Vom Religionspluralismus zum DialogInterreligiöse Initiativen in der Schweiz

Die Gesellschaft der Schweiz war lange Zeit christlich, d.h. reformatorisch und katholisch geprägt. Historisch ist dies neben einer geringen Immigration von Arbeitern aus außereuropäischen Kulturen dadurch bedingt, daß die Schweiz im Unterschied zu den großen Nationen Europas kein Erbe aus der Kolonialzeit und somit politisch gesehen keinerlei besondere Beziehungen zu fernen Ländern hat. In den letzten beiden Jahrzehnten hat jedoch auch die schweizerische Gesellschaft einen multikulturellen und multireligiösen Charakter angenommen. In den 60er und dann in den späten 80er und 90er Jahren sind nicht nur asyl- und arbeitssuchende Buddhisten aus Nepal, Tamilen und Muslime aus Nordafrika sowie dem Balkan bzw. der Türkei in die Schweiz gekommen; im Zug der Globalisierung haben sich auch Menschen verschiedenster Kulturen und Religionen niedergelassen. Gleichzeitig ist der Einfluß der traditionellen Landeskirchen stark zurückgegangen. Gemäß Statistik des Bundesamtes gehörten ihnen im Jahr 2000 nur noch drei Viertel der Bevölkerung an: der römisch-katholischen Kirche noch 41,8 Prozent (1990: 46,2%), den reformierten Landeskirchen zusammen mit den Freikirchen 35,2 Prozent (1990: 40,7%). 11,1 Prozent der Bevölkerung wollen sich keiner Religionsgemeinschaft zugeordnet wissen (1990: 7,4%)(1).

Vor allem durch die Migration der letzten Jahre ist der Anteil der Muslime in der Schweiz auf 4,3 Prozent (1990: 2,2%) gestiegen und somit sind sie zur zwar viel kleineren, aber doch zweitstärksten Religionsgemeinschaft geworden. Die Schweizer Juden sind mit ihren 0,2 Prozent (1990: 0,3%) der Gesamtbevölkerung damit quantitativ um einiges überholt worden. Gemäß dieser Statistik machen alle anderen Religionsgemeinschaften zusammen nur 0,8 Prozent (1990: 0,4%) der Bevölkerung aus, doch dürfte sich bei der nächsten Volkszählung im Jahr 2010 klar zeigen, daß die Auffächerung der Religionszugehörigkeit in der Schweiz weiter zunimmt.

Herausforderung Islam

Die sich neu etablierenden Religionsgemeinschaften, vor allem die Muslime, sind für den religionsneutralen Staat und die etablierten Kirchen, die öffentlich-rechtlich anerkannt sind und somit aus historischen Gründen über verschiedenste Sonderrechte verfügen, insofern eine Herausforderung, als für ihre verfassungsmäßig gewährleistete Religionsausübung die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt werden müssen(2). In der Schweiz ist es die Sache der einzelnen Kantone, religiöse Angelegenheiten zu regeln. So ist der Kanton Zürich dabei, die Israelitische Cultusgemeinde und die Jüdische liberale Gemeinde öffentlich-rechtlich anzuerkennen; in Bern wurde Pionierarbeit geleistet, um eine Lösung für muslimische Gräberfelder auf Friedhöfen zu finden. Vor allem die Ausbildung von Imamen, die Frage nach muslimischem Religionsunterricht und die Errichtung von Moscheen und Gebetsräumen für andere Religionsgemeinschaften haben in den vergangenen Jahren zu politischen Initiativen geführt. Gerade in den fünf größten Städten der Schweiz, wo die nichtchristliche religiöse Bevölkerung besonders groß ist (59,9% christlich, 12,9% nichtchristlich religiös, 26,2% religionslos)(3), versuchen die Stadtverwaltungen im Sinn der Integration und der frühzeitigen Abwehr von Fremdenangst bzw. religiösen und fundamentalistischen Ghettos den interreligiösen Dialog zu fördern.

All diese politischen und sozialen Initiativen befassen sich vor allem mit dem Islam und den muslimischen Immigranten, sind doch 88 Prozent der Muslime nicht schweizerische Staatsbürger. Während in der französischsprechenden Schweiz die Fragestellungen der Muslime in Frankreich oft ihren Widerhall finden und deshalb die Muslime Nordafrikas mehr im Blick sind, ist der Islam der Deutschschweiz stärker durch die türkischen und bosnischen Einwanderer geprägt. So hat auch die Christliche Volkspartei (CVP), traditionell von Katholiken getragen, als erste Partei politische Leitsätze zu Fragen angesichts der muslimischen Bevölkerung vorgeschlagen(4).

