Wer trägt die Verantwortung für
die Ordnung und Entwicklung
der Liturgie in den einzelnen
Sprachgebieten? Um diese Frage ist in den
letzten Jahrzehnten mit zum Teil gegenläufigen
Positionen heftig gerungen worden.
Niedergeschlagen hat sich die Problematik
immer wieder in den Verlautbarungen des
Apostolischen Stuhls, wobei man unter den
Päpsten seit Johannes Paul II. von einem
„Schlingerkurs“ sprechen kann. Hatte Papst
Franziskus sich zu Beginn seines Pontifikats
mit Dokumenten zur Liturgie zurückgehalten,
so hat er selbst oder haben die
Kongregationen unter seinem Einfluss seit
2017 mehrere bedeutende Verlautbarungen
veröffentlicht. Die Instruktion Postquam
Summus Pontifex vom 22. Oktober
2021 gehört dazu.
Stellung des Dekrets im
größeren
Zusammenhang
Das Dekret mit Ausführungsbestimmungen
zum päpstlichen Motu proprio Magnum
principium (2017; vgl. Gd 21/2017,
S. 169–171) steht in einer Reihe ähnlicher
Dokumente:
-
der Übersetzerinstruktion Comme le prévoit
(1969), deren Prinzipien die Erarbeitung
der muttersprachlichen Bücher im
Zuge der Liturgiereform leiteten, und
- der Übersetzerinstruktion Liturgiam
authenticam (2001; fortan: LA), die die
Instruktion von 1969 außer Kraft setzte
und im Kern völlig entgegengesetzte Übersetzungsprinzipien
vorgab. Diese waren
gepaart mit einer Aufhebung von teils seit
Langem funktionierenden Strukturen liturgischer
Verantwortung in verschiedenen
Teilkirchen (u. a. seit 1969 die „Internationale
Arbeitsgemeinschaft der Liturgischen
Kommissionen im deutschen Sprachgebiet“,
kurz: IAG), einem weitgehenden
Entzug der Verantwortung der Bischofskonferenzen
für die Herausgabe der liturgischen
Bücher in ihrem Bereich und einer
römischen Zentralisierung ebenfalls der
teilkirchlichen Arbeitsprozesse, indem die
jeweils zuständige Kommission als römische Instanz
definiert und vom Apostolischen
Stuhl berufen wurde und indem
alle im Prozess mitwirkenden Übersetzer
ein Nihil obstat der Kongregation benötigten
(wobei es auch zu Verweigerungen dieses
Nihil obstat kam).
Die Ekklesiologie, die
hinter der Instruktion LA stand, war kaum
mit jener des Zweiten Vatikanischen Konzils
(z. B. Lumen Gentium) in Einklang zu
bringen; bestimmte Positionen, beispielsweise
zur Inkulturation der römischen
Liturgie, waren unter fachlichem Aspekt
inakzeptabel.
Papst Franziskus hatte mit Magnum
principium zur Änderung von can. 838 § 2
und 3 CIC den Bischofskonferenzen bereits
die Verantwortung für die Herausgabe der
muttersprachlichen liturgischen Bücher
zurückgegeben. Das Dekret Postquam Summus
Pontifex regelt nun weitere Details für
deren Erarbeitung und räumt Unsicherheiten
über bestimmte Verfahrensweisen
in der Abstimmung zwischen Bischofskonferenzen
und Apostolischem Stuhl aus, die
nach dem päpstlichen Motu proprio noch
bestanden hatten.
Approbation und Konfirmierung
Das Dekret folgt eindeutig der päpstlichen
Entscheidung und der auch an anderen
Stellen dieses Pontifikats begegnenden Option,
die Bischofskonferenzen zu stärken.
Sie sind es nun, die allein die Erarbeitung
liturgischer Bücher in den Volkssprachen
verantworten, die dafür geeigneten Verfahren
bestimmen, die am Prozess beteiligten
Fachleute auswählen und schließlich die
Approbation erteilen. Letztere bedeutet
ebenfalls die inhaltliche Prüfung der Vorlagen.
In die Prozesse eingebunden werden
sollen die bischöfliche Liturgiekommission
sowie – das ist neu – die Glaubenskommission.
