2016 wurde sie heiliggesprochen, 2025 hat der Vatikan sie in den weltweiten liturgischen Kalender der katholischen Kirche aufgenommen: Damit kann überall auf der Welt der 5. September als ihr Gedenktag begangen werden. Agnes Gonxha Bojaxhiu, genannt Mutter Teresa von Kalkutta, gilt als "Vorbild der Barmherzigkeit" und "Dienerin der Kleinsten", so der Vatikan.
Doch auch Heilige sind vor Anfechtungen nicht sicher. Selbst die Frau, die der christlichen Nächstenliebe wie niemand sonst ein Gesicht gegeben hat, musste dies erfahren: Der Himmel leer, der Glaube ausgeglüht, die Seele trocken – das sind Stichworte, die sich in ihren posthum veröffentlichten Notizen finden. Mit schonungsloser Offenheit hat Mutter Teresa (1910–1997), die Gründerin der Missionaries of Charity, die Höhen und Tiefen ihrer geistlichen Erfahrungen protokolliert. Ihre geheimen Aufzeichnungen, die seinerzeit unter dem Titel "Komm, sei mein Licht" vom Postulator ihres Heiligsprechungsprozesses herausgegeben worden sind, zeigen die andere Seite der Mutter Teresa.
Seit den Fünfzigerjahren – das Werk der Ordensgründung war vollbracht – weicht die mystische Christusbeziehung des Anfangs dem drückenden Gefühl seiner Abwesenheit. Sie erfährt, was diejenigen erfahren, die den Glauben verloren haben. Die Erfahrung des Nihilismus inmitten der Kirche – das ist die eigentliche Sensation des Buches, wenn man denn von einer Sensation sprechen will.
Sie, die täglich mehrere Stunden vor dem Allerheiligsten verbracht hat, der geheimen Kraftquelle ihres karitativen Einsatzes für die Ärmsten der Armen, entdeckt in den Slums von Kalkutta das Golgotha dieser Zeit und hält an ihrer Sendung trotz lange anhaltender Gottesnacht fest.
"Der Lump, er existiert nicht", hat Samuel Beckett im Endspiel notiert. Weit davon entfernt ist Mutter Teresa nicht, aber sie weigert sich, den Nihilismus zur These gerinnen zu lassen oder vom Gott, der ihr fehlt, in despektierlichem oder anklagendem Ton zu sprechen. Vielmehr trägt sie die Verlassenheit in dem Bewusstsein, dass auch Jesus, der Gekreuzigte, diese Erfahrung durchgestanden hat. Sie, die täglich mehrere Stunden vor dem Allerheiligsten verbracht hat, der geheimen Kraftquelle ihres karitativen Einsatzes für die Ärmsten der Armen, entdeckt in den Slums von Kalkutta das Golgotha dieser Zeit und hält an ihrer Sendung trotz lange anhaltender Gottesnacht fest.
Durst nach Jesus
Allerdings fragt sie sich, ob sie der Welt nicht ein falsches Bild vorgaukelt, wenn sie das Schweigen Gottes, unter dem sie leidet, verschweigt. Über den Verdacht der Heuchelei oder Beschönigung ist sie erhaben, da der Durst nach Jesus jede Faser ihrer Existenz durchdringt. Auch sie, die große Gestalt des christlichen Glaubens, hat mit Zweifeln gerungen, jahrelang, jahrzehntelang. Im Dunkel des Karsamstags hat sie auf das Licht von Ostern gewartet, ohne die Geduld zu verlieren. Das macht sie für Gläubige, Halb- und Ungläubige gleichermaßen interessant und schützt sie im Übrigen vor allzu glatter Vereinnahmung.