Die erstaunlich zahlreichen Initiativen zum interreligiösen Dialog und zur Vermittlung von Religion und Gesellschaft, die in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden sind, und auf die die Politik ihrem Charakter gemäß relativ spät reagiert, lassen sich jedoch nicht allein aus der Immigration von Menschen anderer Kulturen und Religionen erklären. Auch viele alteingesessene Schweizerinnen und Schweizer suchen angesichts des Plausibilitätsverlusts der Säkularisierungsideologie wie auch des Zerfalls der linkssozialistischen und rechtsnationalistischen Ideologien seit der politischen Wende von 1989 neue religiöse Orientierung. Auf interreligiösen Veranstaltungen sind sie bestens vertreten, und zwar nicht nur jene, die die christlichen Kirchen verlassen haben, sondern auch viele Katholiken und Protestanten. Diese Teilnahme erklärt sich auch daraus, daß die Leitungen der etablierten Landeskirchen den interreligiösen Dialog als Auftrag der Stunde sehen und oft selbst den Anstoß dazu geben, sei es aus innerer religiöser Überzeugung, sei es aus sozialer Verantwortung im Staat.

Dabei ist zu beobachten, daß bei christlich-muslimischen Veranstaltungen ein Informationsbedürfnis vorherrscht und große Neugier besteht, mehr über den Islam zu wissen. Im Vordergrund steht das Interesse, die arabische Gesellschaft und ihren Islam wie auch die aktuelle Weltpolitik besser zu verstehen. Angesichts scheinbar eindeutiger islamisch-politischer Vorstellungen scheint auch vielen Schweizer Bürgerinnen und Bürger das Fehlen einer politisch relevanten christlichen Theologie bewußt zu werden, das die Privatisierung des Christentums einerseits und der Zusammenbruch der marxistisch wie der nationalistisch geprägten politischen Theologie andererseits zurückgelassen haben. Selbst eine öffentliche religiöse Sprache ist christlicherseits verloren gegangen, was nun im Spiegel des andern erkannt wird.

Rückkehr der Religionen

Die "Rückkehr des Religiösen"(5) als eines gesellschaftlich und politisch relevanten Faktors führt zuweilen zu einer christlich-konservativen Position, die hinter die Idee eines religionsneutralen Staats zurückfällt oder diese selbst in Frage stellt. Der Moscheebau ist dafür zum Paradebeispiel geworden, nachdem ein solcher im Februar 2006 in Wangen bei Olten von der Bevölkerung angesichts von 400 Einsprüchen abgelehnt wurde. Obwohl die Verfassung die Kultusfreiheit garantiert, läßt sie den Gemeinden so viel Interpretationsspielraum, daß die Errichtung von Sakralbauten verhindert werden kann. Bis heute gibt es nur in Genf eine repräsentative Moschee (1978 erbaut) und eine kleine, nach außen als solche erkennbare Moschee in Zürich (1963 erbaut).

Die interreligiösen Begegnungen mit asiatischen Religionen haben einen völlig anderen Charakter, da die sozialen und politischen Fragestellungen dabei nicht im gleichen Maß im Zentrum stehen. Auch Hindus und Buddhisten ersuchen um den Bau von Tempeln, Klöstern und öffentlichen Gebetsräumen; doch werden diese weniger als politische Herausforderung, sondern mehr als ästhetische Bereicherung empfunden: Der Thai-Tempel in Gretzenbach und das nepalesische Kloster in Rikon mit dem Tibet-Institut gehören bereits zur Schweizer Landschaft.

Besonders in der Begegnung mit dem Buddhismus und seiner Zen-Tradition geht es bei vielen Schweizerinnen und Schweizern mehrheitlich um eine existentielle, religiöse und spirituelle Suche: Der traditionellen kirchlichen Frömmigkeit entfremdet, wird eine neue, weniger geschichtlich belastete und dogmatisch geprägte als vielmehr eine allgemein-menschliche, persönliche Spiritualität gesucht. Die mehrtägige Unterweisung des Dalai Lama im Hallenstadion von Zürich im Sommer 2005 vor Tausenden von Zuhörern führte dies deutlich vor Augen.

Daß Zen-Meditation und asiatische Spiritualität aus dem "säkularisierten Westen" und dem christlichen Frömmigkeitsleben im deutschsprachigen Raum nicht mehr wegzudenken sind, wie dies Ursula Baatz kürzlich dargestellt hat(6), gilt für die Schweiz ganz besonders. Auch die Popularität der Baha'i in der Schweiz, die die Gleichheit aller Menschen und die Harmonie des Zusammenlebens der einzelnen Individuen betont, liegt auf der Linie dieser sanften Rückkehr des Religiösen. Diese scheint mit der Globalisierung kompatibler zu sein, als das eher kollektive, geschichtliche und dramatische Religionsverständnis der abrahamitischen Religionen.

Initiativen der Landeskirchen und das nationale Netzwerk

Daß die Zeit gekommen ist, eine erste Bestandsaufnahme der gewachsenen interreligiösen Organisationen und Institutionen zu machen, zeigt die fast 200 Seiten starke Broschüre "Institutionen des interreligiösen Dialogs in der Schweiz", die in diesem Herbst von der Pastoralplanungskommission der Schweizerischen Bischofskonferenz herausgegeben worden ist(7). Das "Schweizerische Pastoralsoziologische Institut" (SPI) in St. Gallen hat in Zusammenarbeit mit der "Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz" (IRAS) dieses zweisprachige (deutsch-französische) Nachschlagewerk geschaffen, um einen Überblick über die unterschiedlichen Initiativen anzubieten.

