Die Geldphilosophie der jungen Generation

Das Geld spielt in der Entwicklung des einzelnen und im Zusammenleben der Menschen eine wesentliche Rolle. Die Soziologie und die Sozialpsychologie haben sich jedoch noch kaum mit diesem Thema befaßt, so daß nur wenige empirische Daten über den Umgang der Menschen mit Geld vorliegen. Gerhard Schmidtchen, Professor für Sozialpsychologie und Soziologie an der Universität Zürich, sammelt diese Ergebnisse und versucht eine Interpretation.

Die soziologische, auch die psychologische Wissenschaft vom Geld präsentiert sich in einem erbärmlichen Gewand. Es gibt kein Lehrbuch und keine neuere geschlossene Abhandlung über diesen Aspekt der sozialen Organisation. Was macht man in dieser Lage? Man geht auf den Flohmarkt. Ich habe unter fünf Perspektiven einmal den wissenschaftlichen "Flohmarkt", also sozusagen das suboffizielle Angebot an Wissen, angesehen und möchte über die Ergebnisse reflektieren.

1. Die Sozialspychologie des Sparens

Die Sparsamkeitsgrundsätze steigen mit dem Alter. Man erhält für Sparsamkeitsgrundsätze immer eine sehr beachtliche Alterskorrelation. Nicht etwa weil ältere Leute mehr Geld haben; auch wenn man eine finanziell bereinigte Korrelation macht und noch dazu eine bereinigte Korrelation nach Haushaltsgröße, steigen die Sparsamkeitsgrundsätze mit dem Alter.

Jeder Altersforscher weiß, daß mit dem Alter auch einiges andere ansteigt, die Ich-Schwäche zum Beispiel. Also hätten wir Spartätigkeit aus Ich-Schwäche. Was ist Ich-Schwäche? Je geringer die Aussicht ist, daß man es in seinem Leben noch einmal schafft, mit veränderten Umständen fertig zu werden, in dem Maß hat man Ich-Schwäche. Und diese steigt mit dem Alter wie die Sparquote. Man sieht diese Alterskorrelation in allen Untersuchungen.

In einer Untersuchung von 1959, die ich mit Schmölders und Scherhorn zu sammen gemacht habe, wurde aus vier Sparsamkeitsfragen ein Index der Spar samkeitsgrundsätze entwickelt. Die Fragen lauteten, ob Sparsamkeit eine wich tige Eigenschaft sei; ob man lieber zwei Stunden auf einen Omnibus warte, als ein Taxi zu nehmen; ob man lieber auf den Kinobesuch verzichte, als einen teu ren Logenplatz zu nehmen; und ob man jede Mark dreimal umdrehen solle, be vor man ans Ausgeben denke. Nach diesen Testfragen wurden Haushalte, nicht Personen, nach ihren Sparsamkeitsgrundsätzen eingestuft. Dies war möglich, weil die Untersuchung auf der Basis von Familieninterviews durchgeführt wurde. Sowohl die Sparsamkeit der Hausfrau als auch die des Haushaltsvor stands wurde berücksichtigt, sofern nicht eine Person alle Haushaltsentscheidun gen repräsentierte. Das Ergebnis zeigte, daß gut die Hälfte aller Haushalte in der Bundesrepublik damals, im Jahr 1959, mit einem ausgeprägten Sparsamkeitssinn ausgestattet war. Ein Viertel der Haushalte befolgte maßvolle Sparsamkeitsmaximen und ein weiteres Viertel wirkte in den Interviews leger und großzügig. Zugleich ergab sich, daß die Striktheit der Sparsamkeitsgrundsätze mit dem Alter regelmäßig ansteigt, von 39 Prozent in der jüngsten Altersgruppe (bis zum 29. Lebensjahr) auf 60 Prozent, sobald der Haushaltsvorstand das 60. Lebensjahr überschritten hat(1).

Eine andere Beobachtung differenziert dieses Bild etwas: Eine neue Untersuchung (Ergebnis einer großen Medienuntersuchung von Infratest) informiert über den Umfang des Taschengelds und des Sparens bei ganz jungen Menschen. Eine Stichprobe läuft von 8 bis 14 Jahren und eine andere von 12 bis 21 Jahren. Da sieht man, daß Kinder im Alter von 8 Jahren schon zu 80-90 Prozent mit Taschengeld ausgestattet sind. Die Taschengeldeinnahmen steigen ein wenig mit dem Alter. Es kommt noch anderes hinzu, was junge Leute hinzuverdienen oder quasi verdienen; sie machen sich etwa im Haushalt nützlich oder schreiben eine Eins in der Schule und bekommen dafür eine Prämie.

