Mehr Vielfalt wagen

Das textile Erscheinungsbild der Eucharistiefeier unterscheidet zu deutlich zwischen Klerus und Laien. Dabei bieten die liturgischen Vorgaben Möglichkeiten für plurale Bilder von Kirche. – Teil 1

Entwürfe für liturgische Gewänder auf Grundlage der Albe
Entwurf aus dem Wettbewerb „LiturgieGewänder“ des Deutschen Liturgischen Instituts (2004): Die Textilkünstlerinnen Petra Bröckers-Beling und Demet Taha gestalteten Gewänder für Klerus und alle liturgischen Dienste (im Bild v. l. n. r.: Kantor/innen-Gewand, Kasel, Ministrant/innen-Gewand).© Deutsches Liturgisches Institut, Trier

Liturgische Gewänder gehören zum Erscheinungsbild gottesdienstlicher Feiern. Sie tragen nicht nur erheblich zur Festlichkeit des Geschehens bei, sondern sie zeichnen und transportieren auf eindrückliche und zugleich subtile Weise Bilder von Kirche und bilden die Verhältnisbestimmungen ab, in denen verschiedene Glieder der Kirche zueinander stehen.

Das Bild von Kirche, das in der Praxis der Eucharistiefeier im deutschen Sprachraum gezeichnet wird, sieht in der Regel wie folgt aus: Priester, ggf. Diakon, Ministrantinnen und Ministranten ziehen zu Beginn in liturgischen Gewändern in den Kirchenraum ein und nehmen ihre Plätze im Altarbereich ein. Die Personen, die liturgische Dienste als Lektor/in oder Kommunionhelfer/ in übernehmen, haben ihren Platz meistens in der Bank im Kirchenschiff. Von dort treten sie in ziviler Kleidung zur Ausübung des Dienstes an den jeweiligen liturgischen Ort und kehren nach Beendigung ihres Dienstes wieder zurück. Die Gewänder verstärken die Zweiteilung im Kirchenraum, die sich primär aus der Verortung der Dienste im Altarbereich ergibt: Die Dienste mit Gewand sitzen „oben“ und sind in ihrer exponierten Stellung gut zu sehen, die ohne Gewand sind „unten“ und gehen in der Volksmenge etwas verloren.

Liturgische Kleidung, das wird an dieser Beschreibung deutlich, hebt nicht nur bestimmte Rollen hervor, sondern wirkt als Distinktionsfaktor, der Personen bzw. Personengruppen voneinander abgrenzt und entsprechende Plätze innerhalb der gemeinsamen Versammlung zuweist.

Die Liturgie möchte von ihrer Grundidee her aber ein anderes, ein erweitertes Bild zeichnen. Die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (AEM) formuliert dazu paradigmatisch: „In der Kirche, dem Leib Christi, haben die einzelnen Glieder verschiedene Aufgaben. Die Vielfalt der Dienste wird im Gottesdienst durch eine unterschiedliche liturgische Kleidung verdeutlicht. Sie soll auf die verschiedenen Funktionen derer, die einen besonderen Dienst versehen, hinweisen und zugleich den festlichen Charakter der liturgischen Feier hervorheben“ (AEM 297).

Diskrepanz, Vorbehalte und Formunsicherheit

Die augenscheinlich große Diskrepanz zwischen den liturgischen Vorgaben und der Praxis wirft liturgietheologische Anfragen auf und berührt die Auseinandersetzung um Rollen- und Kirchenbilder. Im oben skizzierten Beispiel wird u. a. über die liturgische Kleidung eine scharfe Trennung zwischen Laien und Klerus gesetzt. Die Ministrantinnen und Ministranten im Altarbereich erscheinen je nach der Art ihrer Kleidung sehr deutlich dem Klerus zugeordnet, besonders wenn sie Talar und Rochett tragen. Eine Feiergemeinde muss sich selbstkritisch fragen, ob sich ihr eigenes Selbstverständnis, gerade bzgl. Leitung, in diesen liturgischen Bildern widerspiegelt, vor allem weil auch Macht und Autorität über Gewänder dargestellt und eine entsprechende Rollenzuweisung gefestigt werden, die weit über den liturgischen Rahmen hinaus wirkt. Zudem hat das Bild einer einzelnen erwachsenen Leitungsperson, die umgeben ist von Kindern und Jugendlichen, vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals seine Unbefangenheit verloren.

