Liturgische Gewänder gehören zum
Erscheinungsbild gottesdienstlicher
Feiern. Sie tragen nicht nur erheblich
zur Festlichkeit des Geschehens bei,
sondern sie zeichnen und transportieren
auf eindrückliche und zugleich subtile Weise
Bilder von Kirche und bilden die Verhältnisbestimmungen
ab, in denen verschiedene
Glieder der Kirche zueinander stehen.
Das Bild von Kirche, das in der Praxis
der Eucharistiefeier im deutschen Sprachraum
gezeichnet wird, sieht in der Regel
wie folgt aus: Priester, ggf. Diakon, Ministrantinnen
und Ministranten ziehen zu
Beginn in liturgischen Gewändern in den
Kirchenraum ein und nehmen ihre Plätze
im Altarbereich ein. Die Personen, die liturgische
Dienste als Lektor/in oder Kommunionhelfer/
in übernehmen, haben ihren
Platz meistens in der Bank im Kirchenschiff.
Von dort treten sie in ziviler Kleidung zur
Ausübung des Dienstes an den jeweiligen
liturgischen Ort und kehren nach Beendigung
ihres Dienstes wieder zurück. Die
Gewänder verstärken die Zweiteilung im
Kirchenraum, die sich primär aus der Verortung
der Dienste im Altarbereich ergibt:
Die Dienste mit Gewand sitzen „oben“ und
sind in ihrer exponierten Stellung gut zu
sehen, die ohne Gewand sind „unten“ und
gehen in der Volksmenge etwas verloren.
Liturgische Kleidung, das wird an dieser
Beschreibung deutlich, hebt nicht nur
bestimmte Rollen hervor, sondern wirkt
als Distinktionsfaktor, der Personen bzw.
Personengruppen voneinander abgrenzt
und entsprechende Plätze innerhalb der
gemeinsamen Versammlung zuweist.
Die Liturgie möchte von ihrer Grundidee
her aber ein anderes, ein erweitertes
Bild zeichnen. Die Allgemeine Einführung in
das Römische Messbuch (AEM) formuliert
dazu paradigmatisch: „In der Kirche, dem
Leib Christi, haben die einzelnen Glieder
verschiedene Aufgaben. Die Vielfalt der
Dienste wird im Gottesdienst durch eine
unterschiedliche liturgische Kleidung verdeutlicht.
Sie soll auf die verschiedenen
Funktionen derer, die einen besonderen
Dienst versehen, hinweisen und zugleich
den festlichen Charakter der liturgischen
Feier hervorheben“ (AEM 297).
Diskrepanz, Vorbehalte und
Formunsicherheit
Die augenscheinlich große Diskrepanz zwischen
den liturgischen Vorgaben und der
Praxis wirft liturgietheologische Anfragen
auf und berührt die Auseinandersetzung um
Rollen- und Kirchenbilder. Im oben skizzierten
Beispiel wird u. a. über die liturgische
Kleidung eine scharfe Trennung zwischen
Laien und Klerus gesetzt. Die Ministrantinnen
und Ministranten im Altarbereich erscheinen
je nach der Art ihrer Kleidung sehr
deutlich dem Klerus zugeordnet, besonders
wenn sie Talar und Rochett tragen. Eine Feiergemeinde
muss sich selbstkritisch fragen,
ob sich ihr eigenes Selbstverständnis, gerade
bzgl. Leitung, in diesen liturgischen Bildern
widerspiegelt, vor allem weil auch Macht
und Autorität über Gewänder dargestellt
und eine entsprechende Rollenzuweisung
gefestigt werden, die weit über den liturgischen
Rahmen hinaus wirkt. Zudem hat
das Bild einer einzelnen erwachsenen Leitungsperson,
die umgeben ist von Kindern
und Jugendlichen, vor dem Hintergrund des
Missbrauchsskandals seine Unbefangenheit
verloren.
