Bitte keine AlmosenGlobales Lernen

Diskriminierende Stereotype bestimmen noch immer unser Bild von Afrika, Asien und Südamerika. Wie sich das mit dem Konzept „Globales Lernen“ ändern lässt, erklären die Bildungsreferenten Silvana Kröhn und Mauricio Pereyra.

Bitte keine Almosen
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klasseKinder!: Globales Lernen – was ist das genau?
Silvana Kröhn: Globales Lernen ist ein Bildungskonzept, das sich als Antwort auf Globalisierungsprozesse versteht und sich für Menschenrechte, Diversität und Nachhaltigkeit einsetzt. Was hat unser Leben hier mit dem der Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu tun? Wie können wir es schaffen, dass alle auf der Welt ein gutes Leben führen? Darüber diskutieren wir auf unseren Veranstaltungen und Workshops, oft anhand konkreter Produkte und deren Erzeugung: Kakao oder Textilien etwa.

Das sind sehr große Themen. Warum ist das für eine Fachkraft im Hort interessant?
Kröhn: Jeder von uns kann zum Beispiel mit seinem Konsumverhalten Einfluss nehmen. Das sagen wir unseren Teilnehmern auch immer: Man muss nicht gleich das große Rad drehen. Ein erster Schritt kann schon sein, für die Teeküche fair gehandelten Kaffee zu kaufen. Mauricio Pereyra: Bei Globalem Lernen geht es um mehr. Wir wollen Pädagogen und Fachkräfte in Kitas und Schulen für die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten verschiedener Kulturen und Lebensweisen sensibilisieren. Letztlich geht es um Weltoffenheit, Toleranz und Empathie – also darum, Menschen in ihrer Andersartigkeit zu respektieren.

Sie haben Lerneinheiten für angehende Erzieherinnen und Erzieher entwickelt, mit ganz konkreten Ideen für Projekte. Können Sie ein Beispiel nennen?
Pereyra: Gerade bei dieser Zielgruppe arbeiten wir gerne mit dem Beispiel von Indianern und Cowboys. Alle haben ein bestimmtes Bild im Kopf, wenn es um Indianer geht. Aber die wenigsten sehen so aus wie Winnetou oder Yakari, der kleine Junge aus der Comicserie. Amerika ist groß, es gibt 2.000 indigene Völker mit unterschiedlichen Traditionen und Lebensweisen.

Kinder lieben es, sich als Indianer oder Cowboys zu verkleiden. Sollen sie das nicht mehr tun?
Kröhn: Nein, Globales Lernen verbietet nie etwas. Aber man könnte ja ein Fest wie Fasching als Anlass für ein Projekt nehmen: ein wenig recherchieren und zusammen mit den Kindern herausfinden, wie viele indigene Völker es gibt, wie viele Sprachen, wie sie gelebt haben. Nicht alle schliefen in Tipis und trugen Federschmuck. Die Inka etwa hatten dicke Kleidung und wohnten in Steinpalästen.

Noch immer sind althergebrachte Begriffe in Gebrauch, die heute als problematisch gelten, etwa „Indianer“ und „Eskimos“. Ist das Thema bei Ihren Fortbildungen?
Pereyra: Ja, immer wieder. Oft fragen uns Erzieherinnen: Wie sollen wir den Kindern beibringen, dass sie Indianer jetzt anders nennen sollen? „Indianer“ oder „Indios“ sind Begriffe aus der Kolonialzeit, die für die ursprüngliche Bevölkerung Amerikas beleidigend sind. Sie selbst wollen Indigene genannt werden. Es ist eine Frage der Höflichkeit und des Respekts, die Menschen so zu benennen, wie sie bezeichnet werden wollen. Das kann man Kindern so erklären.

Vielleicht fällt es schwer sich einzugestehen, dass man selbst jahrzehntelang diskriminierende Begriffe verwendet hat.
Kröhn: Ja, aber das ist nicht schlimm, das geht uns allen so. Der Punkt ist doch: Wenn man es besser weiß, kann man es ändern. Wenn das nicht die Akteure im Bildungsbereich tun, wer dann?

Welche Fallstricke gibt es noch beim Globalen Lernen?
Pereyra: Globales Lernen kann auch Vorurteile verstärken: zum Beispiel wenn es beim Thema Ghana einen Trommelworkshop gibt, obwohl man genauso gut zu modernem Hip- Hop arbeiten kann. Oder wenn die Schule eine Spendenaktion für Kinder organisiert, die in La Paz als Schuhputzer arbeiten. Dabei kann man, wenn es um Bolivien geht, auch über innovative Mobilität sprechen. Der öffentliche Nahverkehr mit Seilbahnen durch die Hauptstadt ist sicher für viele Kinder spannend.

Sie sehen Spendenaktionen kritisch?
Kröhn: Oft sind diese Zuwendungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Außerdem strahlt das Helfen auch immer Überlegenheit aus, so nach dem Motto: Wir sind die Erste Welt und geben den Armen Almosen. Globales Lernen heißt voneinander zu lernen, anstatt „den Armen“ im Süden zu helfen.

Auch Medien transportieren oft ein eurozentristisches Bild, etwa wenn auf Kinderweltkarten in Europa Baudenkmäler abgebildet werden, in Afrika aber wilde Tiere und Menschen mit Lendenschurz.
Kröhn: Solche Bilder bestätigen implizit die schablonenhafte Vorstellung über den fortschrittlichen Norden und den rückständigen, aber exotischen Süden. Man kann sie auch vermeiden. Auf der Website von EPIZ (siehe unten), aber auch anderswo im Netz findet man Empfehlungen für Kinder- und Jugendbücher, die ohne Stereotype auskommen.

Wie können Grundschulen und Horte Globales Lernen sinnvoll umsetzen?
Kröhn: Erzieherinnen und Erzieher können etwa eine Koch- AG zu Gerichten aus anderen Ländern anbieten und mit den Kindern darüber sprechen, woher die Zutaten kommen. Schulen können eine Partnerschaft mit einer Schule im Ausland starten.
Pereyra: Ich rate immer, die Machtverhältnisse mal umzudrehen. Warum müssen immer die Lehrer oder Erzieher die Experten sein? Wir Erwachsenen können so viel von Kindern lernen. Kürzlich habe ich bei einem Workshop nicht, wie sonst so oft, über Kartoffeln oder Kakao gesprochen. Stattdessen durften die Kinder Themen vorschlagen. Heraus kam alles Mögliche, von Nudeln bis zu Superhelden. Ich habe erfahren, wie unterschiedlich man Nudeln zubereiten kann und dass Helden und Heldinnen ganz verschieden aussehen können. Sie können groß und stark sein, ein Kopftuch tragen oder gut tanzen. Darüber haben wir dann geredet. Alle waren aktiv, alle haben sich gehört gefühlt.

Die Fragen stellte Ulrike Schattenmann.  

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