Lasst Blumen sprechenKolumne

Wir Eltern schielen ständig auf Leistungen und Noten. Wo bleibt der Blick für alles andere, was in der Schule so passiert?

Lasst Blumen sprechen
© Matthias Wieber, Freiburg

Lesenacht! Wie aufregend! Die Zweitklässler übernachten von Freitag auf Samstag in der Schule. Wir haben im Vorfeld E-Mails studiert und Listen abgearbeitet. Überlebenswichtige Fragen mussten geklärt werden: Wo ist die Taschenlampe? Und funktioniert sie überhaupt noch? Jetzt stehen wir mit Schlafsack, Kuscheltier und Lieblingsbuch an der Tür zu den Horträumen. Mit uns 28 andere Kinder und ihre Eltern. Gedränge. Wo sollen die Kleinen bloß alle schlafen? Unter den Tischen, zwischen den Legosteinen, auf dem Kletterturm?
Mit großer Geduld dirigiert Frau Schmitz, unsere Erzieherin, zusammen mit einem jungen Kollegen die Massen. Dort passt doch noch eine Isomatte hin, und da, diese drei Kinder können auch noch ein bisschen zusammenrücken. Am Ende hat tatsächlich jede und jeder ein Plätzchen gefunden. Der Geräuschpegel ist atemberaubend. Und die erste Kissenschlacht in vollem Gange.

MAL AN DIE ERZIEHERIN DENKEN

Ein bisschen unwillig lassen wir Erwachsene uns aus dem Gebäude bugsieren. Noch ein Abschiedsküsschen. Und noch eins und noch eins. Schlaft gut! Viel Spaß! Draußen auf dem Bürgersteig quatschen wir noch eine Weile mit den anderen Eltern: Wird der wilde Haufen überhaupt zur Ruhe kommen? Werden die zwei Pädagogen die aufgedrehte Truppe in Schach halten können? Was, wenn nachts doch bei dem ein oder anderen Heimweh aufflackert?
Mir spukt noch ein anderer Gedanke im Kopf herum. Warum wird so wenig wertgeschätzt, was die Erzieherinnen und Erzieher jeden Tag an unseren Schulen leisten? Auch ich suche meistens das Gespräch mit der Klassenlehrerin: Wie geht’s voran? Welcher Stoff wird gerade behandelt? Sollen wir zu Hause noch mehr lesen üben? Die Arbeit des Hortteams fällt auch in meiner Wahrnehmung des Schulalltags oft hinten runter. Dabei sind wirklich tolle Projekte dabei. Anti-Gewalt- Workshops, Ausflüge, sensationelle Ferienprogramme. Arbeitsgemeinschaften, Obstmahlzeiten am Nachmittag, Back- und Bastelaktionen. Und so weiter und so weiter.
Als meine älteste Tochter eingeschult wurde, ich erinnere das noch sehr gut, hielt die Schuldirektorin ein flammendes Plädoyer. Es handelte von Bindungen, Werten, Freundschaften. „Ihre Kinder sollen zu einer richtigen Klassengemeinschaft zusammenwachsen.“ Ich war damals zu Tränen gerührt – ohne genau zu wissen, warum. Drei Kinder und viele, viele Jahre Grundschulerfahrung später weiß ich es. Kinder lernen nur gut, wenn sie sich wohlfühlen. Wenn die Balance zwischen Konzentration und Toben stimmt. Wenn es ausreichend Räume gibt, in denen es nicht um Bücher und Wissen geht, sondern um den achtsamen Umgang miteinander.
Drei Wochen nach der Lesenacht (niemand hatte Heimweh, keiner musste abgeholt werden) hängen große, bunte Pappplakate vor dem Klassenzimmer. „Unsere Schulübernachtung“ steht in schwungvoller Schreibschrift darauf. Darunter mehr als 20 Fotos. Kinder, die in ihre Kissen eingekuschelt in die Kamera lächeln. Kinder, die friedlich und zerzaust schlafen. Kinder, die morgens gut gelaunt ihre Müslischalen leer löffeln.
Ich muss Frau Schmitz wirklich dringend mal einen Blumenstrauß mitbringen. Und Danke sagen – für alles.  

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