Editorial

Ein seltsames Volk waren die Phönizier aus Sicht ihrer Zeitgenossen: Anstatt blutig Land zu erobern und andere zu massakrieren, so wie es sich gehörte um heldenhaft zu sein, trieben sie einfach nur friedlichen Handel. Und wurden dabei auch noch unverschämt reich. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen! Entsprechend misstrauisch beäugten die antiken Völker von den Israelis bis zu den Griechen die Phönizier, verdächtigten diese gerne der Habgier, Schurkerei und Dekadenz.

Dabei gab es »die Phönizier« eigentlich gar nicht. Ihr Land ist ein 300 Kilometer langer Küstenstreifen, der vom Süden des heutigen Syriens über den Libanon bis in den Norden Israels reicht. Dort reihte sich wie an einer Perlenkette ein Stadtstaat an den anderen. Jeder war für sich unabhängig, und die Bewohner bezeichneten sich nach ihren Städten etwa als Tyrer, Beiruter oder Bybler, aber nicht als Phönizier. Diesen Sammelnamen bekamen sie von den Griechen verpasst, aufgrund ihres irrsinnig teuren Handelsproduktes Purpur.

Nicht nur in der Antike, auch im 19. und 20. Jahrhundert diskreditierten Europas Geschichtsschreiber die Phönizier, obwohl wir ihnen unser Alphabet und vieles mehr verdanken, wie Sie im Essay ab Seite 16 lesen können. Was waren solche Krämerseelen schon im Vergleich zu den griechischen Heroen, lautete überspitzt der Tenor. Inzwischen ist es Zeit für eine neue Bewertung: Sollten wir uns nicht den Menschen näher fühlen, die friedlich ihr Geld verdienen wollten, als denen, die sich gerne die Köpfe einschlugen?

Ihr
Dr. Christian Pantle, Chefredakteur

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