Auf dem Weg zur englischsprachigen Eucharistiefeier in Utrecht an einem Frühlingssonntagmittag ist fast kein Durchkommen; die Stadt ist überfüllt mit Menschen und die Geschäfte melden einen ebenso großen Umsatz wie an den Samstagen vor Weihnachten. Mittendrin an die 400 Menschen, die in der Augustinuskerk an der Oudegracht Eucharistie feiern: Altersdurchschnitt etwa 35, eine gesammelte Atmosphäre und hohe ethnische Diversität. Gefeiert wird die normale katholische Liturgie des 4. Ostersonntags, anschließend ist Gemeindekaffee und parallel dazu Beichtzeit, beides gut frequentiert.
Bei einer Fortbildung mit einer Gruppe von Pfarrern aus dem Bistum Rotterdam kommt am Rande die Frage nach Erwachsenentaufen auf. In jeder Pfarrei ist die Zahl seit einigen Jahren steigend und mittlerweile zweistellig. Doch irgendwie scheinen die Pfarrer dem Phänomen noch nicht zu trauen und brechen keineswegs in Enthusiasmus aus. Zu lange haben sie nur Rückgang erlebt. Ihr Pragmatismus lässt sie eher abwarten und beobachten, gleichwohl freuen sie sich und tauschen sich darüber aus, wie die Neuen eine kirchliche Beheimatung finden könnten.
In einer ehemaligen Utrechter Kirche, die heute eine große Innenstadtkneipe ist, hängen als Relikte der früheren Verwendung immer noch die Figuren von Willibrord und Bonifatius an der Wand. Zwei junge Frauen unterhalten sich darüber. "Kennst du die beiden?", fragt eine die andere. Der eine müsse Mohammed sein, den anderen wisse sie nicht zuzuordnen, antwortet ihre Freundin.
Vergessen und Erinnern
Es sind unter anderem solche Erfahrungen, die mich als Autor von "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt" geprägt haben. Das letzte Beispiel verweist darauf, dass jenseits aller Debatten um die Säkularisierung das Christentum als Bilder-, Symbol- und Begriffswelt immer mehr aus dem kulturellen Gedächtnis der Gegenwart verschwindet. Zugleich finden individuelle und kulturelle Erinnerungsprozesse statt, die zumeist situativ und narrativ strukturiert sind. In den Niederlanden wird beispielsweise das Fernsehspektakel "The Passion", das in der Karwoche ausgestrahlt wird, seit einigen Jahren um eine Ausgabe zu Christi Himmelfahrt ergänzt.
Das zweite Beispiel verweist darauf, dass solche Erinnerungs- oder auch Bekehrungsprozesse unerwartet stattfinden: Niemand hat sie geplant, keine Kirche sie pastoralstrategisch initiiert. Häufig sind die Großeltern, aber ebenso Akteure in Sozialen Medien wie TikTok (vgl. etwa credokatholiek.nl) erste Anknüpfungspunkte an die vergessene Tradition. Gott ist "nach Gott" inmitten der Säkularität wieder auf neue Weise präsent ("anatheistisch": vgl. im Buch: 127–133).
Abwartende Skepsis
Zugleich ist die abwartende Skepsis der Pfarrer genau das, was statistisch angezeigt ist: Um von einer Trendabkehr oder gar -wende sprechen zu können, müssten Werte über mehrere Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte stabil bleiben. Die Zahlen der Zutretenden bzw. Neugetauften in Frankreich in den letzten Jahren sind beeindruckend, sie müssten aber jedes Jahr in die Hunderttausende gehen, um den Trend wirklich umzukehren.
Das Christentum verschwindet also nicht, seine Präsenz und Funktion in der Gesellschaft wird allerdings eine völlig andere: Zugangswege sind divers. Seine Gestalt in Europa wird immer multiethnischer. Und das alles geschieht inmitten einer Mehrheitsgesellschaft, für die die Symbol- und Deutewelt des christlichen Glaubens eine Art alte Sprache ist: Man kann sie gegebenenfalls lernen, ihre grammatikalischen Strukturen verstehen, aber ihre alltägliche, lebensdienliche und -deutende Funktion hat sie eingebüßt.