Darin sind kurze Profilbeschreibungen und Kontakt-Adressen der einzelnen Gremien und Organisationen zu finden, wobei die Präsentation auf deren Selbstdarstellung beruht. Neben den nationalen und regionalen Kommissionen zum interreligiösen Dialog stehen die zahlreichen bilateralen Arbeitsgemeinschaften. Zudem sind Institutionen im interreligiösen Forschungs- und Bildungsbereich wie auch staatliche Organe aufgeführt. Die katholische Kirche der Schweiz will gemäß der "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" ("Nostra Aetate") des Zweiten Vatikanischen Konzils ein Hilfsmittel zum Religionsdialog für alle bereitstellen, die am interreligiösen Gespräch interessiert sind und dazu beitragen möchten, daß die Religionen nicht nur für die eigenen Mitglieder da sind, sondern darüber hinaus einen konstruktiven Beitrag für das sozial gerechte und friedvolle Zusammenleben leisten wollen.

Der Schweizerische Rat der Religionen

Das wichtigste interreligiöse Gremium, das für die Schweiz ein historisches Novum darstellt, als Meilenstein der Verständigung gepriesen und unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit im Mai 2006 gegründet wurde, stellt der "Schweizerische Rat der Religionen" dar. Offiziell beauftragte Leitungspersönlichkeiten aus den drei Landeskirchen (reformiert, römisch-katholisch, christkatholisch/altkatholisch), der jüdischen Gemeinschaften und der muslimischen Organisationen haben Sitz in diesem Rat der abrahamitischen Religionen, der vorerst von Pfarrer Thomas Wipf, dem Vorsitzenden des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), geleitet wird.

Wipf lancierte die Idee des Rates angesichts des Golfkriegs 2003 und konnte ihn nun nach eineinhalbjähriger Vorbereitung zusammen mit den Bischöfen Kurt Koch, damals Vizepräsident und inzwischen Präsident der Katholischen Schweizer Bischofskonferenz, und Fritz-René Müller, dem Vertreter der Altkatholischen Kirche der Schweiz, Alfred Donat, dem Präsidenten des "Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes" (SIG), sowie Farhad Afshar und Hisham Maizar, die islamische Dachorganisationen (Koordination Islamischer Organisationen in der Schweiz bzw. Förderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz) vertreten, gründen.

Bald nach der Gründung meldete sich in der Öffentlichkeit ein kritischer feministischer Protest gegen den "Männerrat der Religionen", unterzeichnet von 26 Frauen aus allen drei Religionen, die in religiöser und interreligiöser Arbeit engagiert sind. Sie forderten die Beteiligung von Frauen im Rat(8). Ansonsten fielen die Reaktionen durchwegs positiv aus, und große Erwartungen wie auch zahlreiche weiterführende Fragen wurden angesichts der im Mandat des Rates formulierten Ziele diskutiert. Sie lauten: "Beitrag zum Erhalt und zur Förderung des religiösen Friedens in der Schweiz; Verständigung unter den Teilnehmern über gemeinsame Anliegen; Vertrauensbildung zwischen den Religionsgemeinschaften; Dialog zu aktuellen religionspolitischen Fragestellungen; Ansprechmöglichkeit für Bundesbehörden in diesen Fragen."(9) Die im Normalfall zweimal jährlich abgehaltenen Beratungen der Religionsvertreter werden vertraulich sein, doch wird gespannt auf die ersten Pressemitteilungen gewartet, um zu sehen, in welche Richtung sich der Rat bewegt. Daß die asiatischen Religionen nicht vertreten sind, obwohl der Rat sich grundsätzlich offen zeigt, im gegebenen Fall auch ihre Anliegen aufzunehmen, ist ein sprechender Ausdruck für die aktuelle politische und gesellschaftliche Relevanz bzw. Nichtrelevanz der verschiedenen Religionsgemeinschaften.

Die interreligiöse Arbeitsgemeinschaft der Schweiz

Während angesichts der weltpolitischen Konstellation, die sich vor allem zwischen jüdisch, christlich und muslimisch geprägten Kulturen ergeben hat, auf höchster Ebene ein Gremium geschaffen wurde, von dem man noch nicht weiß, wie es sich bewähren wird, kann die "Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft der Schweiz" (IRAS; französisch COTIS) bereits auf 14 Jahre fruchtbare Verständigungsarbeit zwischen unterschiedlichen Religionsgruppen und auf ihre Integrationsförderung gegenüber der Schweizerischen Gesellschaft zurückblicken.

