bildungsagenda bis zu diesem Zeitpunkt könnte hier gemeinsam mit den Verbänden oder dem Deutschen Kulturrat viel angestoßen werden.
Beginnen müsste man mit einer Ergänzung der Bildungspläne, fortgesetzt durch die Verbesserung der Aus- und Fortbildung bei Lehrern und Studenten. Dafür sollten Universitäten, Denkmalämter und Museen stärker eingebunden werden. Das Lernortkonzept könnte um archäologische Stätten und Ausstellungen erweitert werden, müsste interaktiver sein und eigenes Experimentieren zulassen. Und warum sollte Archäologie zukünftig nicht als Pflichtprogramm bei allen Fehl- oder Vertretungsstunden eingesetzt werden können? Unsere Wissenschaft verhilft in ihrer Vielfalt wie keine zweite zu einer umfassenden kulturellen Bildung. Sie schafft europäische und globale Dimensionen, liefert leicht verständlich für jeden Fakten zu Klimawandel, sozialem, wirtschaftlichem und medizinischem Fortschritt. Sie arbeitet interdisziplinär und diskursiv. Und sie vermag es, Geschichtsbewusstsein auch aus unscheinbaren Bodenfunden heraus zu entwickeln. 3 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte wären es wert, adäquat vermittelt zu werden.
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