Der brennende Dornbusch am Fuße des Bergs Sinai, in dem Gott dem Mose erschien, der Berg Sinai selbst, auf dem Mose die Zehn Gebote empfing – diese Erzählungen aus der Wüste haben die drei abrahamitischen Weltreligionen zutiefst geprägt. Am Fuße des Bergs Sinai steht seit dem 6. Jahrhundert das Katharinenkloster. Es ist eines der ältesten noch bewohnten christlichen Klöster der Welt, von hoher Bedeutung auch für Judentum und Islam. Es erhebt sich majestätisch inmitten der trockenen, felsigen Einöde; völlig abgeschieden von der Welt überdauerte es die Jahrhunderte.
2002 nahm die UNESCO das Kloster und seine Umgebung in die Liste des Welterbes auf. Die Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur betonte in der Erklärung dazu, dass das Kloster Eigentum der griechisch-orthodoxen Kirche sei, im Rahmen des Systems der griechisch-orthodoxen Kirche selbstverwaltet und unabhängig.
Völlig abgeschieden und eigenständig? Das war einmal.
2021 startete der Staat Ägypten ein Großprojekt zur kompletten Umgestaltung des Ortes für Touristen. Vorgesehen sind Hotels, Villen, Einkaufszentren, ein großes Besucherzentrum sowie der Ausbau eines kleinen Flughafens. Der Protest der Mönche war vergeblich. Laut BBC musste der Beduinenstamm Jebeleya, der über Jahrhunderte hinweg als Beschützer des Ortes galt, bereits mit ansehen, wie seine Häuser und Touristencamps abgerissen wurden. 2023 forderte die UNESCO Ägypten auf, die Bauvorhaben zu stoppen, die Auswirkungen zu prüfen und einen Erhaltungsplan zu erstellen. Nichts davon geschah. Im Mai 2025 entschied ein ägyptisches Gericht: Das Kloster wird Eigentum des ägyptischen Staates. Nach 1500 Jahren verlor es seine Verwaltungsautonomie.
Verantwortlicher ägyptischer Minister für Tourismus und Altertümer war von 2016 bis 2022 der Ägyptologe und Politiker Khaled Ahmed El-Enany Ali Ezz. Nun die Pointe: Genau dieser El-Enany soll am 6. November zum Generalsekretär der UNESCO ernannt werden. Er wurde mit großer Mehrheit vom Exekutivrat der UNESCO gewählt; auch Deutschland zählt zu seinen Unterstützern. Es drängt sich die Frage geradezu auf: Wird hier der Bock zum Gärtner gemacht?
Über El-Enanys Politik gehen die Meinungen weit auseinander.
Die Deutsche UNESCO-Kommission lobt, dass er Reformen initiierte und große Restaurierungs- und Museumsprojekte verantwortete. Die von dem Deutschen Stephan Doempke geleitete Kulturorganisation World Heritage Watch dagegen warnt in einem Brief an die 194 UNESCO-Mitgliedsstaaten eindringlich vor der Ernennung El-Enanys: Der ehemalige Tourismusminister sei für die Zerstörung großer Teile der historischen Totenstadt von Kairo ebenso wie für die „monströse Tourismusentwicklung“ rund um das Katharinenkloster mitverantwortlich gewesen.
Die UNESCO ist für weit mehr zuständig als für die Listung von Welterbestätten. Ihr Gründungsethos beruht auf Frieden durch Bildung. Doch zeigt der Fall des Katharinenklosters geradezu exemplarisch Interessenkonflikte auf, die entstehen, wenn Kultur und Politik aufeinandertreffen, noch dazu in einer unübersichtlichen Gemengelage von geopolitischer und wirtschaftlicher Instabilität.
Dazu gehört die Frage, wem ein Ort zusteht. Der lokalen Gemeinde? Der nationalen Bevölkerung? Dem Massentourismus – als einer wesentlichen Einnahmequelle eines Staates wie Ägypten? Übergeordneten Autoritäten? Anderen Anteilseignern? El-Enanys Slogan „UNESCO for the People“ scheint jedenfalls nicht unbedingt Minderheiten wie Beduinen oder Mönche einzubeziehen.
Aus all dem ergibt sich auch die Frage, wer die Standards der UNESCO auslegt und anwendet. Die im Pariser Sitz der UNESCO und in ihren weltweiten Kommissionen arbeitenden Experten aus aller Welt? Oder doch eher die von den Mitgliedsstaaten oft aus politischem Interesse besetzten Entscheidungsgremien der UNESCO, wie das Exekutivkomitee aus 58 Mitgliedstaaten? Es zeigt sich jedenfalls: Autoritäre Regierungen werden nicht automatisch zu Unterstützern von demokratischen Standards, wenn sie in Gremien der Vereinten Nationen ihren Einfluss geltend machen.
Welches Kulturkonzept wird sich unter El-Enanys Ägide durchsetzen? Das eines inklusiven Weltbürgertums oder doch eher das eines exklusiven Nationalismus?
Die Ernennung eines ehemaligen Ministers, der Massentourismus vor Minderheitenschutz stellte, in einen so hohen Posten einer Kulturorganisation sollte aufmerken lassen. Und die Kirchen gleich welcher Konfession, ihre jüdischen und muslimischen Glaubensgeschwister sollten ihrerseits Bündnisse schmieden, um nicht nur das Katharinenkloster vor wirtschaftlichen, touristischen und nationalstaatlichen Interessen zu schützen.