Damit verbleibt auf jeden Fall die Erarbeitung
der liturgischen Bücher ganz auf
der teilkirchlichen Ebene, was eine radikale
Abkehr von LA bedeutet. Operativ sind
dafür gemischte Kommissionen zu schaffen;
die 2019 errichtete „Konferenz Liturgie
der Kirche im deutschen Sprachgebiet“
(vgl. Gd 6–7/2019, S. 84) entspricht bereits
dieser Maßgabe.
Die Rolle des Apostolischen Stuhls besteht
nun in der Erteilung der confirmatio
(Konfirmierung, Bestätigung) sowie in
bestimmten Fällen der recognitio (inhaltliche
Überprüfung). Eine Konfirmierung
war auch in der ersten Phase der Liturgiereform
vorgesehen; alle teilkirchlichen
liturgischen Bücher, die ab 1968 erschienen
sind, enthalten einen solchen Konfirmierungsvermerk.
Hierdurch soll unter anderem
das Band der Einheit zwischen dem
Apostolischen Stuhl und der jeweiligen
Teilkirche ausgedrückt werden. „Konfirmierung“
bedeutet keine detaillierte inhaltliche
Überprüfung, denn diese ist zuvor auf
der Ebene der Bischofskonferenzen geschehen,
sondern umschließt eine eher formale
Prüfung (vgl. Art. 45 und 46 des Dekrets).
Eine recognitio als inhaltliche Überprüfung
behält sich die Kongregation für den Gottesdienst
und die Sakramentenordnung
bei weitergehenden Anpassungen vor, die
– über die lateinischen Editiones typicae
hinaus – zusätzliche Riten und Texte in die
volkssprachlichen Bücher einführen. Sie
sind möglich, wenn eine Bischofskonferenz
sie für notwendig und sachgerecht hält, bedürfen
aber einer genaueren Begründung.
Anpassungen in deutschsprachigen
liturgischen Büchern
Im Blick auf das deutsche Sprachgebiet
werden zweifellos auch in Zukunft solche
weitergehenden Anpassungen vorkommen.
Schon jetzt begegnen sie in fast allen
liturgischen Büchern, in einigen Fällen
sogar recht ausgeprägt (z. B. im Messbuch
bei der „Feier der Gemeindemesse“ bzw.
beim Ordo Missae sowie bei bestimmten
Orationen, im Stundenbuch besonders bei
den Hymnen und Väterlesungen, bei der
Feier der Eingliederung Erwachsener in
die Kirche, bei der Kindertaufe die Feier
in zwei Stufen usw.). Das Dekret zeigt eine
prinzipielle Offenheit dafür, die von den Bischofskonferenzen auch zur Bereicherung
der Euchologie und mit Rücksicht auf partikularkirchliche
Gegebenheiten genutzt
werden sollte.
Orientierungen für Übersetzungen
aus dem Lateinischen
Bei den Übersetzungsprinzipien kommt das
Dekret weithin zur Instruktion von 1969 zurück,
wenn vor allem die Zielsprache, in die
hinein übersetzt wird (und nicht das Latein
als Ausgangssprache, wie in LA von 2001
gefordert), maßgeblich sein soll. Es geht
also nicht um strikte Wörtlichkeit, sondern
um sinngemäßes Übersetzen, das heißt die
Wiedergabe des Urtextes mit den sprachlichen
Möglichkeiten der betreffenden Volkssprache.
