Das Recht auf Arbeit

In der Diskussion um das Recht auf Arbeit klärt Oswald von Nell-Breuning die Begriffe und legt dar, was Recht auf Arbeit heute bedeuten kann: keinen Rechtsanspruch, sondern ein rechtliches Gebot, einen Zustand herbeizuführen, in dem möglichst alle Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen zu annehmbaren Bedingungen eine Arbeitsgelegenheit rinden.

Ist Arbeit ein Rechtsgut, auf das der Mensch einen Anspruch hat, vielleicht einen angeborenen, unentziehbaren und unverzichtbaren Anspruch? Zählt das "Recht auf Arbeit" zu den Menschenrechten etwa der Vereinten Nationen oder gar der katholischen Soziallehre? Davon soll hier gehandelt werden. Zunächst aber: was ist denn "Arbeit"?

Ist Arbeit eine Last, dann erscheint es befremdlich, daß Menschen einen Rechtsanspruch darauf erheben; dann sollte man eher annehmen, daß sie alles tun werden, um sich diese Last zu ersparen, sich ihr, wo sie ihnen angesonnen wird, zu entziehen. Die tägliche Erfahrung bestätigt denn auch immer wieder, wie die Menschen es verstehen und darauf ablegen, sich an dieser Last vorbeizudrücken; ja, wir selber ertappen uns gelegentlich dabei, daß wir diese Last lieber auf andere abschieben als uns selbst ihr zu unterziehen.

Auf der anderen Seite haben wir Menschen das Bedürfnis, etwas zu tun, nicht nur irgendwie unsere Kräfte zu regen, sondern etwas zu leisten, das uns als achtbare Glieder der menschlichen Gesellschaft erweist und damit zugleich unsere eigene Selbstachtung bestätigt; wir haben das Bedürfnis, etwas Vernünftiges, Rechtschaffenes zu vollbringen, etwas, das die Anspannung unserer Kräfte erfordert, sie aber auch lohnt, das nicht Spiel ist, sondern eben "Arbeit". Wir wissen auch, daß auf Bedienung angewiesen sein keine Größe, sondern Armseligkeit und Schwachheit ist; nicht wer sich bedienen läßt, ist groß, sondern wer dient. Der Christ weiß das aus der Lehre und dem Beispiel seines Herrn, der von sich gesagt hat, er sei gekommen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Aber auch dem Nichtchristen ist das so einleuchtend und überzeugend, daß er es als demütigend empfindet, ein auf fremde Hilfe angewiesenes Wesen zu sein, und seinen Stolz darein setzt, etwas zu leisten, wodurch er, anstatt anderen zur Last zu fallen, sich die Achtung seiner Mitmenschen erwirbt, ja sich unentbehrlich zu machen strebt.

Alle Dienste, die wir anderen leisten oder von anderen empfangen, sind Arbeit oder, wie wir zu sagen pflegen, "kosten" Arbeit. In dieser Redeweise klingt bereits der Doppelcharakter der Arbeit an: Arbeit erfüllt unser Leben mit Wertgehalt, nimmt unter den Lebenswerten einen hervorragenden Platz ein, aber sie "kostet" Mühe, ist in höherem oder geringerem Grad immer zugleich eine Last. Arbeit bereichert unser Leben, zehrt aber auch an unserem Leben, strengt an, ermüdet, ist nicht nur mit Unbequemlichkeiten verbunden, sondern auch mit Gefahren und Schäden aller Art für unsere Gesundheit, für unser leibliches und geistiges Wohlergehen.

Noch mehr: Arbeit - so heißt es - "entfremde" den Menschen sich selbst. Jeder von uns weiß aus eigener Erfahrung, daß die Arbeit uns immer wieder abfordert, das zu unterlassen, auf das zu verzichten, was wir gern täten, weil es unseren Fähigkeiten und Neigungen entspricht und uns Befriedigung einbrächte, und statt dessen zu tun, wogegen wir Abneigung oder gar Widerwillen haben, das aber getan werden muß und dem gerade ich hier und jetzt mich unterziehen muß.