Als Interessengemeinschaft von Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder Institutionen und Organisationen mit religiöser oder soziokultureller Ausrichtung sind, bezweckt sie, kulturellen Minderheiten die Wahrnehmung ihrer religiösen Anliegen zu ermöglichen(10). Unzählige lokale Gemeinschaften oder Einzelpersonen, besonders tamilischer und hinduistischer Herkunft, haben hier bereits Beratung und Unterstützung in ihren Anliegen gegenüber den politischen Behörden erhalten. Sowohl die katholische Bischofskonferenz, der neue Rat der Religionen wie auch der Staat haben die Zusammenarbeit mit der IRAS bereits erprobt bzw. bekräftigt.

Seit der Neuausrichtung der IRAS vor zwei Jahren ist verstärkt auch ein interreligiöses Bildungsprogramm zu ihren bisherigen Initiativen hinzugekommen.Vom 6. bis 12. November 2006 fand die erste "Woche der Religionen" statt, die in Zukunft jährlich durchgeführt werden soll. Dabei geht es um Vernetzung und Bündelung bereits existierender und Stimulierung neuer interreligiöser Veranstaltungen in der gesamten Schweiz, um diese Aktivitäten wirksamer ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu bringen. Zudem ist ihre Arbeitsgruppe "Religionsfreiheit" mit der Vorbereitung eines Bewußtseinsbildungprozesses und einer Konferenz zu diesem Rechtsgut befaßt.

Religionsfreiheit wird nicht nur von den religiösen Gemeinschaften unterschiedlich verstanden, sondern ist auch juristisch ein hochkomplexes, mit anderen Bürgerrechten konkurrierendes Gut, wie die Kopftuchfrage, die Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen oder andere Verletzungen von religiösen Gefühlen immer wieder zeigen. Die breit zu initiierende Diskussion zu diesem Themenbereich soll konfliktvorbeugende Verständigungsarbeit sein. Da aus historischen Gründen die Landeskirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bevorzugt sind, soll die Arbeitsgruppe darüber hinaus auch auf eine Rechtsgleichheit der Religionsgemeinschaften hinwirken, die über die Bundesverfassungsartikel der Glaubensäußerungsfreiheit und des religiösen Diskriminierungsverbots hinausgeht. Daher sind Politiker und Politikerinnen wie auch Medienschaffende eine besondere Zielgruppe dieses langfristig angelegten Projekts.

Basisarbeit und Initiativen in Genf und Lausanne

In der französischsprechenden Schweiz wurde der interreligiöse Dialog zuerst 1992 in Genf durch die "Plate-forme interreligieuse de Genève" institutionalisiert(11). Heute ist die Plattform als Verein mit 26 Mitgliedern aktiv, die zum großen Teil amtliche Funktionen in ihren eigenen religiösen Gemeinschaften haben. Ihre Charta von 1997 betont, daß es sowohl um eine von jeder Person frei gewählte Suche nach Gott bzw. der letzten Wirklichkeit, wie auch um den Dialog zwischen Religion und Gesellschaft geht. Spiritualität und sozialpolitisches Engagement werden in dieser Initiative verbunden, die stark von der reformierten Landeskirche geprägt ist.

Ganz ähnlich ist die Situation in Lausanne, wo der 1998 gegründete Verein "L'Arzillier" mit seinem Haus einen zentralen Ort des interreligiösen Dialogs darstellt(12). Die Mitglieder des Vereins sind Privatpersonen, wobei auch hier die reformierte Kirche finanzielle und ideelle Unterstützung leistet. Das Zusammenleben der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften wie auch der Gruppierungen innerhalb einer Religion zu fördern, ohne synkretistisch oder proselytisch zu sein, ist ein erklärtes Ziel der Statuten. So gehören Stellungnahmen zu öffentlichen Konflikten, Beiträge zur Wertediskussion in der Schweizer Gesellschaft, aber auch interreligiöse Aktionen wie Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an das interreligiöse Gebet von Papst Johannes Paul II. in Assisi im Jahr 1986 zu den Vereinsaktivitäten.

Interreligiöse Aktivitäten in Zürich und Bern

Unter den deutschschweizerischen Initiativen zur Integration religiöser Minderheiten, ihrer Vermittlung gegenüber den Behörden und ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft sind zwei Projekte besonders hervorzuheben: Das Projekt "Haus der Religionen - Dialog der Kulturen" in Bern und das "Zürcher Forum der Religionen". Das Zürcher Forum wurde 1997 dank einer Initiative der Stadt Zürich gegründet und ist heute ein Verein, in dem sich staatliche Stellen des Kantons Zürich mit religiösen Gemeinschaften zusammengeschlossen haben(13). Kanton, Bund und auch die Landeskirchen tragen ihn finanziell mit. Das Forum versteht sich als neutraler Partner zwischen den Religionsgemeinschaften und als ihr Bindeglied zu Gesellschaft und Staat. In praktischen Fragen wie zum Beispiel Aufenthaltsbewilligungen für Seelsorger wird mit der IRAS zusammengearbeitet.