Die geringe Rezeption der liturgischen
Vorgaben zu Gewändern, aber auch die
Zurückhaltung in der Auseinandersetzung
und Reflexion in dieser Frage erstaunt. Weder
die Initiative „Gottes Volk – neu gekleidet“
der „Arbeitsgruppe Kirchliche Architektur
und Sakrale Kunst“ (AKASK – 1988)
noch der Wettbewerb „LiturgieGewänder“
des Deutschen Liturgischen Instituts (vgl.
den Ausstellungskatalog LiturgieGewänder.
Kirche und Design, Trier 2004) haben eine
nachhaltige bzw. flächendeckende Veränderung
entfalten können.
Die Gründe für die Zurückhaltung sind
vielschichtig. Neben persönlichen Gründen
ist es vor allem eine starke Formunsicherheit,
die ein Weiterkommen in dieser Sache
hemmt: Das Erscheinen von Frauen und
Männern in liturgischen Gewändern an exponierter
Stelle im Altarbereich neben dem
Priester stellt eine tief gehende Irritation
vertrauter Kirchenbilder dar. Nachdem
viele Jahrhunderte lang einzig der Priester
in liturgischer Kleidung zu sehen war, hat
sich im kulturellen Gedächtnis die enge
Verbindung von Priesteramt und liturgischem
Gewand eingeprägt. Eine sensible
Einführung der liturgischen Laiendienste
samt ihren Gewändern ist im Nachgang
der konziliaren Liturgiereform größtenteils
ausgeblieben. Hinzu kommt, dass ältere
kirchenamtliche Dokumente immer wieder
betont haben, was Laien nicht tragen
dürfen, damit keine Verwechslungsgefahr
mit den kirchlichen Amtsträgern bestehe.
Textile Bedeutungsebenen
Um diesen Unsicherheiten besser begegnen
und eine sachdienliche Diskussion führen
zu können, lohnt der Blick auf die verschiedenen
Bedeutungsdimensionen liturgischer
Kleidung, die der oben zitierte Artikel 297
der AEM aufzeigt: Liturgische Kleidung
hat zum einen Signalwirkung und transportiert
diverse Codes. So lässt sich – bei
entsprechendem Vorwissen – die jeweilige
Feierform ablesen sowie die verschiedenen
Rollen, Ämter und Dienste innerhalb einer
Feier unterscheiden und bestimmen. Zum
anderen prägt sie den festlichen Charakter
der Feier, entfaltet eine ästhetische Dimension
und trägt „zur Schönheit der heiligen
Handlung“ (GORM 335) bei. Dazu gehört
auch, dass Gewänder die Qualität der Ausübung
eines Dienstes steigern, indem sie
Körperbewegungen und Haltungen der
ausübenden Personen positiv beeinflussen.
Bedeutsam ist vor allem die sakrale Dimension
mit ihrem Verweischarakter: Als
ästhetischer Überfluss verweist sie auf Gott
und seine Herrlichkeit, die in der Liturgie
symbolisch re-inszeniert und sinnenfällig
erfahrbar wird. Indem sie sich von weltlicher
(Fest-)Kleidung deutlich abhebt, markiert
sie die Andersartigkeit des gottesdienstlichen
Geschehens. Die Identifizierung liturgischer
Kleidung als „Gewänder des Heils“
(Jes 61,10) zeigt an, dass Liturgie grundlegend
ein Heilsgeschehen ist. Die Personen, die sie tragen, stehen exemplarisch für das,
was sich an allen Teilnehmenden der liturgischen
Feier ereignet: Das Hineingenommen-Werden in die Heilsgemeinschaft des dreieinen
Gottes. Liturgische Gewänder führen
allen Gottesdienstteilnehmenden vor Augen,
wie sie selbst in der Liturgie vor Gott stehen:
aufrecht, hell und erlöst.
Liturgische Kleidung
für alle liturgischen Dienste
Nach diesen Überlegungen lohnt es sich,
nochmals die Aussagen zu den Gewändern
in der AEM zu reflektieren: Alle Dienste
tragen ein liturgisches Gewand, wobei die
Albe als Grundgewand markiert wird (vgl.