Manche Arbeiten haben es obendrein an sich, denjenigen, der sich ihnen unterziehen muß, sozial zu deklassieren. Arbeiten, die niemand gern tut, aber getan werden müssen, werden auf die schwächsten und wehrlosesten Glieder der Gesellschaft abgeschoben; so ist, wer diese Arbeiten tut (tun muß), eben damit als dieser gesellschaftlichen Gruppe angehörig abgestempelt. Anstatt dafür, daß sie die unangenehmsten und schmutzigsten, für die Gesellschaft aber unentbehrlichen Arbeiten tun, Dank, Wertschätzung und höchstes gesellschaftliches Ansehen zu genießen, stehen sie auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Stufenleiter; die sogenannte "gute Gesellschaft" sieht hochnäsig auf sie herab; ihre Tätigkeit scheint an dem Adel, den wir der rechtschaffenen Arbeit zuerkennen, nicht teilzuhaben.

Was also ist Arbeit? Erschöpft sie sich darin, daß sie eine Last ist?

Der Physiker definiert Arbeit als "Überwindung eines Widerstands über einen Weg". Um uns klar zu machen, was er in seiner Begriffswelt unter Arbeit versteht, greift er auf Widerstand und Überwindung als uns von der menschlichen Arbeit her bekannte Merkmale zurück; Arbeit ist kein reines Spiel, sie bedeutet Mühe und Anstrengung. - Auch von der Maschine und vom Tier sagen wir, sie arbeiten oder leisten Arbeit. Bei der Maschine denken wir wohl zuerst an ihre Bewegung, daß sie "läuft", aber meist legen wir mehr hinein, nämlich daß ihr Lauf kein Leerlauf ist, sondern mit Kraftaufwand verbunden und eine in physikalischen Größen meßbare Leistung vollbringt. Ist bei der Maschine dieser Kraftaufwand reiner Energieverbrauch, so ist er beim Tier der menschlichen Anstrengung bereits nahe verwandt; die tierische Arbeit ist ähnlich der menschlichen Arbeit Mühe und Anstrengung.

Was ist menschliche Arbeit?

So stoßen wir beim Aufstieg vom physikalischen Begriff der Arbeit über die maschinelle und die tierische bis zur menschlichen Arbeit immer wieder auf das gleiche Merkmal: Arbeit ist nicht reine Lust, sondern immer zugleich auch in irgendeinem Sinn Mühe, Anstrengung, mit einem Wort Last. Beim Menschen bedeutet das, er arbeitet nicht um des reinen Vergnügens willen oder aus reiner Lust; auch dann, wenn seine Arbeit ihm Freude macht, wenn er spürt und erlebt, wie er in ihr seine Anlagen und Fähigkeiten entfaltet, ist doch die Arbeit niemals reine, d. i. mühelose und freie Entfaltung dessen, was an Möglichkeiten in ihm angelegt ist, sondern immer verbunden mit Mühe und Anstrengung, nicht selten mit Leid und Schmerz, also mit Last. Dieses Merkmal der menschlichen Arbeit wird von uns als so wesentlich angesehen, daß wir die Bezeichnung "Arbeit" auf alles außermenschliche Geschehen übertragen, worin wir dieses Merkmal wiederfinden oder wiederzufinden glauben. Aber damit allein wissen wir immer noch nicht, was menschliche Arbeit ist; zu menschlicher Arbeit gehört mehr.

Menschliche Arbeit ist Betätigung menschlicher (geistiger und/oder leiblicher) Anlagen und Kräfte in der Richtung auf ein ernstgenommenes Ziel, das erreicht, oder ein Ergebnis, das verwirklicht werden soll. Es ist der Mensch, der dieses Ziel setzt oder dieses Ergebnis anstrebt und es ernst nimmt, d. h. den ernsthaften Willen hat, es zu erreichen bzw. zu verwirklichen, und der, weil es ihm wirklich ernst ist, sich darum bemüht, seine Kräfte anstrengt. Um Arbeit zu sein, genügt es, daß das Streben mehr oder weniger mühsam und anstrengend ist; um menschliche Arbeit zu sein, muß sie vom Menschen auf ihr Ziel oder Ergebnis hingeordnet sein. Diese ihr vom menschlichen Willen gegebene Zielgerichtetheit ist es, die die menschliche Arbeit von allem anderen, worauf wir die Bezeichnung "Arbeit" anwenden, unterscheidet und ihr den Adel der Menschenwürde verleiht.