Darüber hinaus bildet das Forum eine Plattform für interreligiöse Begegnungen und bietet ein Bildungsprogramm für eine breite Öffentlichkeit an. Eine Begegnung mit dem Dalai Lama im Sommer 2005 anläßlich seines Aufenthalts in der Schweiz sowie eine Reihe von Abendveranstaltungen zum Islam zählen zu den bemerkenswerten Initiativen des Forums. Doch auch Einführungen ins Christentum für Nichtchristen, ökumenische Kontakte zu den in Zürich präsenten Ostkirchen, religiöse Fortbildung für Verwaltungsangestellte des Kantons oder spezielle Angebote für junge Muslime gehören zur breiten Palette der Basisarbeit, die hier für die Zivilgesellschaft geleistet wird.

Die Arbeit des Vereins Haus der Religionen - Dialog der Kulturen(14) unterscheidet sich insofern von der Zürcher Initiative, als in Bern seit Jahren zusätzlich auf ein Haus der Religionen hingearbeitet wird, dessen Eröffnung für das Jahr 2008 anvisiert ist. Das elfstöckige, multifunktionale Gebäude hat den Aufriß eines L und besteht aus zwei Teilen: Der Mietwohnungs- und Büroteil soll die Gelder abwerfen, mit denen eine multireligiöse Sakralraumanlage im anderen Teil, dem Fuß des L, finanziert wird. Über diese "Mantelnutzung" durch Vermietung an Private im senkrechten Teil des L soll zudem auch in der weiteren Zukunft Geld in den Unterhalt des Hauses der Religionen fließen. Es ist konzipiert mit Kulträumen für verschiedene Religionen, Bibliotheken, öffentlichen Räumen, einer Cafeteria und einem Kinderhort auf drei Etagen des Gebäudes. Die Stadt Bern will in diesen Monaten das Baugesuch bestätigen und scheint bereit zu sein, dafür ein Grundstück zu einem reduzierten Zins zur Verfügung zu stellen. Die sechs vertretenen Religionsgemeinschaften der Juden, Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten und Baha'i haben das Geld für ihre je eigenen Sakralräume aufzubringen. Während die einen in der Planungsphase über Hunderte von Details verhandeln - so können zum Beispiel Hindus und Muslime über ihren Gebetsräumen keinen Wohnbereich dulden, die Gebetsrichtung in der Moschee muß bekanntlich nach Mekka ausgerichtet sein -, arbeiten andere am Betriebskonzept.

Daß die Kirchen angesichts von genügend Sakralräumen in der Stadt Bern auf einen besonderen christlichen Gebetsraum verzichten wollen, erscheint seltsam. Denn die Sakralräume haben, wie auch der ortsansässige Rabbiner bekräftigt, für die etablierten Religionsgemeinschaften nicht den Sinn, daß die Gemeindetätigkeiten dahin verlegt werden. Vielmehr soll das Haus der Religionen zum exemplarischen Ort des interreligiösen Lernens in einer multireligiösen Gesellschaft und in einem religionsneutralen Staat werden, wo sich die christlichen Kirchen wie die anderen Religionen einzureihen haben. Der Präsident des Vereins, der Herrnhuter Pfarrer Hartmut Haas, setzt sich denn auch seit vielen Jahren verdienstvoll für ein gleichwertiges Nebeneinander der Religionen in Bern ein(15).

Der Verein ist aus der Berner Diskussionsplattform "Runder Tisch der Religionen" hervorgegangen, wo sich seit 1993 Vertreter der abrahamitischen Religionen wie auch der Hindus und Buddhisten treffen. Die Vereinsarbeit findet alle paar Jahre einen festlichen Höhepunkt im mehrtägigen "Fête KultuRel", einem einzigartigen Bildungsanlaß und Event, wo die breite Bevölkerung an Diskussionen und kulturellen Darbietungen, religiösen Feiern und Ausstellungen teilnehmen kann. Mit dieser kontinuierlichen Arbeit reicht das Berner Projekt weit über einmalige ähnliche Veranstaltungen hinaus, die in den letzten Jahren an verschiedenen Orten durchgeführt wurden, wie zum Beispiel 2005 in St. Gallen, wo die von staatlichen und religiösen Vertretern unterzeichnete "St. Galler Erklärung für das Zusammenleben der Religionen und den interreligiösen Dialog" veröffentlicht wurde(16). Bern hat dem Verein am 23. Juni den städtischen "Integrationspreis 2006" verliehen. In der Laudatio hieß es:

"Der Verein versteht Integration der verschiedenen Kultur- und Religionsgemeinschaften als einen konkreten sozialen und gesellschaftspolitischen Prozeß ... Dieser Dialog beinhaltet ausdrücklich auch nicht-religiöse Wertekonzepte (Aufklärung, Menschenrechte usw.). Diese Offenheit ist beispielhaft."(17)

Zu dieser Auszeichnung hat auch die Zusammenarbeit des Vereins mit der Berner Fachhochschule - Kompetenzzentrum Mediation und Konfliktmanagement beigetragen(18). Im Frühjahr 2006 konnte nämlich der von beiden Institutionen getragene erste Zertifikatslehrgang "Moderation und Mediation im interkulturellen und interreligiösen Dialog" abgeschlossen werden. 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Religionsgemeinschaften lernten an den drei Modulen, die insgesamt 25 Tage umfaßten, die Vielfalt an Formen und Werten innerhalb der unterschiedlichen Religionen und Kulturen zu reflektieren und konstruktiv deren Kommunikation zu steuern bzw. bei Konflikten zu vermitteln.