Die Situation ist daher weniger plural im Sinne von "Pluralisierung statt Säkularisierung" als vielmehr komplex. Mit Armin Nassehi lässt sich die Komplexität der Gesellschaft so definieren, dass sie nicht mehr auf einen Begriff zu bringen ist und sich daher von keinem Ort her gültig und konkurrenzlos beschrieben werden kann. Daher sind auch Schlagworte wie "religiöse Indifferenz" oder "Säkularität" nur Hilfsbegriffe, um in sich sehr komplexe Phänomene benennen (vgl. 18) und so ansatzweise reflektieren zu können. In diesem Sinne besteht und entwickelt sich inmitten einer säkularen Mehrheitsgesellschaft ein vielfältiges, bisweilen uneindeutiges religiöses Feld.
Im April 2025 kommt die seit 1964 alle zehn Jahre durchgeführte Studie "God in Nederland" zu Ergebnissen, die genau dies bestätigen: Der Glaube an Gott und eine höhere Macht nimmt immer mehr ab (zwischen 2015 und 2025 von 42 Prozent auf 36 Prozent der Bevölkerung); die Gläubigen sind zu großen Teilen kirchlich gebunden. Aussagen wie "Ich glaube an eine höhere Macht" sind im Gegensatz zu früheren Studien außerhalb der Kirchen nur noch marginal vorhanden. Im Ländervergleich sind diese etwa in Deutschland oder Österreich noch stärker, wie sie es in den Niederlanden vor einigen Jahrzehnten auch noch waren.
Zugleich scheinen auch hier mehr Menschen als noch vor 10 Jahren den Wert von Religion als soziales Bindungsmittel und Quelle von Werten zu schätzen, allerdings ohne selbst religiös zu sein. Der soziale Zusammenhalt nimmt schließlich bei geringer werdendem Gottesglauben nicht ab, sondern wird von anderen gesellschaftlichen Institutionen (Sport- oder Yogaclubs, Nachbarschaften) übernommen.
Der Ruf der Niederlande als europäisches Pilotland spräche dafür, dass in den Niederlanden früh Phänomene sichtbar werden, die sich nach einiger Zeit auch andernorts zeigen.
Interessanterweise weist die Studie auch darauf hin, dass offenbar die Generation Z eine neue Unbefangenheit oder Offenheit Religion und Kirche gegenüber zeigt, die sich unter anderem in den oben genannten Phänomenen manifestiert. Ob all dies in anderen europäischen Ländern in einigen Jahren ebenso sein wird, lässt sich freilich nicht sicher sagen. Der Ruf der Niederlande als europäisches Pilotland spräche allerdings dafür, dass in den Niederlanden früh Phänomene sichtbar werden, die sich nach einiger Zeit auch andernorts zeigen.
Gott: nicht nötig, aber möglich
Für die Theologie und insbesondere die Pastoraltheologie meint diese komplexe Gemengelage, dass Gott heute nicht mehr allgemein nötig ist, gleichwohl individuell möglich sein kann (vgl. 121–123).
Dieser Wechsel von einer Gottesnotwendigkeit zu einer Gottespotenzialität jedes Menschen, die allerdings völlig frei und nicht zwangsläufig gedacht werden sollte, ist im Zweiten Vatikanischen Konzil bereits angelegt, wenngleich – verständlicherweise angesichts der Situation der Sechzigerjahre – noch nicht durchgebrochen. Die Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" spricht in Artikel 22 etwa bezüglich der Heilswege "aller Menschen guten Willens" von einer "Gott bekannten Weise" der Erlösung.