Da der Mensch Geist-Leib-Wesen ist, ist keine menschliche Arbeit rein geistig oder rein leiblich (körperlich); wenn wir geistige und leibliche (körperliche) Arbeit unterscheiden, kann das nur besagen, daß im einen Fall die geistigen, im anderen Fall die leiblichen (körperlichen) Kräfte besonders stark beteiligt sind. Beide, seine geistigen und seine leiblichen (körperlichen) Anlagen und Fähigkeiten sind dem Menschen gegeben, damit er sie betätigt. Das will besagen: zunächst sind es ihm geschenkte offene, d. h. erst noch zu erfüllende Möglichkeiten; erst indem er sie betätigt, verwirklicht er das ihm Mögliche, d. h. macht aus dem Möglichen etwas Wirkliches, und dieses Wirkliche steht nicht nur als äußeres Ergebnis, als etwas, das er in der Außenwelt bewirkt oder herbeigeführt hat, vor ihm oder ihm gegenüber als sein "Werk", sondern er hat damit in ihm selbst etwas verwirklicht, das vorher nur möglich, aber noch nicht wirklich war. Durch ihre Betätigung sind seine geistigen und/oder leiblichen (körperlichen) Kräfte erstarkt; durch die Übung hat er an Geschicklichkeit und an Erfahrung gewonnen, durch seine geistige Arbeit Einsichten und Kenntnisse erworben, durch die gewissenhafte Sorgfalt, mit der er seine Arbeit ausführte, und die Härte, die er sich dabei antun mußte, hat er an Charakterstärke gewonnen, darf das Bewußtsein haben und hat das Bewußtsein, auch wenn seiner Arbeit jeglicher Erfolg versagt bleiben sollte, das Seinige getan zu haben und vor sich selbst, vor seinem Gewissen und vor Gott bestehen zu können.

Recht auf Arbeit als rechtliche Befugnis zu arbeiten

Vielfach bereitet schon die bloße Betätigung seiner Anlagen und Fähigkeiten in harter, ernsthaften Einsatz fordernder Arbeit dem Menschen körperliches und seelisches Wohlbefinden und Freude, oft sogar mehr als das um seiner selbst willen aus Lust betriebene Spiel(1). Kommt dann hinzu, daß der Mensch erlebt, wie er selbst in seiner Arbeit und durch sie menschlich reift und wächst und zu seiner vollmenschlichen Entfaltung gelangt und zugleich als Ergebnis seiner Arbeit Sachgüter oder Dienstwerte schafft, die dazu beitragen, sein oder seiner Mitmenschen Dasein und Leben zu erhalten, zu bereichern, zu verschönern oder zu veredeln, dann wird ihm die Arbeit trotz aller mit ihr verbundenen Mühe und Last zum Bedürfnis. Ja, gerade die echte und ihn fordernde Arbeit, die mehr ist als bloßes Beschäftigtsein zum Vertreiben der Langweile, die Arbeit, die ihm Opfer abverlangt, aber auch ihren Lohn in sich trägt, wird ihm zum echten, wahren, "elementaren" Bedürfnis.

Gelangt der Mensch so durch seine Arbeit zu seiner vollmenschlichen Entfaltung, auf die er vom Schöpfer angelegt ist und auf die er darum ein unentziehbares Recht hat, ist ihm überdies die Arbeit in dem hier beschriebenen Sinn "elementares", d. i. in seinem Menschtum angelegtes Bedürfnis, dann muß ihm auch die Befugnis zustehen, dieses Bedürfnis zu befriedigen. In diesem Sinn läßt die Arbeit sich in der Tat als ein Rechtsgut verstehen und muß man dem Menschen in diesem Sinn ein echtes und strenges "Recht auf Arbeit" zuerkennen.