Schließlich muß hier auch das "Institut für interkulturelle Zusammenarbeit und Dialog" genannt werden, das die einzige Dialoginstitution der Schweiz darstellt, die ganz von muslimischer Seite initiiert und getragen wird. Seit 2004 organisieren durch diesen Verein vor allem junge Türken Konferenzen, Seminare und bieten Vorträge an, wobei sie nicht nur die Christen, sondern auch die Juden im Dialog berücksichtigen und das Zusammenleben in der Schweizer Gesellschaft thematisieren.

Zur neuen religionspolitischen Fragestellung

An verschiedenen Orten der Schweiz beginnen Ausbildungsstätten für interkulturelle Kommunikation, für Mediation in Konflikten, für Entwicklungshilfe und Missionseinsätze sich explizit mit Fragestellungen des interreligiösen Dialogs zu befassen(19). Auch die "Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit" (DEZA) des Bundes hat unter der Leitung von Anne-Marie Holenstein einen mehrjährigen Arbeitsprozeß zur Bedeutung und Rolle von Religion und Spiritualität in der Entwicklungs- und humanitären Zusammenarbeit lanciert(20).

Bezeichnend für die meisten Initiativen scheint es zu sein, daß sie die Säkularisierungsthese etwas modifizieren und von einer sozialpolitischen Motivation geleitet sind, die sie den Faktor Religion ernst nehmen läßt. Die Zielsetzung ist stets das friedvolle und gerechte Zusammenleben der Gesellschaften, Staaten und Kulturen in einer globalisierten Welt. Da sich nach der vernichtenden Religionskritik der Moderne allmählich die Erkenntnis durchsetzt, daß die Religionen nicht nur als nebensächlicher Überbau oder private Dekoration, sondern als sinn- und identitätsstiftend für alle Gesellschaftsgruppen zu verstehen sind, haben in diesem Bereich auch staatliche und religiöse Organisationen zu einer neuen Zusammenarbeit gefunden.

Die Religionen werden im Blick auf ihren friedensfördernden Auftrag zur Verantwortung gezogen, und ihr heilsstiftendes Potential will nutzbar gemacht werden. Demgegenüber wird ihre konfrontierende Seite weitgehend ausgeblendet und die Wahrheitsfrage in expliziter Weise meistens umgangen. Vielmehr wird stillschweigend für diese gesellschaftsfähig und populär gewordene Ebene der interreligiösen Zusammenarbeit weitgehend die Gleichwertigkeit aller Religionssysteme vorausgesetzt. Davon werden Zerrformen der Religion wie Fundamentalismus und Sekten abgegrenzt. Auch die Beurteilung und Einordnung der Religion durch eine aufgeklärte und humanistische Weltanschauung, die in den Menschenrechten und in der Institution der rechtsstaatlichen Demokratie ihre sozialpolitische Abstützung hat, wird weitgehend geteilt. Insofern hat in der Schweizer Gesellschaft die Sicht der vergleichenden Religionswissenschaft und der pluralistischen Religionstheologie breite Resonanz gefunden und stützt viele Initiativen in Form einer pragmatischen Zusammenarbeit. Auch viele Mitglieder der traditionellen Landeskirchen haben sich an einen Religionspluralismus gewöhnt und vertreten ihn inzwischen auch als normative Weltanschauung, ohne dabei noch Spannungen gegenüber einem christlichen Wahrheitsanspruch zu sehen bzw. sich über den kirchlichen Missionsauftrag Gedanken zu machen.

Dieser Entwicklung des populären und unmittelbar sozialpolitisch ausgerichteten interreligiösen Dialogs entspricht andererseits die Formierung von katholischen wie auch reformierten und evangelisch-freikirchlichen Kreisen, die in den letzten Jahren in der Schweiz einen starken Aufschwung erhalten haben. Sie sehen in den Dialogprojekten nur eine Funktionalisierung und Verflachung der Religion bis hin zu einem Ausverkauf des Christentums. Während sie sich aus diesem Grund nicht auf das interreligiöse Gespräch einlassen, nehmen viele muslimische und buddhistische Gruppierungen, die zwar ihrerseits auch an einem Wahrheitsanspruch festhalten, der im Grund einem Religionspluralismus widerspricht, aus pragmatischen Gründen daran teil. Allein dadurch können sie sozial, politisch und rechtlich ihre Situation verbessern, wobei die entsprechenden christlichen Gemeinschaften infolge ihrer historisch gewachsenen, gesellschaftlichen Privilegierung kein solches Interesse verfolgen.