Die geringe Rezeption der liturgischen Vorgaben zu Gewändern, aber auch die Zurückhaltung in der Auseinandersetzung und Reflexion in dieser Frage erstaunt. Weder die Initiative „Gottes Volk – neu gekleidet“ der „Arbeitsgruppe Kirchliche Architektur und Sakrale Kunst“ (AKASK – 1988) noch der Wettbewerb „LiturgieGewänder“ des Deutschen Liturgischen Instituts (vgl. den Ausstellungskatalog LiturgieGewänder. Kirche und Design, Trier 2004) haben eine nachhaltige bzw. flächendeckende Veränderung entfalten können.

Die Gründe für die Zurückhaltung sind vielschichtig. Neben persönlichen Gründen ist es vor allem eine starke Formunsicherheit, die ein Weiterkommen in dieser Sache hemmt: Das Erscheinen von Frauen und Männern in liturgischen Gewändern an exponierter Stelle im Altarbereich neben dem Priester stellt eine tief gehende Irritation vertrauter Kirchenbilder dar. Nachdem viele Jahrhunderte lang einzig der Priester in liturgischer Kleidung zu sehen war, hat sich im kulturellen Gedächtnis die enge Verbindung von Priesteramt und liturgischem Gewand eingeprägt. Eine sensible Einführung der liturgischen Laiendienste samt ihren Gewändern ist im Nachgang der konziliaren Liturgiereform größtenteils ausgeblieben. Hinzu kommt, dass ältere kirchenamtliche Dokumente immer wieder betont haben, was Laien nicht tragen dürfen, damit keine Verwechslungsgefahr mit den kirchlichen Amtsträgern bestehe.

Textile Bedeutungsebenen

Um diesen Unsicherheiten besser begegnen und eine sachdienliche Diskussion führen zu können, lohnt der Blick auf die verschiedenen Bedeutungsdimensionen liturgischer Kleidung, die der oben zitierte Artikel 297 der AEM aufzeigt: Liturgische Kleidung hat zum einen Signalwirkung und transportiert diverse Codes. So lässt sich – bei entsprechendem Vorwissen – die jeweilige Feierform ablesen sowie die verschiedenen Rollen, Ämter und Dienste innerhalb einer Feier unterscheiden und bestimmen. Zum anderen prägt sie den festlichen Charakter der Feier, entfaltet eine ästhetische Dimension und trägt „zur Schönheit der heiligen Handlung“ (GORM 335) bei. Dazu gehört auch, dass Gewänder die Qualität der Ausübung eines Dienstes steigern, indem sie Körperbewegungen und Haltungen der ausübenden Personen positiv beeinflussen.

Bedeutsam ist vor allem die sakrale Dimension mit ihrem Verweischarakter: Als ästhetischer Überfluss verweist sie auf Gott und seine Herrlichkeit, die in der Liturgie symbolisch re-inszeniert und sinnenfällig erfahrbar wird. Indem sie sich von weltlicher (Fest-)Kleidung deutlich abhebt, markiert sie die Andersartigkeit des gottesdienstlichen Geschehens. Die Identifizierung liturgischer Kleidung als „Gewänder des Heils“ (Jes 61,10) zeigt an, dass Liturgie grundlegend ein Heilsgeschehen ist. Die Personen, die sie tragen, stehen exemplarisch für das, was sich an allen Teilnehmenden der liturgischen Feier ereignet: Das Hineingenommen-Werden in die Heilsgemeinschaft des dreieinen Gottes. Liturgische Gewänder führen allen Gottesdienstteilnehmenden vor Augen, wie sie selbst in der Liturgie vor Gott stehen: aufrecht, hell und erlöst.