Für die Theologie ergibt sich daraus, dass ein zumeist grundgelegter negativer Freiheitsbegriff ("frei sein/werden von"), der sich für bisweilen saturierte, übernommene und zumeist präreflexiv vorhandene Glaubensidentitäten nahelegte, gerade für die die Generation Z und heutige Kontexte um einen positiven ("frei sein für") ergänzt werden müsste.
Wie können wir auf die Geschichten unserer Zeit hören? Welchen Erzählraum bieten wir für die vielen Geschichten derer, die bei uns anklopfen?
Die Kirchen werden immer deutlicher zu Erzählgemeinschaften und -räumen, an die Menschen, die durch den Glauben auf unterschiedliche Weise berührt werden, anknüpfen können – oder auch nicht. Für die Pastoral stellen sich damit grundlegende Fragen: Wie können wir auf die Geschichten unserer Zeit hören? Welchen Erzählraum bieten wir für die vielen Geschichten derer, die bei uns anklopfen? Wie können wir die eigene große Geschichte von der Erwählung jedes Menschen durch Gott als Option anbieten und sie mit den ganz persönlichen, erfolgreichen, aber mitunter auch krummen, schuld- und schambehafteten Geschichten in Verbindung bringen?
Johann Baptist Metz hat diese Dimension bereits 1977 in den Dreiklang von "Erzählung – Erinnerung – Solidarität" gebracht: Erzählen, indem in Zeiten des Vergessens Gottes und der Frage nach ihm – von der etwa das Konzil als einer allgemeinen noch ausging – die Gottesgeschichte in Solidarität mit den Opfern von gestern und heute auf narrative Weise erinnert wird. Vielleicht lässt sich hier Metz noch um die nötige Rolle der Prophetie ergänzen: Eintreten für eine anders mögliche Welt angesichts kriegerischer Eskalationen, globaler Ungerechtigkeiten, ökologischer Krisenszenarien und nicht zuletzt gefährlicher populistischer Vereinfachungen.
Die Kirche muss die Angst um sich selbst aufgeben
All diese Kontexte ernst zu nehmen, das bedeutet für eine Kirche, die sich als "synodal" versteht, einen eklatanten Rollenwechsel: Die Kirche macht den Glauben nicht, sie ist nicht seine alleinige Bedingung der Möglichkeit, sondern vielmehr mögliche Bedingung, dass Menschen heute ihre Lebensgeschichte mithilfe der großen Geschichte des Evangeliums deuten können: für viele anlassbezogen und optional – und für manche als Lebensprogramm. Jene haben einen bleibenden Auftrag im Sinne des Gedichts der Benediktinerin Silja Walter: "Jemand muss zuhause sein, Herr, wenn Du kommst." Das bedeutet: Den Himmel offen halten für andere, denen das völlig fremd, unwichtig, unbekannt, aber zeitweise bedeutsam sein kann oder aber für immer werden könnte. Die Kirche als Sauerteig und Ferment der Einheit für die Welt, die "mit Demut und Freude" darum wirbt: "Schaut auf Christus", wie es Papst Leo XIV. in seiner Einführungspredigt als Vision einer missionarischen Kirche entworfen hat.
Die christlichen Kirchen müssen sich darum von der Gottesfrage her neu denken. Für die meisten ist sie derzeit zwar irrelevant, für manche gewinnt sie aber neue, persönliche Bedeutung. War das 20. Jahrhundert primär eines der Kirchenfrage, wie es Romano Guardini vor 100 Jahren mit seinem berühmten Diktum vom Erwachen der Kirche in den Seelen proklamierte, könnte im 21. Jahrhundert die Gottesfrage zentral sein. Von ihr her und auf sie hin stellen sich alle anderen, insbesondere ekklesiologischen Fragen.