66 Prozent der jungen Menschen zwischen 12 und 21 Jahren sparen. Die Sparneigung steigt bereits in dieser Jugendgruppe mit dem Alter an. Mit dem Alter der Jugendlichen wachsen die Ersparnisse rasch an, und zwar parallel mit dem Anstieg des verfügbaren Geldes. Man kann hier indessen nicht von ausbrechender Ich-Schwäche reden. Bei Menschen, die sich gerade anschicken, das Leben in die Hand zu nehmen, muß es etwas anderes sein. Da gibt es zwei Faktoren.

Faktor 1 ist ein trivialer Sachverhalt, der in der Nationalökonomie nie so formuliert wird. In den Wirtschaftswissenschaften ist man gewohnt, vom unter proportionalen Anstieg des Konsums mit dem Einkommen zu sprechen. Spar tätigkeit wird also reziprok gesehen. Man spart, wenn die Konsummotive feh len, also wenn man nicht weiß, was man sonst mit dem Geld machen soll. Keh ren wir zu den Befunden zurück: Je älter die jungen Leute werden, desto mehr Geld bekommen sie und desto mehr sparen sie infolgedessen. Aus diesem Sach verhalt ist doch nur der einfache Schluß zu ziehen: Zum Sparen braucht man Geld.

Faktor 2 spricht in besonderem Maß gegen eine Residualtheorie des Sparens. Junge Leute haben Projekte, die sie verwirklichen wollen. Wer Projekte hat, besorgt sich Geld für seine Projekte. Ratenzahlungen nehmen mit dem Alter stark ab. Auch die Neigung, sich Geld zu borgen, nimmt mit dem Alter sehr stark ab. Am meisten leihen sich jüngere Haushalte Geld.

In der bereits zitierten Untersuchung über den Umgang der Deutschen mit Geld aus dem Jahr 1959 heißt es dazu: "Etwa ein Drittel aller Haushalte in der Bundesrepublik arbeitet mit irgendwelchen Formen des Kredits oder mit Dar lehen. Die geläufigste Form, auf künftiges Einkommen vorzugreifen, ist der Abschluß eines Ratenzahlungsvertrags. Dann folgen der Kredit von der Sparkasse, Hypotheken, Darlehen von privater Seite, der Kredit beim Kaufmann (anschreiben lassen) und schließlich betriebliche Darlehen.

In der einen oder anderen Form verschuldete Haushalte finden wir in nahezu gleich großer Zahl in allen Einkommensgruppen vor; nur bei ganz niedrigem Einkommen und auf der anderen Seite bei relativ hohem Einkommen spielen die Kaufverträge auf Raten eine geringere Rolle. Die Höhe der Verschuldung indessen variiert mit dem Einkommen. Die durchschnittliche, absolute Höhe der Ratenzahlung und des Schuldendienstes in den einzelnen Einkommensgruppen steigt mit zunehmendem Einkommen an, um von der Marke 800 DM (Netto-Monatseinkommen des Hauptverdieners) an wieder zu sinken."

Verhältnismäßig kräftig verschuldet sind alle Menschen, die sich in einer dynamischen Lebensphase befinden, vornehmlich also Menschen im Alter zwischen 30 und 44 Jahren, die mit der Gründung von Hausstand und Familie beschäftigt und nicht gewillt sind, ihren materiellen Bedarf so lange zu rationieren, bis sie die notwendigen Sparbeträge angesammelt haben, mit denen sie sich ihren Wünschen entsprechend ausstatten können.

Diese Haushalte haben substantielle Projekte, Anschaffungsprojekte. Aus dem gesellschaftlichen Nachrichtensystem von den Nachbarn, von den Eltern und von der Jugendlichen-Subkultur erfährt man: So sollte man leben. Dann versucht man die Pläne zu realisieren. Man stellt verärgert fest, daß die Vorhaben Geld kosten. Jetzt muß man das Geld besorgen, indem man beruflich tätig ist. Wenn das nicht ausreicht, besorgt man sich Geld auf die Zukunft. Dieser Typus des jungen Familienvaters, der jungen Hausfrau, des jungen Mannes oder des jungen Mädchens ist im Grund genommen vom Konsum her unternehmerisch. Sie planen in eine Zukunft hinein, benutzen Geld und eröffnen Geldquellen zur Ausgestaltung ihres Daseins, das sie für das notwendige Dasein halten. Sie haben sich ihren Lebensstil nicht ausgedacht, die Gesellschaft schreibt ihn vor.