Noch mehr: alttestamentliche jüdische und neutestamentliche christliche Moral stimmen darin überein, dem Menschen die Pflicht zur Arbeit aufzuerlegen; diese Pflicht ist bereits im natürlichen Sittengesetz begründet und wird als solche auch von der humanitären Ethik als für alle Menschen verbindlich anerkannt. Zur Pflicht gehört als ihr nicht wegzudenkendes Gegenstück das Recht, sie zu erfüllen; in diesem Sinn gehört zur Pflicht zur Arbeit unabdingbar das Recht auf Arbeit. Eben daraus erhellt, was Inhalt oder Gegenstand dieses Rechts ist; es ist die sittlich-rechtliche Befugnis, zu arbeiten und von niemand daran gehindert zu werden. So besteht dieses Recht wesentlich in seinem Negativeffekt, indem es jedem anderen untersagt, auf mich in einer Weise einzuwirken, die mich der Freiheit beraubt, diese meine sittlich-rechtliche Befugnis auszuüben. Vielleicht sind wir geneigt, diesen Negativeffekt zu unterschätzen, als verstehe er sich von selbst. Was er bedeutet, sehen wir beim Eigentumsrecht, dessen Kern und Stern gleichfalls in dem Negativeffekt besteht, anderen jede Einwirkung auf die Sache, die mein Eigentum ist, zu verwehren, und mich berechtigt, jede solche Einwirkung anderer auszuschließen (BGB § 903).

Das in diesem Sinn verstandene Recht auf Arbeit ist dem Menschen angeboren und als solches unentziehbar wie auch unverzichtbar und unverwirkbar; es hat bestanden und wird bestehen, solange es Menschen auf der Welt gibt, ist jedem Wandel der menschlichen Rechts- und Gesellschaftsordnung entrückt.

Was heißt heute "Recht auf Arbeit"?

Wenn wir heute vom Recht auf Arbeit sprechen, ist jedoch meist nicht dieses ewige und unwandelbare Recht gemeint, das wesentlich in seinem Negativeffekt besteht, sondern ein Recht auf Arbeit mit zeitgeschichtlich bedingten und daher wandelbaren positiven Effekten, ein Recht, das es nicht mit der menschlichen Arbeit schlechthin oder als solcher, sondern mit einer zeitgeschichtlich bedingten Gestalt der menschlichen Arbeit zu tun hat und folgerecht mit dieser Gestalt sich wandelt. Eben darum hat es dieses an positivem Gehalt angereicherte Recht auf Arbeit nicht von Anfang an gegeben; es kann auch durch die künftige Entwicklung überholt werden und als gegenstandslos geworden wieder entfallen. Mit diesem zeitgeschichtlich bedingten Wandel muß die Meinungsbildung über dieses Recht Schritt halten; das bringt es mit sich, daß die Meinungsbildung darüber - auch innerhalb der katholischen Soziallehre - nicht abgeschlossen sein kann; so können auch die nachstehenden Ausführungen nicht das letzte Wort dazu sein.

Mit den zeitgeschichtlich bedingten Gestalten der Arbeit sind nicht ihre technologischen Erscheinungsformen gemeint wie Hand- oder Maschinenarbeit, Hochtechnisierung, Automation, EDV usw. oder Erzeugung von Sachgütern, Erstellung von Dienstleistungen oder wirtschaftliche, künstlerische und wissenschaftliche Arbeit. Auch ist nicht daran gedacht, daß während des größten Teils der Menschheitsgeschichte der weitaus größte Teil aller menschlichen Arbeit darin bestand und in großen Teilen der Welt noch heute darin besteht, durch Bodenbearbeitung u. a. m. der Erde ihre Früchte abzuringen und so unmittelbar den eigenen Lebensunterhalt zu beschaffen (Selbstversorgung), während heute in fortgeschrittenen Ländern nur noch ein kleiner Teil der arbeits- oder berufstätigen Menschen dieser Art von Arbeit obliegt, die weitaus meisten aber Tätigkeiten anderer Art ausüben. Gemeint ist vielmehr die Rechtsgestalt der Arbeit: Sklaverei, Frondienst, unselbständig und selbständig ausgeübte Erwerbstätigkeit sowie die ehrenamtlich, d. i. nicht zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit.