Dies meint unter anderem, dass wir in der Kirche auf kenotische Weise in dieser Welt wirken, indem wir jegliche Angst um uns selbst aufgeben. Sie, die Kirche, ist Institution, um als Erzählgemeinschaft, Hüterin einer "gefährlichen Erinnerung" (J. B. Metz), Faszinierte und Garantin des "Gottesgerüchts" (P.M. Zulehner) zu dienen; die nüchternden und zugleich positiv abwartenden Gesichter der Rotterdamer Pfarrer sind dafür ebenso sprechendes Zeichen wie die Aussage eines französischen Geistlichen angesichts der steigenden Taufzahlen: "Gott scheint die Sache selbst in die Hand zu nehmen!"
Wir müssen theologisch nicht nur über die Rolle der Kirche sprechen, sondern uns auch fragen: Von welchem Religionsbegriff, von welchem Gottes- und Offenbarungsverständnis und von welcher Art Evangelisierung gehen wir aus? Und was lehrt uns die Praxis: Welches Christentum suchen diejenigen, die es heute (entgegen dem Mehrheitstrend) suchen? Welche Art von Identitätspraxis und -bezug erwarten sie?
Gott an sich zeigt sich heutzutage dabei offenbar mehr an sich als eine Alternative, wie Byung Chul Han im Dialog im Dialog mit Simone Weil in seinem neuen Band "Von Gott sprechen" schreibt, als dass es darum ginge, theologisch einen alternativen Gott anzubieten. Denn eine Alternative macht nur Sinn, wenn "Gott" nicht bereits zu einem leeren Begriff geworden oder ganz vergessen worden ist.
Es wird auf dieser Linie auch wenig hilfreich sein, die Säkularität in mittlerweile schon klassischer Weise alteritätstheoretisch theologisch zu besiedeln und sich damit letztlich die Erfahrung einer radikalen Leere und theologischen bzw. pastoralen Anschlussunmöglichkeit zu nehmen.
Unsere innerkirchlichen Unterscheidungen zwischen progressiv und konservativ, anthropozentrisch oder theozentrisch, inklusiv und exklusiv scheinen nicht mehr recht zu passen.
Der Dialog mit säkularen Menschen ist darum notwendig – soweit sie dies möchten. Allerdings sollte man die Deutungshoheit über ihre Erfahrungen und Bedürfnisse dabei ihnen überlassen. Dabei zeigt sich: Unsere innerkirchlichen Unterscheidungen zwischen progressiv und konservativ, anthropozentrisch oder theozentrisch, inklusiv und exklusiv scheinen nicht mehr recht zu passen. Wenn wir uns auf diese Menschen einlassen, können wir das Evangelium neu verstehen lernen. Doch auch dafür braucht es Menschen, die das Evangelium bereits kennen und inmitten einer immer dominanteren allgemeinen religiösen Illiteralität in solchen Fragen kundig sind oder es werden.
Wie kann es weitergehen?
Der Band "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt" wollte inmitten vielleicht allzu sicher geglaubter pastoraltheologischer Koordinaten, theologischer Paradigmen und kirchlicher Etabliertheiten aufrütteln: Es ist sehr wahrscheinlich, dass Gott mehrheitlich auch künftig auf individueller, kultureller und gesellschaftlicher Ebene nicht vermisst wird. Was das für den Fortgang der Geschichte bedeutet, weiß heute niemand. Christen sollten sich in diese Gemengelage gemeinwohlorientiert, also konstruktiv, kooperativ, politisch-prophetisch und weniger moralisch oder gar depressiv-kulturpessimistisch einbringen.
Dieser Essay wollte in Verlängerung der Linien des dritten Teils des Buches einige erste, wenige pastoraltheologische Perspektiven entwickeln, wo und wie es unter veränderten Vorzeichen weitergehen könnte. Eine gemeinsame theologische Weiterarbeit an diesen Fragen lohnt sich offensichtlich: einerseits mit Blick auf die Debatte um das Buch und nicht zuletzt angesichts der komplexen und diversen Kontexte unserer Zeit.