Die Frage, wozu man eigentlich Geld braucht, ist hier vom geldwirtschaft lichen Teil abgelöst. Es sind soziale Normen und Lebensbilder, die einem vor schreiben, was man haben und realisieren sollte. Die Wünsche, die Motive sind so drängend, werden von der sozialen Umgebung auch so herrisch verlangt, daß junge Menschen sich auf den Kopf stellen, um das zu erreichen. Und wenn es nicht anders geht, muß die Ehefrau arbeiten, auch wenn Kinder da sind, oder noch moderner: man verzichtet auf Kinder.

Wir haben von den Motiven und den Zielen gesprochen. Aber wie geht Spa ren in Wirklichkeit vor sich? Gibt es planerisches, rationales Sparen? Wir haben gemessen, daß die Rationalität vieler Haushalte überhaupt nicht besteht. Der Erfolg kommt trotzdem. Sie machen das so, daß sie über Ausgaben und Wün sche nicht mehr sprechen. Das Gespräch, was man wirtschaftlich tun sollte, ver siegt. Der Haushalt, der nicht plant und kein Geld hat, verstummt. Der Ge sprächsstoff über diese Thematik sackt in sich zusammen. Aber die planen können, sprechen auch dann, wenn sie wenig Geld haben, über ihre Ziele, das Eigenheim usw. Die anderen schränken ihren Horizont ein.

In der Untersuchung von 1959 heißt es dazu: "Tag für Tag sprechen in der Bundesrepublik zahlreiche Menschen über neue Dinge, die sie sich angeschafft haben, und insbesondere auch über Dinge, die sie sich anschaffen wollen. Hier zunächst eine Übersicht, wie viele Haushalte in der Bundesrepublik sich im Laufe einer kürzeren Zeitspanne mehr oder weniger intensiv über Konsumwünsche unterhalten haben: In rund zwei Fünfteln der Haushalte hat der Haushaltsvorstand oder die Hausfrau in der letzten Zeit Wunschgespräche mit fünf oder mehr Themen geführt; in einem weiteren Drittel der Haushalte wurden drei bis vier verschiedene Wünsche diskutiert, und in 29 Prozent der Haushalte war von Konsumwünschen vergleichsweise wenig die Rede. Je niedriger nun das Einkommen, desto mehr versiegen die Wunschgespräche.

Wir hatten uns die Frage vorgelegt, wie eigentlich die wenig rechenhaften und wenig sparsamen Haushalte finanziell überleben können. Hier liegt ein Schlüssel zum Verständnis der unbewußten Anpassungsvorgänge, mit deren Hilfe sich diese Haushalte fangen: Haushalte, die nicht planen, gleichen diesen Mangel durch eine Reduktion ihrer Wünsche aus.

Wir haben also zwei Mechanismen kennengelernt, mit denen die Menschen auf beengte wirtschaftliche Verhältnisse unbewußt, teils auch vielleicht bewußt, in jedem Fall aber mit einer gewissen Automatik, reagieren: den Aufbau einer Sperre gegen Ausgaben in Form einer bestimmten Schwelle von Sparsamkeitsgrundsätzen, die je nach der Einkommensentwicklung ganz variabel niedriger oder höher gelegt wird; und den Abbau von Wünschen, der charakterisiert ist von bestimmten Ausweichtechniken, zum Beispiel dem Vermeiden von Gesprächen über Wünsche."

In einer jüngeren Untersuchung in der Region Zürich, die der "Tages-Anzei ger" durchführen ließ, wurde die Frage gestellt, für welche Märkte man sich eigentlich interessiert, worüber man gerne Nachrichten hätte2. Es stellte sich her aus, daß sich der Planungshorizont mit zunehmendem Einkommen, aber auch mit zunehmender Neigung, mehr Geld auszugeben, ausweitet. Sobald das Ge fühl da ist, daß man lieber Geld sparen sollte, schrumpft der wirtschaftliche Wahrnehmungshorizont. Das ist ein psychologischer Mechanismus. Das überlegt sich niemand rational, sondern wird wahrscheinlich von einer Angstaktivierung gesteuert. Der Organismus bekommt anhand von wirtschaftlichen Daten Angst, und dann kommt es zu Horizontverengung. Das ist ein wichtiger Sachverhalt, der meines Wissens in der Psychologie der Konjunktursteuerung noch nicht ge sehen worden ist