In unserer heutigen Gesellschaft gibt es die Sklaverei und die halbfreie, "hörige" Arbeit erfreulicherweise nicht mehr. Zu beklagen ist, daß auch die nicht zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit zwar nicht völlig verschwunden, aber doch zur ganz seltenen Ausnahme geworden ist(2). Nachdem jüngst das Bundesverfassungsgericht auch die Tätigkeit der bisher als "Honoratioren" angesehenen Volksvertreter als Berufstätigkeit und damit als entgeltlich erklärt und deren Entgelt der Besteuerung unterworfen hat, verbleibt als unentgoltene (und darum in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht aufscheinende) Arbeit nur noch die Arbeit der Hausfrauen und Mütter. Von ihnen abgesehen zählen heute so gut wie alle Menschen im arbeitsfähigen Alter zu den "Erwerbstätigen"; sie arbeiten, um von dem in Geldeinheiten erscheinenden Erfolg oder Entgelt ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine immer kleiner werdende Zahl von ihnen übt selbständige Erwerbstätigkeit aus und lebt von dem erzielten Erfolg; eine immer größer werdende Mehrheit sieht sich auf unselbständige Erwerbstätigkeit verwiesen und lebt von deren Entgelt(3).

Diese Arbeit in unselbständiger Erwerbstätigkeit überwiegt heute andere Arbeit so ausgesprochenermaßen, daß wir, wenn wir von "Arbeit" reden, meist nur an sie denken, nur sie meinen. Sehr oft aber meinen wir gar nicht die Arbeit selbst, sondern den Arbeitenden als einzelnen oder die gesellschaftliche Großgruppe, der er angehört; so namentlich, wenn wir das Begriffspaar "Kapital und Arbeit" bilden; damit sind nicht die sachlichen Produktionsmittel und der personale Produktionsfaktor "Arbeit" gemeint, sondern die beiden gesellschaftlichen Großgruppen, deren eine das Kapital und deren andere die Arbeit zum gemeinsamen Vollzug der Wirtschaft beistellt. Noch mehr: sehr oft reden wir abkürzend von "Arbeit" und meinen die Arbeitsgelegenheit; so immer, wenn wir von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sprechen. Arbeitgeber "geben" keine Arbeit, sondern Arbeitsgelegenheit, Arbeitnehmer "nehmen" nicht Arbeit anderer für sich in Anspruch, lassen nicht andere für sich arbeiten, sondern nehmen die Arbeitsgelegenheit an, die ihnen von den Arbeits(gelegenheits)gebern angeboten wird. Arbeitslosigkeit besagt zwar zunächst nur, daß jemand ohne Arbeit ist, aber gerade hier ist die mangelnde Arbeitsgelegenheit als Ursache dieses Mangels an Arbeit wohl immer mitgemeint(4).

Kein Rechtsanspruch, sondern ein rechtliches Gebot

Gegenstand oder Inhalt eines heute aktuellen "Rechts auf Arbeit" ist daher vom einzelnen her gesehen die Arbeitsgelegenheit, vom Ganzen her gesehen die Vollbeschäftigung, beide in unselbständiger Erwerbstätigkeit. Sind alle oder doch die große Mehrheit der Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen darauf angewiesen, durch unselbständige Arbeit ihren Lebensunterhalt zu erwerben, dann ist die Frage und die Forderung nach einem solchen Recht auf Arbeit dringend. Das war nicht immer und überall der Fall und braucht es auch in Zukunft nicht zu sein, aber in unserer heutigen Welt ist sie im allerhöchsten Maß dringend.

Der heute bestehende Zustand kann nur dann als erträglich und zu Recht bestehend anerkannt werden, wenn alle, die darauf angewiesen sind, eine solche Arbeitsgelegenheit zu suchen, auch darauf rechnen können, sie zu finden. Mit anderen Worten: eine solche Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft besteht nur dann zu Recht, wenn dies entweder gesichert ist oder jedenfalls alles Menschenmögliche geschieht, um es zu sichern; das ist eine unbestreitbare Forderung, ein zwingendes Gebot von Recht und Gerechtigkeit.

An wen aber richtet sich diese Forderung oder dieses Gebot? Offenbar nicht an diesen oder jenen Unternehmer, den der Arbeitswillige darauf in Anspruch nehmen könnte, ihn einzustellen oder gar ihm eine seinen Anlagen, seinen Fähigkeiten, seiner beruflichen Qualifikation entsprechende Beschäftigung zu geben. Ein Rechtsanspruch kann sich nicht gegen jedermann, sondern muß sich immer gegen einen bestimmten Schuldner richten. Demzufolge kann auch das Recht des Arbeitswilligen auf Arbeit kein "Anspruch" sein; dieser Anspruch griffe ins Unbestimmte und Leere(5).

