"Die Kirche darf nicht um jeden Preis neue Mitglieder wollen". Und: "Rückkehr zu Religion bei Jugendlichen nicht unkritisch bejubeln". Zwei Schlagzeilen, erschienen am selben Tag auf katholisch.de, dem "Nachrichten- und Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland":
Ich frage mich: Was stimmt mit einer Institution nicht, auf deren Internetauftritt vor dem Zulauf von Neumitgliedern gewarnt wird? Was will man mit solchen Überschriften erreichen? Sollen hier Menschen bewusst abgeschreckt werden?
Es gibt in verschiedenen Ländern – auch in Österreich – gewisse empirische Hinweise auf eine neue Offenheit in der jungen Generation gegenüber Religion und Kirche. Zuletzt haben Medien verstärkt über diese Entwicklung berichtet. Und ganz offensichtlich macht das einige nervös.
Unbehagen
Die Überschriften zeugen von einem Unbehagen in einem gewissen Teil des kirchlichen Milieus: Wer fühlt sich da neuerdings von der Kirche angesprochen? Sind das überhaupt Leute, die wir in unseren Reihen haben wollen?
Tatsächlich weiß man über die Menschen, die in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden neu zum Glauben finden, noch nicht viel. Die Kommentatorin bei katholisch.de hat aber einen Verdacht:
"Es könnte sein, dass gerade die katholische Kirche in einer Zeit starker Autoritäten, einer Schwächung des Minderheitenschutzes und der Frauenrechte und eines neuen Gehorsams- und Standesdünkels (diesmal nicht des Adels, sondern der Geldelite) wieder anziehend wird."
Und sie droht:
"Wenn meine Kirche sich nicht entschieden davon distanziert, auf der Welle neuer rechtskonservativer, populistischer Strömungen mitzuschwimmen, kann ich nicht mehr für diese Kirche stehen."
Die Autorin vermutet also: Hier kommen Leute, die nicht links sind. Und die sind nicht willkommen.
Vorwurf "Anti-Intellektualismus"
Der zweite Text bei katholisch.de ist die zugespitzte Zusammenfassung eines Artikels der Wiener Pastoraltheologin Regina Polak in der "Herder Korrespondenz". Polak argumentiert differenzierter. Die Theologin verweist auf "identitätspolitische Dynamiken" und meint, dass die "multiplen Krisen" heutiger Gesellschaften junge Menschen "nach Halt, Orientierung und Refugien suchen lassen". Gut möglich, dass solche Motive eine Rolle spielen. Was wäre gegen das Bedürfnis nach Halt und Orientierung auch einzuwenden?
Wenn Polak dann aber "theologische problematische Schlagseiten" der Religiosität junger Leute benennt, wie etwa "die individualistische Funktionalisierung, die Versuchung zur Identitätssicherung, die Sehnsucht nach Rückzug, die Tendenz zum Anti-Intellektualismus" – dann muss die Rückfrage erlaubt sein, auf welcher Grundlage eine solche Charakterisierung vorgenommen wird.
Ich kenne Menschen, die zur katholischen Kirche gefunden haben. Wenn diese Leute eins nicht sind, dann anti-intellektuell. Im Gegenteil. Sie haben lange nachgedacht, viel gelesen, Argumente abgewogen: über die Welt, über die Gesellschaft, über den Sinn des Lebens, über Gott. Sie haben eine bewusste, in hohem Maße reflektierte Entscheidung getroffen.
Anderseits ist Intellektualität nicht alles: Kirche darf Wärme, Gemeinschaft, Heimat und Sicherheit bieten, darf sinnlich sein und froh machen. Trotzdem hat Polak recht, wenn sie schreibt: "Junge Menschen (müssen) die Chance bekommen, einen Glauben zu lernen, der emotional und intellektuell belastbar bleibt, wenn das erste Feuer schwächelt." Doch bei den Konvertiten, die ich kenne, mache ich mir diesbezüglich keinerlei Sorgen.
Über Politik sprechen
Natürlich diskutiere ich mit ihnen auch über Politik. Das Gute dabei ist: Unter Christen kann man sich über gemeinsame Grundlagen verständigen: über die Gleichheit und Würde aller Menschen oder über die Bedeutung von Mitgefühl und Barmherzigkeit. Ich kann und muss aber auch damit leben, dass jeder daraus unterschiedliche politische Schlussfolgerungen zieht.
Polak vermutet außerdem, dass "da eine Generation kommt, die weniger kritische Fragen stellt und sich kaum für Reformen und Strukturen interessiert". Das wäre tatsächlich nicht verwunderlich: Menschen, die aufgrund einer bewussten Entscheidung in die Kirche eintreten, wollen sie nicht als Erstes verändern; sie empfinden auch keinen Anpassungsdruck an gesellschaftlich vorherrschende Normen, sondern wollen bewusst ein anderes Leben führen. Sie suchen nach dem "christlichen Unterschied".
Aber ist das tatsächlich ein Grund, diesen Leuten die Tür zu weisen? Sind politische Homogenitität und die Sicherung von progressiven Mehrheitsverhältnissen in einer schrumpfenden Kirche etwa wichtiger als die Verbreitung des Evangeliums?