Paragraf 218 in der Diskussion

SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einzusetzen. Sie soll „Regulierungen für den Schwangerschaftsanspruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) trat in den ersten Tagen des neuen Jahres erneut mit der Forderung an die Öffentlichkeit, § 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Frauen, die eine Abtreibung vornähmen, dürften nicht länger stigmatisiert werden. Politischen Rückenwind hat diese Position seit dem 24. Juni 2022, dem Tag, an dem die Ampelkoalition zusammen mit der Linken im Bundestag mit klarer Mehrheit für die Streichung von § 219a – Verbot der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche – stimmte.

Die geplante Kommission ist als ein Projekt von Familien-, Justiz- und Gesundheitsministerium unter der Federführung des Gesundheitsministers angelegt. Die Kommissionsmitglieder, die sich mit der Abschaffung von § 218 befassen sollen, sind bereits ausgewählt. Ob und wie sie sich mit dem Prüfauftrag zu Themen der Reproduktionsmedizin beschäftigen soll, scheint noch offen zu sein. Aus dem Bundesjustizministerium heißt es, dass es dazu eine gesonderte Arbeitsgruppe geben soll. Das entspricht dem Anliegen von Justizminister Marco Buschmann (FDP). Er steht einerseits dem Versuch skeptisch gegenüber, das Lebensschutzkonzept des Bundesverfassungsgerichtes infrage zu stellen, nicht nur aus juristischen, sondern auch aus politischen Gründen. Es war dieser Kompromiss, der hierzulande eine polarisierende Entwicklung der Debatte um die rechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen verhinderte. Niemand wünscht sich eine Lagerbildung entlang der Pro-Choice und Pro-Life-Linien, wie sie in den USA inzwischen alle anderen Themen überlagert. Andererseits drängt die FDP bei den Themen der Fortpflanzungsmedizin, bei „nichtkommerziellen“ Leihmutterschaften, Embryonenspenden, Eizellenspenden etc. Die damit verbundenen ethischen und politischen Fragen sind ebenfalls hochsensibel. Eine Mehrheit für Neuregelungen in diesem Bereich ist bei SPD und Grünen nicht gesichert. Es ist also ein Interessenskonflikt absehbar. Es wäre mehr als schade, wenn in derart grundlegenden Fragen am Ende bloß ein Deal herauskommen würde, um den Erfolg der Arbeit einer Kommission zu sichern und um damit einen Gesichtsverlust der Ampelkoalition zu vermeiden. Das Risiko besteht, weil der Prüfauftrag an die Kommission Fragestellungen zusammenzubinden versucht, die zu unterscheiden sind.

In einem jüngsten Beitrag hat Hubert Wissing, bis vor kurzem Geschäftsführer im Bundesverband von donum vitae e.V., die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes von 1993 noch einmal dargestellt (StdZ 12/2022). Er macht drei Paradoxien fest, die den bis heute geltenden Kompromiss von 1995 tragen. Erstens wird der Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung verboten und zugleich straffrei gestellt. Zweitens geht der Kompromiss darauf ein, dass eine Schwangere allein schon wegen des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit nicht gezwungen werden kann, ein ungeborenes Kind auszutragen, woraus paradoxerweise folgt, dass die Austragung des Kindes dann am meisten Chancen hat, wenn die Zustimmung der Schwangeren freiwillig erfolgt und gerade nicht auf Grund von Strafandrohung. Und schließlich ließ das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Spielräume. Der Gesetzgeber räumte daraufhin dem reproduktiven Selbstbestimmungsrecht der Frau im Falle der medizinischen Indikation (Gefahr für das Leben der Frau) oder auch der kriminologischen Indikation (Schwangerschaft nach Vergewaltigung) Vorrang vor dem Lebensschutz ein. Er griff auch den Aspekt des präventiven Lebensschutzes durch die Einführung der verpflichtenden Beratung auf – auch zum Schutz der Schwangeren davor, von Dritten zur Abtreibung gedrängt zu werden. Beraterinnen, die in diesem Kontext im Sinne des Gesetzgebers beraten, ziehen seither die Pfeile von allen Seiten auf sich – sowohl von denen, die die Beratungspflicht für einen Zumutung halten, als auch von denjenigen, die den Schein, der nach der Beratung ausgestellt wird, als „Lizenz zum Töten“ diffamieren.

Kompromisse beruhen auf der Fähigkeit, unauflösbare Spannungen zu ertragen. Sie haben die Schwäche, dass die Zustimmung zu ihnen oft nur eine geringe Halbwertszeit hat. Deswegen verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber auch, „den rechtlichen Anspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben.“ Dreißig Jahre später scheint die Bundesregierung diesem Anspruch nicht mehr nachkommen zu wollen. Vielleicht setzt sie sogar darauf, dass es hierzulande gar nicht zu einer Polarisierung kommen wird, weil das allgemeine Bewusstsein für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes zurückgegangen ist. Wie auch immer: Für die Kirchen ist das alles bitter. Denn keine rhetorische Verbrämung wird von der Tatsache ablenken können, dass mit der Streichung von § 218 StGB dem ungeborenen Kind der Schutz seines Lebensrechtes und damit der Schutz seiner Würde entzogen wird.

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