Wenn aber das Recht auf Arbeit kein "Anspruch" ist, was ist es dann? Über Begriffe der Rechtssprache, ob man es etwa als "subjektives öffentliches Recht" bezeichnen könnte, ist hier nicht zu streiten; es geht um die Sache. Diese können wir uns wohl am besten so zurechtlegen. Unter den heutigen Verhältnissen kann die große Mehrheit der Menschen ihr Recht zu arbeiten nur in Gestalt der unselbständigen Erwerbstätigkeit ausüben und darf deswegen daran nicht gehindert werden (sog. Negativeffekt dieses Rechts; s. oben). Fehlt es aus irgendwelchen Ursachen an Gelegenheit zu solcher Arbeit, dann muß dieser Verhinderung durch geeignete und wirksame Maßnahmen abgeholfen, die hindernden Ursachen müssen abgestellt werden. Unter diesen Umständen wirkt der Negativeffekt des Rechts zu arbeiten sich nicht nur in Abwehr-, Schutz- und Vorbeugemaßnahmen aus, sondern auch in positiven Maßnahmen einer Politik der Vollbeschäftigung, gegebenenfalls in einer Umstrukturierung der Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft, wenn deren bestehende Gestalt sich als unüberwindliches Hindernis erweist. Diese positive Entfaltung des Rechts zu arbeiten nennen wir "Recht auf Arbeit". Um uns von diesem Recht ein deutliches Bild zu machen, brauchen wir nur noch zu fragen: 1. Was hat zu geschehen, um die Behinderung auszuräumen? 2. Wer hat das dazu Erforderliche zu tun oder dabei mitzuwirken?

1. Alles das hat zu geschehen, was notwendig ist, um den Zustand herbeizuführen, daß jeder Arbeitsfähige und Arbeitswillige, der Arbeitsgelegenheit sucht, sie zu annehmbaren Bedingungen findet. Diesen Zustand mit allen Kräften anzustreben und soviel wie menschenmöglich zu verwirklichen ist Rechtsgebot. Wie das geschehen kann und folgerecht zu geschehen hat, ist nicht mehr Sache des Rechts, sondern des Sachverstands, der heute dieser ebenso schwierigen wie dringenden Frage offenbar immer noch recht hilflos und mit sehr zerstrittenen Meinungen gegenübersteht.

2. An erster Stelle hat der "Staat" das Erforderliche zu tun, genauer gesprochen, die öffentliche Gewalt des Staats und aller mit öffentlicher Gewalt ausgestatteten inner-, zwischen- und überstaatlichen Gebilde von den Gemeinden aufsteigend über die Europäischen Gemeinschaften bis zu den Vereinten Nationen. Aber keineswegs die öffentliche Gewalt und deren Träger allein, sondern alle, die über Macht und Einfluß verfügen, um das Ziel, nennen wir es kurz Vollbeschäftigung, entweder herbeizuführen, zu fördern oder zu begünstigen, oder umgekehrt es zu vereiteln, zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Hier sind die Unternehmer, vor allem in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber und als Tarifpartner, nicht minder aber auch die Gewerkschaften angesprochen. Es bedarf des einsichtigen Zusammenwirkens aller; alle sind in die Verantwortung einbezogen, keiner kann sich herausreden, keiner darf sich versagen.

Als man im 19. Jahrhundert begann, von einem "Recht auf Arbeit" zu sprechen, war an Staatswerkstätten gedacht, die Arbeitsplätze bereithalten sollten, um die Arbeitskräfte, die in der Wirtschaft keine Beschäftigung fanden, aufzunehmen und zu beschäftigen. Solche Beschäftigung bloß um der Beschäftigung willen ist nicht nur wirtschaftlich unsinnig, sondern eine menschenunwürdige Zumutung; zu menschenwürdiger Arbeit gehört ein ernstgenommenes sinnhaftes Ziel. Vorhaben solcher Art konnte die katholische Soziallehre unmöglich befürworten. Darum unterschied sie nachdrücklich das "Recht zu arbeiten" und das "Recht auf Arbeit"; ersteres bejahte sie als elementares Menschenrecht, letzteres mußte sie so, wie es verstanden wurde, verneinen. Inzwischen hat sich das richtige Verständnis durchgesetzt, und so kann auch die katholische Soziallehre es vorbehaltlos bejahen und dafür eintreten. Heute weiß jedermann: "Recht auf Arbeit" besagt keinen Rechtsanspruch auf einen (oder gar auf einen bestimmten) Arbeitsplatz; "Recht auf Arbeit" fordert eine Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft und eine einsichtig zusammenwirkende Politik aller Beteiligten, des Staats, der autonomen Tarifpartner und der Unternehmensleitungen, um in den Grenzen des Menschenmöglichen zu gewährleisten, daß alle Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen Gelegenheit finden, ihr elementares Menschenrecht zu arbeiten unter menschenwürdigen Bedingungen auszuüben. In diesem Sinn verstehen es die nachstehend abgedruckten Texte.