2. Rechenhaftigkeit, Rationalität des Haushalts

Wir haben gesehen: Sparsamkeit wächst mit dem Alter. Aber die Rechenhaftigkeit, also das Planungsverhalten, ob man seine Ausgaben vorher durchrechnet, ob man monetär in die Zukunft hineinplant, ob man Budgets macht, also das Haushaltsgeld in verschiedene Ausgabenposten einteilt, dieses Planungsverhalten hat man entweder schon ganz früh, mit 20 Jahren, oder man hat es nicht. Diese Rationalität wird offenbar sehr früh sozialisiert, während die Sparsamkeit, sozusagen mit wachsender Lebensangst, noch nachsozialisiert werden kann, aber dann einen leicht irrationalen Zug bekommt.

Wie steht es mit den Wirkungen dieser Sparsamkeitsmaximen und der Rationalität? Natürlich sind die Haushalte am erfolgreichsten, die Rationalität, also eine finanzielle wirtschaftliche Kompetenz, haben und außerdem noch Sparsamkeitsgrundsätze praktizieren. Die Rechenhaftigkeit der deutschen Haushalte hat seinerzeit Anlaß gegeben zu einer Revision der Protestantismus-Theorie. Nach der Schmölders-Untersuchung waren die Protestanten rechenhafter als die Katholiken. Das scheint zur Weberschen Theorie zu passen, aber es widerspricht Webers Thesen. Denn es war Max Weber, der den lutherischen Protestanten wirtschaftlichen Schlendrian vorwarf: Vor lauter Gottvertrauen und sakral abgesicherter Frömmigkeit vergäßen sie sogar, Lebensversicherungen abzuschließen. Bei ihnen herrsche auch wirtschaftlich eine mystische Anarchie.

Aber dann zeigten umfangreiche Forschungen im Bereich der deutschen Protestanten eine deutliche Überlegenheit wirtschaftlicher Kompetenz und Motivierung. Und das hatte andere Gründe, als Max Weber sie analysiert hatte. Es folgt nicht unmittelbar aus der Erlösungstheorie, wie er dachte, sondern ergibt sich aus der Strukturlosigkeit, in die Protestanten aus theologischen Gründen entlassen werden. Sie sind auf einer ewigen Wanderung zu sich selbst und suchen jeden Strukturhalt, der sich ihnen anbietet. Die Protestanten leiden unter einem Autonomiedruck, den sie selber nie einlösen können. Und deshalb findet jede neue politische Mode, auch jede neue moralische und jede neue wirtschaftliche Mode zuerst immer Anhänger unter den Protestanten. Protestanten sind Trendmacher. Wenn Wirtschaft und Beruf hohen gesellschaftlichen Wert haben, sind sie die erfolgreichsten, wenn Gammeln modern ist, sind sie die leidenschaftlichsten Gammler. Wenn es in Deutschland unruhig zu werden beginnt, dann sind es immer die Protestanten, die diese Unruhe einleiten(2).

Die planvollen Haushalte haben natürlich den größten Vermögenszuwachs, auch dann, wenn sie nicht so starke Sparsamkeitsmaximen haben. Nun zeigt sich in diesen konfessionellen Untersuchungen, daß die Katholiken die Normenwächter sind. Die Protestanten indessen haben die wirtschaftliche Kompetenz; sie planen, unternehmen irgend etwas. Und am Ende sind diese planvollen, aber nicht sehr stark an den Normen orientierten Protestanten die Erfolgreicheren. Man kann also zusammenfassend sagen: Die Katholiken haben die Prinzipien, und die Protestanten haben die Technik.

Das sind kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die weit über das Wirtschaftliche hinausgreifen. Denn wenn Konfessionen sich in ihrem Umgang mit Geld unterscheiden, dann doch nur, weil religiös begründete, sehr unterschiedliche Sozialisationspraktiken dahinterstehen.