AEM 298). Priester und Diakon tragen darüber
Stola und Messgewand bzw. Dalmatik
als die jeweiligen textilen Amtsinsignien
(vgl. AEM 299 f.). Die liturgischen Laiendienste
können neben der Albe auch „ein
anderes in den einzelnen Gebieten rechtmäßig
zugelassenes Gewand“ (AEM 301)
tragen, wobei für den deutschen Sprachraum
keine eigenen Regelungen vorliegen.
GORM 339 benennt an selber Stelle ausdrücklich
die Laiendienste Akolythat und
Lektorat. Die Öffnung dieser spezifischen
Laiendienste für Frauen durch Papst Franziskus
im Jahr 2021 spitzt die kritische Anfrage
an die Praxis nochmals zu.
AEM 298 über die Albe als Grundgewand
enthält eine interessante und für die
Auseinandersetzung bedeutsame Formulierung:
„Das allen Diensten entsprechende
liturgische Gewand ist die Albe.“ Als
„mitgewachsenes Taufkleid“ wird sie als
das Gewand der Getauften qualifiziert. Zugleich
wird die Taufe als Legitimation zum
Tragen dieses Gewandes dargestellt. Erst
in einem zweiten Schritt erfolgt auf dieser
theologischen sowie textilen Grundlage die
Ausdifferenzierung der Ämter und Dienste.
Demnach trägt der Amtsträger liturgische
Gewänder nicht aufgrund seiner Weihe,
sondern er trägt seine spezifischen Gewänder
über dem „Taufkleid“, der Albe. Die AEM
betont in diesem Zusammenhang, dass die
Albe nicht durch den Chorrock als spezifischer
Klerikerkleidung ersetzt werden darf.
Angesichts der traditionsgeschichtlichen
Hypothek, mit der die Gewandfrage
belegt ist, ermöglichen diese Überlegungen
einen unbefangenen Umgang mit liturgischer
Kleidung für Laien: Das Tragen
eines liturgischen Gewands ist keine pseudo-
klerikalistische Annäherung oder Vereinnahmung,
sondern zeichenhafte Ausdrucksweise
einer liturgietheologischen
Bestimmung: Das Tragen liturgischer Gewänder
durch alle Dienste zeigt an, dass die
Liturgie eine Feier der ganzen Gemeinde ist
– nachgeordnet ausdifferenziert und ausbalanciert
in die Vielzahl der Dienste und
Ämter. Die oftmals sehr exponierte Rolle
des priesterlichen Vorstehers wird auf diese
Weise sichtbar ein- und rückgebunden
in die Feiergemeinschaft, ohne dass Differenzmomente
dadurch nivelliert würden.
Gleichzeitig erfahren die liturgischen
Laiendienste und deren Tätigkeit – man
denke nur an die Wortverkündigung des
Lektorendienstes – eine optische Aufwertung
und lassen erkennen, dass sie „wahrhaft
liturgische […] Dienst[e]“ (SC 29) sind.
Die Albe erweist sich dabei als ein sichtbares
verbindendes Element aller Dienste,
wenn sie z. B. aus dem gleichen Stoff und im
selben Farbton gestaltet ist und in der Form
unterschieden zwischen Unterzieh- und
Mantelalbe. Des Weiteren ist auch eine entsprechende
stofflich-stilistische Ausgewogenheit
notwendig: Neben dem Priester in
kunst- und prunkvoll ausgestaltetem Messgewand
sehen Laiendienste, die nur eine
schlichte Albe tragen, im wahrsten Sinne
des Wortes blass aus. Eine textile Annährung
würde zum einen die Messgewänder
schlichter gestalten, zum anderen nach Formen
suchen, wie die verschiedenen Laiendienste
auch auf dieser Ebene gekennzeichnet
und voneinander unterschieden werden
können (in Entwürfen wurde z. B. mit Schildern
zum Überziehen experimentiert). Auf
diese Weise stellt sich ein integrales Kirchenbild
ein, wie es von der Liturgie als Feier der
Gemeinde auch gedacht werden kann.
Der zweite Teil des Beitrags erscheint in
der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift.