Vor 20 Jahren ging ein Bild durch die Welt. Eine große deutsche Tageszeitung setzte darüber den pfiffigen Titel "Wir sind Papst". Doch das Bild wirkte auch unter anderen Überschriften. Da stand ein verlegen lächelnder Joseph Ratzinger, der als Kardinaldekan gerade noch das Konklave geleitet hatte, als neuer Papst auf der Loggia des Petersdoms und wandte sich in ein paar kurzen Sätzen an die Weltöffentlichkeit.
Mehr noch als seine Worte, in denen er sich einen "einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn" nannte, wirkte das Bild: Die reich bestickte päpstliche Stola lag breit und schwer auf seinen schmalen Schultern, und unter dem weißen Chorrock sah man deutlich einen schwarzen Pullover, mit dem er sich vor der Kälte in den vatikanischen Gemächern hatte schützen wollen.
Dass Benedikt XVI. in den ersten Tagen seiner Amtszeit oft von seinem "großen Vorgänger" Johannes Paul II. sprach und betonte, dass er sich selbst nur als "ungenügendes Werkzeug" in der Hand Gottes empfinde, hat man vielfach als Understatement aufgefasst, als Herausstreichen einer Demut, die Ratzinger als brillanter Intellektueller und schon lange enorm einflussreicher Kurienkardinal eigentlich gar nicht haben konnte. Doch wenn man von seinen ersten Ansprachen und Predigten aus den weiteren Verlauf seines Pontifikats betrachtet, hat uns Benedikt XVI. damit vielleicht einen Schlüssel gereicht, um seine Amtsführung, seinen Umgang mit Krisen und Konflikten bis hin zu seinem Amtsverzicht besser verstehen zu können.
Weil so eine innere Distanz und Freiheit gegenüber dem eigenen Amt, den eigenen Fähigkeiten und Meriten so selten vorkommt in unserer Welt und wohl auch in der Kirche, hat man Benedikt XVI. häufig missverstanden.
"Das eigentliche Regierungsprogramm ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Willen des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen", betonte der neue Papst bei seiner Amtseinführung am 22.4.2005 – übrigens ganz ähnlich zu dem, was er 28 Jahre zuvor in der Predigt bei seiner Bischofsweihe in München gesagt hatte.
Weil so eine innere Distanz und Freiheit gegenüber dem eigenen Amt, den eigenen Fähigkeiten und Meriten so selten vorkommt in unserer Welt und wohl auch in der Kirche, hat man Benedikt XVI. häufig missverstanden. Die Liberalen, angeführt von Hans Küng, sahen in ihm einen verkappten Karrieristen, der seine früheren reformorientierten Ansichten nach und nach eingetauscht hatte gegen Rom-Treue und theologischen Dogmatismus. Die Konservativen waren oft enttäuscht davon, wie sehr der Papst um Mehrheiten warb anstatt die "richtige Lehre" einfach qua Amt durchzusetzen, etwa in Fragen der Moral oder der Liturgie.
Leben aus der Beziehung zu Christus heraus
Doch beide Ratzinger-Bilder sagen mehr über jene, die sie erschaffen und in die Öffentlichkeit tragen, als über den, die sie abzubilden beanspruchen. Benedikt XVI. wollte es weder den Liberalen noch den Konservativen recht machen. Stattdessen wollte er der Wirklichkeit Gottes den ersten Platz in seinem Leben, in seinem Denken und Handeln einräumen. Daher die großen Ansprachen beim Weltjugendtag in Köln, in Paris und in London, die Wellen von Konversionen und Priesterberufungen ausgelöst haben. Daher seine unermüdliche Arbeit in jeder freien Stunde seines Pontifikats an den Jesus-Büchern, die er als Auftrag Gottes empfand und die Jahre lang Wissenschaft und Kirche in Atem hielten. Daher auch das Eingeständnis der eigenen Fehler bei der Regensburger Rede oder in der Williamson-Affäre, die für einen Papst so ungewöhnliche Klage über die "sprungbereite Feindseligkeit" der Medien und die Bitte um "Sympathie, ohne die es kein Verstehen gibt".
Es ist weniger die Stärke seiner Person und Amtsführung als vielmehr seine Schwäche und Menschlichkeit, die vielen in Erinnerung geblieben ist, die scheue Zurückhaltung in persönlichen Begegnungen, das Dienen- und Helfen-Wollen durch die Wahrheit, indem er immer wieder von Jesus Christus sprach, ohne den das menschliche Leben seinen Glanz, seinen Sinn, seine Zukunft verlieren würde. Christsein, so sagte Benedikt XVI. nicht nur, sondern lebte es auch vor, ist "eine Weise zu leben", ein Annehmen und Verarbeiten der Freuden und Lasten des Lebens aus der Beziehung zu Christus heraus, das Durchsichtig-Werden des eigenen Alltags auf ihn hin.
Persönliche Briefe unterschrieb er noch lange nach seiner Papstwahl mit "Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.", wie um die Spannung mit anderen zu teilen, in der er selbst lebte, oder um sich daran zu erinnern, dass er noch ein anderer war. So gesehen, stellte ein Amtsverzicht für ihn immer eine Möglichkeit dar, nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen in den letzten Jahren des Pontifikats von Johannes Paul II.
Darum hat er sich nie völlig mit einem Amt identifiziert, weder als Professor noch als Erzbischof, Präfekt oder Papst, sondern war für seine Freunde und Schüler immer als Mensch erreichbar. Persönliche Briefe unterschrieb er noch lange nach seiner Papstwahl mit "Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.", wie um die Spannung mit anderen zu teilen, in der er selbst lebte, oder um sich daran zu erinnern, dass er noch ein anderer war. So gesehen, stellte ein Amtsverzicht für ihn immer eine Möglichkeit dar, nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen in den letzten Jahren des Pontifikats von Johannes Paul II.
Joseph Ratzinger bleibt der Unvollendete auf dem Stuhl Petri. Eine letzte Synthese hat er weder als Theologe noch als Kirchenoberhaupt angestrebt. Gerade darin liegt sein Vermächtnis und auch das Anregende seines Denkens und das Anziehende seiner Person: dass es für die Kirche manchmal wichtiger ist, zu hören, als zu reden, das Evangelium zu leben, als darüber zu schreiben, sich nicht selbst darzustellen, sondern dem Raum zu geben, auf den sie verweist.