3. Die Sinnfrage und der Umgang mit Geld

Zunächst ein einfacher Befund zur Einheitlichkeit der finanziellen Willensbildung in den Haushalten: Wenn man Frau und Mann unabhängig voneinander fragt, kann man schließen, wie einheitlich ein Haushalt in der Durchsetzung des Budgets, in der Einteilung, in den Prinzipien ist. Man kann einen Index bilden, wie einheitlich die Wirtschaflskonzeption der Haushalte ist. Dieser Einheitlichkeitsindex der Willensbildung steht in Beziehung zum Einkommen, d. h. je weniger Geld da ist, desto mehr sind die Haushalte gezwungen, eine strikte Einheitlichkeit zu praktizieren; sonst kommen sie mit dem Geld nicht aus. Die Kehrseite ist uneinheitliche Willensbildung, d. h. jeder macht, was er will. Das kostet aber Geld und muß finanziert werden. Je höher das Einkommen, desto mehr kann man sich eigene Vorstellungen leisten, wie man mit dem Geld und den Lebenstatsachen umgehen sollte. Diese Uneinheitlichkeit kann finanziert werden von den in guten Verhältnissen Lebenden, von den gebildeten Schichten; diese können sich unterschiedliche Wirtschaftsanschauungen im Haushalt leisten.

Die Vereinheitlichung der finanziellen Willensbildung im Haushalt wird durch Gespräche über Geld hergestellt. Wenn ein Haushalt in einem ganz be stimmten Beziehungsgefüge - das ist immer ein Sinngefüge - lebt, dann hat das Konsequenzen für die Art und Weise, wie Gesichtspunkte koordiniert werden, wie mit Geld umgegangen wird. Das sieht man besonders deutlich dann, wenn man Gesprächsthemen in den Familien mit der Qualität der Ehe in Beziehung setzt.

Je unglücklicher eine Ehe, desto mehr sagen die Ehepartner: Wir streiten uns über Geld. Von jenen 30 Prozent Ehepartnern, die eine in jeder Beziehung glück liche Ehe führen, erklärten 25 Prozent, also jeder vierte, daß es zu Meinungs verschiedenheiten über Geldsachen käme. Von denen jedoch, die erklären, ihre Ehe sei sehr unglücklich (2 Prozent aller Ehepartner), klagen 62 Prozent über Meinungsverschiedenheiten finanzieller Art. Dies ist ein Befund aus einer Ehe untersuchung im November 1957.

Wenn die Frage nach dem Sinn einer Beziehung zwischen Mann und Frau nicht mehr positiv beantwortet werden kann, dann kommt das große Thema "Geld"; darüber wird dann gestritten. Dann denken viele im Sinn der Ursachenzuschreibung, die Ehe sei am Geld zerbrochen. Sie zerbricht jedoch an allen möglichen Faktoren, aber am Geld zuletzt. Erst wenn sie zerbrochen ist, gibt es einen Machtkampf, der dann monetär ausgetragen wird.

Ein weiterer Befund: Ungepflegt wirkende Haushalte sind weniger planvoll im Umgang mit Geld. "Von einer geradezu sensationellen Prägnanz ist der Zusammenhang zwischen dem Eindruck, den die Interviewer von der Gepflegtheit der Haushalte hatten, und der erst nachträglich aufgrund verschiedener, dem Interviewer verborgener Indikatoren festgestellten Rechenhaftigkeit der Haushalte. In gepflegten Haushalten treffen wir in ungewöhnlich großem Umfang Rechenhaftigkeit an, und äußerlich unordentlich wirkende Haushalte werden zum großen Teil von wirtschaftlich schlampigen Haushaltsvorständen geführt." (3)

Es scheint also eine generalisierte Verhaltensweise zu sein. Man sieht auch, daß ungepflegt wirkende Personen meistens depressiv sind und in Interviews sagen, das Leben sei sinnlos. Der Zusammenhang wird auch in kollektiven Kleidungsgewohnheiten sichtbar. Die Desorganisation von Sinngefügen hat die Tendenz, sich zu kostümieren. Dies ist ein wichtiger Sachverhalt in unseren Überlegungen über die Struktur von Sinnbezügen und den Umgang mit Geld.

Ganz deutlich wird das an dem folgenden Punkt: Die Sparleistung steigt mit Kirchlichkeit. Man kann das auch als Einbeziehung in ein Sinngefüge bezeichnen. Sinnhaftigkeit heißt, in der sozialen Interaktion mit seinen Handlungen den unmittelbaren Gegenwartsbezug transzendieren zu können, also die Handlungen nicht aus der unmittelbaren Interaktion heraus zu interpretieren, sondern aus etwas Übergeordnetem, Überpersonalem. Wenn eine Mutter sich für ihre Kinder aufopfert, dann tut sie das nicht, weil ihr jemand beigebracht hat, daß sie morgens ein Frühstück machen muß und abends ein Abendessen usw. Dies ist alles Folge einer Sorge, die in einem Sinnzusammenhang steht, der immer eine Transzendenzdimension hat; Sinngefüge sind gegenwartstranszendent. In solchen transpersonalen Gefügen kann dann auch ein völlig neuartiger Umgang mit Geld geübt werden. Und das zeigt sich sehr deutlich in dieser religionssoziologischen Untersuchung. Unsere Spartheorien bedürfen also einer religionssoziologisch-theologischen Ergänzung (4).