Anders sieht es zum Teil bei den theologisch und wissenschaftlich geschulten Vertretern und Vertreterinnen der Landeskirchen wie auch der jüdischen Gemeinschaften im interreligiösen Dialog aus. Sie verfolgen ihre Interessen oft differenziert und auf verschiedenen Ebenen: Sie engagieren sich in der Begegnung der Religionsgemeinschaften aus sozialer Überzeugung und arbeiten an einer religionspluralistischen Gesellschaft aus pragmatischen Gründen mit. Zudem verstehen sie sich oft als Bürger einer aufgeklärten Zivilgesellschaft. Gleichzeitig sind sie sich bewußt, daß Dialog und Kommunikation nicht nur eine soziologische Notwendigkeit der Stunde ist, sondern auch zutiefst aus einem biblischen Konzept gespeist wird. Dialog, dessen Etymologie "durch das Wort" bedeutet, gehört zum Grundprinzip, wie die Bibel göttliche und menschliche Tätigkeit versteht.

Das Dialogische gehört für sie also nicht allein zum sozialen Kerngeschäft der Religion, sondern wird seit der Dialogphilosophie und -theologie als Art und Weise der Offenbarung, des besonderen Bundesschlusses zwischen Gott und Mensch und der Verbindung der Geschöpfe allgemein gesehen(21). Somit ist für sie der Dialog theologisch gefüllt und steht als Alternative zur Begegnung mit dem Anderen "durch Gewalt". Andererseits halten die Vertreter der etablierten Religionsgemeinschaften oft auch an ihren Missionsaufträgen und Wahrheitsansprüchen fest, thematisieren sie jedoch aus strategischen Gründen nicht immer. Wenn sie es trotzdem tun, wie zum Beispiel Bischof Kurt Koch angesichts einer interreligiösen Veranstaltung des Katharina-Werks (einer ökumenischen Einrichtung mit interreligiöser Ausrichtung) im April 2006 in Basel, dann um die Religionsbegegnung aus der Banalität zu heben und ihr bewußt zu machen, vor welcher Verantwortung und Größe der Aufgabe sie steht.

Interreligiöse Kompetenz durch Aus- und Weiterbildung

Einen ersten Ausbildungslehrgang für interreligiöse Kompetenz auf dem Niveau eines Nachdiplomstudiengangs, der sowohl die sozialpolitischen wie auch die weltanschaulich- theologischen und religionswissenschaftlichen Aspekte des interreligiösen Dialogs thematisiert, hat das "Lassalle-Haus" in Bad Schönbrunn in Zusammenarbeit mit der "Stiftung Weltethos Schweiz" von Hans Küng im Frühjahr 2006 mit 25 Teilnehmern begonnen(22). Vermittlung von Basiswissen zu den Religionen, Begegnungen mit Religionsvertretern, soziologische Einordnung des Phänomens Religion, Erlernen von unterschiedlichen Dialogmodellen wie auch die Arbeit mit einem Modell zur Entwicklung interreligiöser Sensibilität gehören zum einjährigen Ausbildungsprogramm. Viele Dialogerfahrungen können dabei einfließen, da beide Trägerorganisationen bereits über eine längere Geschichte verfügen. Die Stiftung Weltethos ist nicht nur weltweit aktiv, wie zum Beispiel beim Parlament der Weltreligionen 2004, sondern hat in der Schweiz auch schon viele Angebote in der Erwachsenenbildung durchgeführt.

Das Lassalle-Haus pflegt seit 1993 den buddhistisch-christlichen Dialog und hat dabei von Anfang an der spirituellen Erfahrung einen zentralen Stellenwert beigemessen. Zen-Meditation wurde zu einem zentralen Ort des Dialogs. Zudem wurde in den letzten fünf Jahren der Dialog unter den abrahamitischen Religionen stark ausgebaut, so daß 2005 in der Zusammenarbeit mit dem "Museum für Weltreligionen" in Taipei und dem "Elija-Institut" in Jerusalem eine multireligiöse, viertägige Konferenz zu "Mystik und Frieden" durchgeführt werden konnte. Der besondere Schwerpunkt im jüdisch-christlichen Gespräch des Lassalle-Hauses, das sich als Zentrum für Spiritualität, interreligiösen Dialog und soziale Verantwortung versteht, zeigt sich auch im laufenden Projekt, das für Juli 2007 eine größere Konferenz anläßlich 60 Jahre jüdisch-christlichen Dialogs seit der Shoah plant(23). In dieser Kooperation mit dem "Institut für Jüdisch-Christliche Forschung" an der Universität Luzern (IJCF), der "Jüdisch /Römisch-katholischen Gesprächskommission" (JRGK) der Schweizer Bischöfe und des "Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes" (SIG) ist zudem das Fernziel enthalten, auch in der katholischen Kirche der Schweiz einen jährlich wiederkehrenden Tag zur Verständigung mit dem Judentum zu institutionalisieren.