Texte

1. Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948:
"Art, 23 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.
(2) Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
(3) Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.
(4) Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.
Art. 24. Jeder Mensch hat Anspruch auf Erholung und Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf periodischen, bezahlten Urlaub." (Wie ersichtlich, ist nur an die Lohnarbeit gedacht und stellt Art. 24 sich vor, alle Menschen stünden im Lohnarbeitsverhältnis.)
2. Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961, Teil II, Art. 1: Das Recht auf Arbeit.
"Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Arbeit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:
1. zwecks Verwirklichung der Vollbeschäftigung die Erreichung und Aufrechterhaltung eines möglichst hohen und stabilen Beschäftigungsstandes zu einer ihrer wichtigsten Zielsetzungen und Aufgaben zu machen;
2. das Recht des Arbeitnehmers wirksam zu schützen, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen;
3. unentgeltliche Arbeitsvermittlungsdienste für alle Arbeitnehmer einzurichten oder aufrechtzuerhalten;
4. eine geeignete Berufsberatung, Berufsausbildung und berufliche Wiedereingliederung sicherzustellen oder zu fördern."
3. Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919, Art. 163:
"(1) Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, daß er das Wohl der Gesamtheit fördert.
(2) Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. Das Nähere wird durch besondere Reichsgesetze bestimmt."
4. Verfassungen deutscher Länder (Auswahl) a) Bayern, Art. 166:
"(1) Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und steht unter dem besonderen Schutz des Staates.
(2) Jedermann hat das Recht, sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenz zu schaffen.
(3) Er hat das Recht und die Pflicht, eine seinen Anlagen und seiner Ausbildung entsprechende Arbeit im Dienst der Allgemeinheit nach näherer Bestimmung der Gesetze zu wählen."
b) Hessen, Art. 28:
"(1) Die menschliche Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutz des Staates.
(2) Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit und, unbeschadet seiner persönlichen Freiheit, die sittliche Pflicht zur Arbeit.
(3) Wer ohne Schuld arbeitslos ist, hat Anspruch auf den notwendigen Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Ein Gesetz regelt die Arbeitslosenversicherung."
c) Nordrhein-Westfalen, Art. 24:
"(1) Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz des materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit.
(2) Der Lohn muß der Leistung entsprechen und einen angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf den gleichen Lohn. Das gilt auch für Frauen und Jugendliche.
(3) Das Recht auf ausreichenden, bezahlten Urlaub ist gesetzlich festzulegen."
5. Kirchenlehramtliche Verlautbarungen
"Der naturgegebenen persönlichen Arbeitspflicht entspricht folgerichtig das naturgegebene persönliche Recht, durch Arbeit für das eigene Leben und das Leben der Seinen Vorsorge zu treffen" (Pius XII., Pfingstansprache 1941; Texte zur katholischen Soziallehre 160 f.).

"Aufgrund des Naturrechts ergibt sich für den Menschen nicht nur, daß ihm Arbeitsmöglichkeit gegeben werden muß, sondern auch, daß er seine Arbeit frei übernimmt" (Johannes XXIII., "Pacem in terris", Ziff. 18; ebd. 275).
"Dem Menschen muß alles zugänglich gemacht werden, was er für ein wirklich menschliches Leben braucht, wie Nahrung, Kleidung und Wohnung, sodann das Recht auf freie Wahl des Lebensstandes und auf Familiengründung, auf Erziehung, Arbeit. . ." (2. Vat. Konzil, Konstitution "Gaudium et spes", Ziff. 26, Abs. 2; ebd. 344).

Stimmen der Zeit (1978) 523-532

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