4. Geld als Sozialisationsmittel

In der Forschung fand das Thema "Geld" eigenartigerweise kaum Beachtung. Es ist, als ob die Sozialpsychologen und die Soziologen in einer wirklichen Form von Säkularisation die theologische Verachtung des Geldes in ihre Wissenschaft übertragen hätten: Das Geld ist eine Sache, mit der man sich nicht beschäftigt. Die Gesellschaft hatten sie nach allen möglichen Gesichtspunktenstudiert, aber leider nicht genügend. Das Thema "Geld" hat man vollkommen den Nationalökonomen überlassen. Es gibt nur wenige Notizen über Geld in der Sozialpsychologie, zum Beispiel bei Kohlberg. Er unterscheidet drei Stadien der kognitiven Entwicklung des Kindes gegenüber dem Geld:

1. Präkonzeptionell (im Alter von drei bis vier Jahren) hat das Geld für die Kinder einfach einen Wert; es klingelt, es ist interessant; das Kind lernt, daß Erwachsene das Geld auch nicht gern verlieren.

2. Die intermediäre Sozialisationsphase: Wenn das Kind laufen kann und die Mutter zum Einkaufen begleitet, dann merkt es, daß man mit Geld zahlt, daß man Ware dafür bekommt. Als meine Kinder in dem Alter waren, das Kohlberg hier beschreibt, gab man ihnen einen Geldschein; sie kauften beim Kaufmann die Waren und erhielten dann das Wechselgeld. Da sagten sie: Das ist aber ein netter Kaufmann, der hat mir auch noch Geld gegeben zu der Ware.

3. Die dritte Phase ist operational, sie kommt im Alter von sechs bis acht Jahren. Es wird eine logische Beziehung zwischen Geld und der Berufsrolle hergestellt. Wie kommt der Vater an Geld? Aha, es gibt Berufe, und dann gibt es natürlich auch Preistickets für die Berufe. "Also", sagt ein Kind zum Beispiel, das immer Müllautos vor dem Haus vorbeifahren sieht und die Müllmänner springen da auf und sind schön bunt gekleidet, "ich möchte gern Müllmann werden". Da sagt der Vater, sein Entsetzen verbergend: "Ja, das läßt sich hören, das ist ein guter Beruf." Vierzehn Tage später sagt das Kind: "Also, ich habe mir schon mal überlegt, was für ein Auto ich fahren will, einen Porsche." "Ja", sagt der Vater, "du hast doch gesagt, du willst Müllmann werden." "Ja", sagt das Kind. "Siehst du, dann kannst du keinen Porsche fahren." Da brach die neue Welt auf, und die Kinder aus diesen gehobenen Mittelstands-Familien lernen plötzlich, daß die Berufe Preistickets haben. Und danach motiviert sich dann zum Teil auch das Schulverhalten.

Die ganze Frage der Geld-Sozialisation findet in der Sozialpsychologie wenig Beachtung, und sie wäre so außerordentlich wichtig. In einer religionssoziologischen Untersuchung wurde ein Test der Diskontinuität der Sozialisation angewendet. Die unscheinbar klingende Frage lautete: Sag mal, wo denkst du eigentlich anders als deine Eltern? Solch eine Dissonanz kann man leicht zu Protokoll geben, und davon wurde reichlich Gebrauch gemacht(5).

42 Prozent der jungen Leute sagen: Ja, ich unterscheide mich in meiner Ein stellung zum Geld wesentlich von meinen Eltern. (Worin diese Einstellung besteht, wurde nicht untersucht.) 42 Prozent unterscheiden sich in der religiösen Einstellung von den Eltern, also genausoviel. Das heißt, auf dem Gebiet Geld gibt es einen genauso gewaltigen Prozeß der Umorientierung wie auf dem Ge biet der Religion. Beim Geld haben wir ihn indessen noch nicht bemerkt.