Für einen qualifizierten Dialog zwischen Christen und Juden hat sich neben der "Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft" (CJA) vor allem auch das "Zürcher Lehrhaus" verdient gemacht, das die jüdische Lehrhaustradition, ähnlich wie sie Franz Rosenzweig und Martin Buber zu verwirklichen suchten, auf den interreligiösen Dialog anwendet. Mit der Zeitschrift "Lamed", die wie das Lehrhaus zur "Stiftung für Kirche und Judentum" gehört, wird die Tradition für die Gegenwart fruchtbar gemacht, immer wieder auch mit Blick auf den Islam. Soziale und kulturelle Bildungsarbeit gegenüber dem Islam und der arabischen Welt bietet zudem die von der katholischen Kirche getragene "Paulus Akademie" in Zürich an.

Vom altorientalischen Kanaan zur Postmoderne

Abschließend sei auf zwei universitäre Projekte hingewiesen, die über die Universitätsmauern hinaus unmittelbar in die Gesellschaft hineinwirken. Unter dem Titel "Vertikale Ökumene. Erinnerungsarbeit im Dienst des interreligiösen Dialogs" hat Thomas Staubli 2005 eine kleine Aufsatzsammlung herausgegeben, worin die Tradierung von Kulturgütern von der altorientalischen, kanaanäischen Religion über Judentum, Christentum und Islam bis hin zur Aufklärung und Postmoderne bewußt gemacht wird(24).

Die Idee und Vision der "vertikalen Ökumene" stammt von Othmar Keel, dem inzwischen emeritierten Exegeten für Altes Testament der Universität Fribourg. Keel schlägt für die Brüche in der angesprochenen historischen Entwicklung zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften und Kulturträgern eine Art soziokulturelle Psychotherapie durch Erinnerungsarbeit vor. Nur so könnten die gegenseitig zugefügten Verletzungen heilen und das jeweils Verdrängte und nach außen Projizierte integriert werden. Dazu ist eine "Stiftung BIBEL + ORIENT" ins Leben gerufen worden(25). Neben wissenschaftlichen Buchreihen kann durch sie auch die universitäre Sammlung in Fribourg mit 14000 archäologischen Originalobjekten aus dem Vorderen Orient der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das 2005 neu eröffnete Ausstellungskabinett soll Teil eines geplanten Museums werden, das seinen symbolisch bedeutsamen Ort in einem Altstadtturm Fribourgs erhalten wird. Während der Bau für dieses einmalige Museum noch in der Planungsphase ist, konnten seit 2000 schon zwölf Ausstellungen an verschiedenen Orten im In- und Ausland durchgeführt werden. Dieses originelle Unternehmen dürfte das Wissen um das historische Gewachsensein der drei abrahamitischen Religionen und ihrer Wirkung in die globalisierte Welt hinein stark bereichern.

Vom Interesse, Religion im Rahmen der Gesellschaftsentwicklung neu zu thematisieren, zeugt auch das im Frühjahr 2006 eröffnete "Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik" an der Universität Zürich, das von der Universität Luzern mitgetragen wird(26). Auch wenn es nicht direkt eine interreligiöse Zielsetzung verfolgt, sondern eine Plattform für eine projektbezogene, interdisziplinäre Auseinandersetzung in den genannten Themenbereichen sein und dazu einen Masterlehrgang einrichten will, sei es hier aufgeführt. Die thematischen Schwerpunkte gelten nämlich der Imam-Ausbildung in der Schweiz, islamischer Finanzwelt, religiöser Wertevermittlung, der Zukunftsfähigkeit des weltanschaulich neutralen Staates, der Früherkennung religiös begründeter Konflikte wie auch Projekten, die sich mit den Strukturen religiöser Legitimierung bzw. Destabilisierung von Macht und Herrschaft befassen. Erste Resultate sind abzuwarten.

In dieser Bestandsaufnahme ist sichtbar geworden, wie mit viel Innovationsfreude und aus einer empfundenen Notwendigkeit heraus neue Projekte im Zug der Rückkehr des Religiösen entstanden sind. Es ist zu hoffen, daß das Erbe der Aufklärung, nun selbst aufgeklärter über das Phänomen Religion, zu einer neuen Art der Religionskritik findet, die ihren Namen auch wirklich verdient und Religion nicht mehr wegrationalisieren und unterdrücken will.

Daß die Religionsgemeinschaften durch die philosophische Kritik nur gewinnen können und daß die Welt eine "aufgeklärte Religion" braucht, ist jedem klar, dem das menschliche Zusammenleben auf dem Planeten Erde ein Anliegen ist. Es ist notwendig, den interreligiösen Dialog auf den unterschiedlichsten Ebenen nicht als reaktionären Schulterschluß der Religionen gegen den oft beklagten Zerfall der Moderne zu gestalten, sondern im Gespräch mit der Aufklärung zu führen. Das Christentum, das seit seinem Ursprung, weil der Wahrheit verpflichtet, den fremden Religionen immer eher skeptisch gegenüberstand, sich der griechischen Philosophie jedoch von Anfang an öffnete und nun auch durch die moderne Kritik hindurch mußte, wird hoffentlich seine besten Beiträge zu dieser Entwicklung leisten können.

Stimmen der Zeit (2006) 795-808

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