Zudem soll das Sprachverständnis
der jüngeren Generation berücksichtigt
werden (Art. 13) – eine bemerkenswerte
Richtlinie. Die übersetzten Texte müssen
die Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie
gewährleisten, was uneingeschränkt im
Einklang mit den Intentionen der Liturgiekonstitution
des Konzils steht. Dass man im
Sinne der größtmöglichen Verständlichkeit
nicht auf eine theologische und liturgische
Fachsprache verzichten kann, liegt in der
Natur der Sache begründet. Wie man mit
den Anforderungen einer inklusiven Sprache
in der Liturgie umgeht (darauf spielt
offenbar Art. 13 an), wird man im Grundsatz,
dann aber vor allem in der konkreten
Übersetzungsarbeit lösen müssen. Auf
jeden Fall schafft die weite Interpretation
von „getreuer“ Übersetzung einen großen
Gestaltungsspielraum; Treue wird verlangt
„gegenüber dem Originaltext, (…) gegenüber
der jeweiligen Volkssprache, in die
übersetzt wird, und schließlich gegenüber
der Anpassung eines Textes, der aus einem
Vokabular der biblischen Offenbarung und
der liturgischen Tradition geformt ist, an
das Verständnis des Volkes, für das er bestimmt
ist“ (Art. 20). Der Rückgriff auf schon
bestehende Übersetzungen liturgischer Bücher
ist ausdrücklich möglich; es werden
also nicht – wie in LA – durchgehend neue
Übersetzungen verlangt. Vor allem bei den
Teilen, die dem Volk zukommen (Akklamationen
usw.), wird sogar eine Stabilität der
Texte angestrebt. Wenn der Papst sich die
Approbation der sakramentalen Worte bei
den Sakramentenfeiern vorbehält, führt
das eine schon 1973 eingeführte Praxis fort.
Internationale Zusammenarbeit
im selben Sprachgebiet
Wie bisher wird die Zusammenarbeit der
Bischofskonferenzen desselben Sprachgebietes
gewünscht. Im deutschen Sprachgebiet
hat sich dies bewährt, wenn die
liturgischen Bücher gemeinsam von den
Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs
und der Schweiz sowie von den
(Erz-)Bischöfen von Luxemburg, Bozen-
Brixen, Lüttich, teilweise auch Straßburg
und Metz erarbeitet und herausgegeben
werden – das Erzbistum Vaduz wird sich
unter seinem nächsten Erzbischof hoffentlich
auch beteiligen. Im Gegensatz zu LA
kommt die Approbation von Eigengesängen
für die Liturgie (vgl. die Gesangbücher
„Gotteslob“ und „Katholisches Gesangbuch“
der Schweiz) ebenfalls allein den Bischofskonferenzen
zu; sie bedürfen keiner römischen
Genehmigung mehr, die bei der
Erarbeitung des „Gotteslob“ 2013 eine erhebliche
Schwierigkeit bedeutete. Somit
werden die Rechtsverhältnisse vor LA wiederhergestellt,
die sich zuvor mehr als ein
Jahrhundert lang bewährt hatten.
Weitere Artikel befassen sich mit den
Eigentexten der Diözesen und Ordensgemeinschaften;
am Ende folgt ein umfangreiches
Verzeichnis von Änderungen, die
in den bestehenden liturgischen Büchern
aufgrund des Dekrets erforderlich sind.
Der „Geist“ des Dekrets
Zwei Aussagen vom Beginn und vom Ende
des Dokuments lassen in besonderer Weise
seinen Geist erkennen:
- Zu Beginn werden
die muttersprachlichen liturgischen Bücher
als gleichrangig mit den Editiones typicae
und als voller Ausdruck des Glaubens sowie
als Stimme der Kirche anerkannt (Art. 4); so
deutlich hat dies noch kein römisches Dokument
zuvor gesagt.
- Am Ende wird vom
Dialog zwischen der Kongregation und
den Bischofskonferenzen für den Fall von
auftretenden Differenzen gesprochen und
nicht von einseitigen Vorgaben (Art. 48–49).
Mit diesem Dekret ist ein neuer Grundstein
für die Erarbeitung und die in manchen
Bereichen nötige Fortschreibung
liturgischer Bücher in den Volkssprachen
gelegt, der die defizitäre Ekklesiologie und
die zentralistische Enge von Liturgiam authenticam
überwindet. Die Bischofskonferenzen
müssen nun ihre Verantwortung
wahrnehmen und die notwendigen Schritte
in der liturgischen Arbeit auf den Weg
bringen. Man darf hoffen, dass sich der
Geist dieses Dekrets zukünftig bei dessen
Anwendung bewährt und die konkrete Zusammenarbeit
mit dem Apostolischen Stuhl
sich in der hier grundgelegten Form konstruktiv
gestalten lässt.