Ein anderer Aspekt: B. Schrob hat in seinem Buch über Leistung und Sozialisation einige Bemerkungen über Geld gemacht. Dort ist zusammengetragen, was insbesondere Amerikaner Anfang der sechziger Jahre über Geld und Leistungsmotivation herausgefunden haben. Zum Beispiel: Je schwächer das gesamte persönliche Anspruchsniveau ist, desto mehr kann man jemand mit Geld motivieren, etwas zu tun. Aber je anspruchsvoller das Personsystem durch einen langen Bildungsprozeß geworden ist, desto weniger wichtig wird Geld, desto garantierter wird gewissermaßen das Verhältnis zu Geld. Denn mit hoher Bildung erwirbt man eine Position. Und das Einkommen kommt ja nicht durch die vielen kleinen Handlungen, sondern als positionsgesichertes Einkommen. Und jeder würde sich dagegen verwahren, seine berufsethischen Handlungen durch sein Einkommen zu erklären. Das Einkommen ist allgemein gesellschaftlich, es ist legitimiert durch die Position, und die Handlungen sollen unabhängig davon ethisch sein.

Damit sind wir an einem entscheidenden Punkt, den die amerikanischen Forscher damals noch nicht sehen konnten. Wir stehen vor dem sogenannten Attributionsproblem. Wenn ich für eine Leistung bezahlt werde, dann kann ich nicht mehr von mir sagen, ich hätte das aus moralischen Gründen getan. Wie kann ich also eine humanitäre Ethik aufrechterhalten und trotzdem ein vernünftiges Einkommen beziehen? Dieses Problem kann man nur dadurch lösen, daß das Einkommen generalisiert wird und an den Status, nicht mehr unmittelbar an die Einzelleistung gebunden wird. Der Status wird natürlich schon durch eine Leistungsvorgeschichte in den Bildungseinrichtungen erreicht. Aber sobald man in der Position ist, soll die Verrechnung von Geld und Motiv eigentlich nicht mehr gelten, sondern man sagt dann eher: ich leiste ja eigentlich noch viel mehr, als das Einkommen wert ist. Das wäre die normale Reaktion in einer solchen Position schon aus attributionstheoretischen Gründen. (Zur Attributionstheorie: Jeder Mensch muß als Handelnder ein Konzept von sich selber haben. Dieses Konzept ist eine wichtige Ressource des Handelns, sonst verliert man seine Motivation. Wenn man denkt, man kann nicht, dann kann man nicht.)

Jetzt fragt sich aber: Wie erfolgt durch die Konstellation von Umweltreizen eine günstige Attribution zum Selbst, und wie funktioniert überhaupt dieser Prozeß? Ein Beispiel: Man hat Patienten, die nicht schlafen können oder Schwierigkeiten haben einzuschlafen. Nun gibt man einer Testgruppe ein Placebo, eine Tablette, die nichts bewirkt. Aber es wird dazu gesagt: Wenn Sie die nehmen, dann können Sie schlafen. Eine andere Testgruppe mit den glei chen Schlafschwierigkeiten erhält das gleiche Placebo. Aber man sagt ihnen: Das ist ein Anregungsmittel, versuchen Sie es einmal.

Welche Gruppe schläft jetzt besser? Die Attributionstheorie sagt, daß diejeni gen, die die Geschichte von der Anregung gehört haben, besser schlafen. Warum? Wenn man ein Placebo erhielt und dazu hörte, das sei ein Beruhigungsmittel, dann sagt man sich: Um Gottes willen, ich hab' ein Beruhigungsmittel genom men, ich bin immer noch so aufgeregt, furchtbar! Und dann wird man weiter aktiviert und kann nicht einschlafen. Wem erklärt wurde, das sei ein Anregungsmittel, sagt sich: Ich bin ein bißchen aufgeregt, ach ja, das war ja diese Tablette! Und dann schläft er ein.

Das Problem des Verhältnisses von Geldverteilung und Leistung in der Gesellschaft ist sozialpsychologisch ein Attributionsproblem. Die meisten Menschen wollen nette und brave Menschen sein und wollen von sich etwas Gutes denken. Das können sie am besten dann, wenn sie sozial anerkannt werden. Sozial anerkannt werden sie durch Leistung. Diese Leistung soll am Ende auch irgendwie bezahlt werden. Sie wollen sich diese Leistung zurechnen können. Der Stücklohn, die Bezahlung immer in kleinsten Intervallen für die jeweilige Einzelleistung verhindert jedoch, sich gute Motive zuzuschreiben.