Liturgische Kleidung für alle liturgischen Dienste

Nach diesen Überlegungen lohnt es sich, nochmals die Aussagen zu den Gewändern in der AEM zu reflektieren: Alle Dienste tragen ein liturgisches Gewand, wobei die Albe als Grundgewand markiert wird (vgl. AEM 298). Priester und Diakon tragen darüber Stola und Messgewand bzw. Dalmatik als die jeweiligen textilen Amtsinsignien (vgl. AEM 299 f.). Die liturgischen Laiendienste können neben der Albe auch „ein anderes in den einzelnen Gebieten rechtmäßig zugelassenes Gewand“ (AEM 301) tragen, wobei für den deutschen Sprachraum keine eigenen Regelungen vorliegen. GORM 339 benennt an selber Stelle ausdrücklich die Laiendienste Akolythat und Lektorat. Die Öffnung dieser spezifischen Laiendienste für Frauen durch Papst Franziskus im Jahr 2021 spitzt die kritische Anfrage an die Praxis nochmals zu.

AEM 298 über die Albe als Grundgewand enthält eine interessante und für die Auseinandersetzung bedeutsame Formulierung: „Das allen Diensten entsprechende liturgische Gewand ist die Albe.“ Als „mitgewachsenes Taufkleid“ wird sie als das Gewand der Getauften qualifiziert. Zugleich wird die Taufe als Legitimation zum Tragen dieses Gewandes dargestellt. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt auf dieser theologischen sowie textilen Grundlage die Ausdifferenzierung der Ämter und Dienste. Demnach trägt der Amtsträger liturgische Gewänder nicht aufgrund seiner Weihe, sondern er trägt seine spezifischen Gewänder über dem „Taufkleid“, der Albe. Die AEM betont in diesem Zusammenhang, dass die Albe nicht durch den Chorrock als spezifischer Klerikerkleidung ersetzt werden darf.

Angesichts der traditionsgeschichtlichen Hypothek, mit der die Gewandfrage belegt ist, ermöglichen diese Überlegungen einen unbefangenen Umgang mit liturgischer Kleidung für Laien: Das Tragen eines liturgischen Gewands ist keine pseudo- klerikalistische Annäherung oder Vereinnahmung, sondern zeichenhafte Ausdrucksweise einer liturgietheologischen Bestimmung: Das Tragen liturgischer Gewänder durch alle Dienste zeigt an, dass die Liturgie eine Feier der ganzen Gemeinde ist – nachgeordnet ausdifferenziert und ausbalanciert in die Vielzahl der Dienste und Ämter. Die oftmals sehr exponierte Rolle des priesterlichen Vorstehers wird auf diese Weise sichtbar ein- und rückgebunden in die Feiergemeinschaft, ohne dass Differenzmomente dadurch nivelliert würden. Gleichzeitig erfahren die liturgischen Laiendienste und deren Tätigkeit – man denke nur an die Wortverkündigung des Lektorendienstes – eine optische Aufwertung und lassen erkennen, dass sie „wahrhaft liturgische […] Dienst[e]“ (SC 29) sind.

Die Albe erweist sich dabei als ein sichtbares verbindendes Element aller Dienste, wenn sie z. B. aus dem gleichen Stoff und im selben Farbton gestaltet ist und in der Form unterschieden zwischen Unterzieh- und Mantelalbe. Des Weiteren ist auch eine entsprechende stofflich-stilistische Ausgewogenheit notwendig: Neben dem Priester in kunst- und prunkvoll ausgestaltetem Messgewand sehen Laiendienste, die nur eine schlichte Albe tragen, im wahrsten Sinne des Wortes blass aus. Eine textile Annährung würde zum einen die Messgewänder schlichter gestalten, zum anderen nach Formen suchen, wie die verschiedenen Laiendienste auch auf dieser Ebene gekennzeichnet und voneinander unterschieden werden können (in Entwürfen wurde z. B. mit Schildern zum Überziehen experimentiert). Auf diese Weise stellt sich ein integrales Kirchenbild ein, wie es von der Liturgie als Feier der Gemeinde auch gedacht werden kann.

Der zweite Teil des Beitrags erscheint in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift.

Anzeige: SCHOTT Messbuch - Für die Wochentage - Band 1: Geprägte Zeiten

Der Gottesdienst-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen Gottesdienst-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.