Man muß die Entlohnung der Menschen generalisieren, wie es die Tendenz in unserer Gesellschaft ist. So können andere Motive attribuiert werden und wir können sagen, daß wir das nicht des Geldes wegen machen. Das war auch die Idee des preußischen Verwaltungsstaats. Seine zentrale Ethik war, daß er die Aktivität und die Dienstleistungsfunktionen der Institutionen rigoros von dem Aspekt der finanziellen Transaktion trennte. Damit sicherte er das Vertrauen in die Behörden. Daß diese Tendenz zur Generalisierung von Einkommen herrscht, zeigt die Diskussion um die Ärzteeinkommen.

Da gibt es offenbar Probleme, die von unserer Gesellschaft jetzt nicht als finanzielle Probleme empfunden werden. Im Hintergrund steht wahrscheinlich ein ethisches Problem. Dieses ethische Problem ist ein Spiegel von Konflikten der Selbstverwirklichung. Die Menschen möchten sich selber die Handlungen zuschreiben können, die im Zweifel die edleren sind.

5. Geld und soziale Organisation

Geld ist ein entscheidendes Medium der sozialen Organisation. Der sozial psychologische und zugleich politische Aspekt liegt heute darin, daß mehr und mehr junge Menschen der Auffassung sind, der Verteilungsmodus von Geld sei nicht mehr an Leistung geknüpft, also irrational.

Sobald sich diese Auffassung ausbreitet, läuft alles auf die Frage hinaus: Sind wir als Gruppe oder bin ich als einzelner clever genug, um mir aus diesem Kuchen etwas herauszuholen? Deswegen kann Ortlieb wahrscheinlich zu Recht vom Moralverzehr der Marktwirtschaft sprechen. Sobald die Rationalität der Verteilung nicht mehr gesichert ist, sobald auf die Frage, warum der eine mehr, der andere weniger Geld hat, keine menschlich befriedigenden Antworten gegeben werden können, zerbricht die politische Unterstützung eines freien Wirtschaftssystems.

Jetzt kommt der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit. Das Verteilungssystem soll also - und das wird mit einem religiösen Hintergrund gefordert - eine moralische Rationalität bekommen. Die Rationalität des Verteilungssystems soll nicht wirtschaftlich, sondern moralisch sein, das heißt, sie soll gerecht sein. Und gerecht bedeutet, daß alle Unterschiede entweder legitimiert sein müssen, oder daß es keine Unterschiede geben darf. Gerechtigkeit ist legitimierte Ungleichheit. Dieser Ruf nach Gerechtigkeit verbindet sich nun mit dem alten christlichen Motiv, eine gerechte Ordnung herzustellen. Und diejenigen, die sich in ihrem Wunsch, eine gerechte Ordnung herzustellen, auf christliche Traditionen berufen, sind heute politisch in besonderem Maß aktiviert. Und wenn sie der Auffassung sind, die Sozialdemokratie verwirkliche Gerechtigkeit, dann wählen sie aus christlichen Motiven - auch wenn sie katholisch sind - die SPD. Das ist einer der wesentlichen Gründe der neuerdings zu beobachtenden Fluktuation der katholischen Wählerschaft, die wahlsoziologisch immer stabil war.

Es ist insbesondere die Auffassung der jüngeren Generation, daß marktwirtschaftliche Prozesse nicht notwendigerweise eine gerechte Gesellschaft und ein individuell sinnvolles Leben ergeben. Dieses muß also mit anderen Ordnungsmechanismen und anderen Ordnungsstrukturen, durch andere Institutionen gewonnen und geleistet werden. In einer Züricher Untersuchung über Bildungsmotivation wurde gefragt, wovon es abhängen sollte, ob jemand auf der sozialen Leiter oben oder unten steht. Die Antwort: Es sollte erstens davon abhängen, wieviel jemand für die Gemeinschaft tut, zweitens wie sehr jemand ein ethisch wertvolles, rechtschaffenes Leben führt, und drittens, ob jemand ein liebenswürdiger Mensch ist. Aber in Wirklichkeit hänge der soziale Status von ganz anderen Dingen ab, vom Besitz etwa oder von der Fähigkeit, Geld zu mobilisieren, oder von der Bildung(6). Das heißt, daß die Legitimität der gesamten Statusordnung bezweifelt wird.

Aus einer anderen Züricher Untersuchung geht hervor, daß bei achtzig Pro zent der Bevölkerung ein leiser Widerstand gegen das Konsumierenmüssen zu vernehmen ist. Geld, Wohlstand, gut wohnen gilt als wichtig, aber nur als Basis für ein sinnvolles Leben, und dieses kann nicht aus der Geldwirtschaft kommen.

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