Nie war Melancholie heißer. An Mariä Himmelfahrt, in Italien Ferragosto genannt, ist ganz Italien am Strand. Durch die Ewige Stadt kreuchen nur Touristen aus Fernost. Und ein paar blasse Goten verdämmern hinter halbgeschlossenen Fensterläden den Tag.

Rom im Hochsommer. Da gibt es diesen einen Tag, an dem der Himmel näherkommt und mit ihm die Sonne, den fünfzehnten August.

Ferragosto – ein Wort wie glühendes Eisen.

Geweckt von der Kanone auf dem Gianicolo, nach einer Nacht, nackt verbracht auf dem kühlen Terrazzoboden, öffnet man die verquollenen Lider und einen Spalt breit den Vorhang. Vorm Fenster steht flirrend der blendende Dunst. Die Hitze schlägt einen durch die Scheibe k.o., man geht in die Knie, legt sich gleich wieder hin. Der Verkehr auf der Straße ist ebenfalls zum Erliegen gekommen. Hinter der Wand brummt die Klimaanlage des Nachbarn, in der Zimmerecke kreiselt eine Fliege, hört damit auf und fängt sogleich wieder an. In Deutschland kämpft man längst mit den Wespen. Der Blick zieht quer über die Straße, wo die Fassade des Palazzo zerfließt. Dahinter die Hügel, der bergige Horizont und der Himmel, das Panorama ist ein Aquarell, dilettantisch hingepinselt, mit viel zu viel Wasser. Die Farben hat das Hochsommerlicht absorbiert. Terrakotta, Karmesin, Umbra, auf den römischen Mauern liegt jetzt lediglich Sonnenbrandrosa. Ein Rollo wird hochgezogen und saust sogleich wieder hinunter. Was da draußen noch kreucht, sind sonnenbeschirmte Touristen aus Fernost.

Die Autos rollen auf den von Pinien gesäumten Magistralen stadtauswärts und stellen sich artig an, eins nach dem andern. Im Takt der Ampelphasen wächst der Schwanz des Blechtiers, der Schlange zum Meer.

Roma apertachiuso per le ferie. An den geschlossenen Läden kleben neonfarbene Schilder, bis Anfang September ist hier nichts mehr zu holen. Roma deserta – nie war Melancholie heißer. Kaiser Augustus ritt zu dieser Zeit in abgeschiedene Landschaften, Maria ist längst in den Himmel gefahren, das Volk ist am Strand, und wer noch nicht da ist, steht spätestens heute im Stau. Die Autos rollen auf den von Pinien gesäumten Magistralen stadtauswärts und stellen sich artig an, eins nach dem andern. Im Takt der Ampelphasen wächst der Schwanz des Blechtiers, der Schlange zum Meer.

Die jährliche Bettruhe auf den Liegen der Badeanstalten ist schon vor Wochen verordnet worden. Die Küste kommt als Krankenstation von fünfhundert Kilometer Länge ins Guinessbuch der Rekorde. Die Patienten des Sommers dösen, bräunen sich und wischen mit Sonnencremefingern über ihre Handys. Ab und zu rollt ein Wägelchen mit Getränken, Wassermelonen, Bikinis, Strandtüchern vorbei. Zum Pinkeln geht man bis zum Bund der Badehose ins Wasser, vornehmlich zu zweit, fröhlich schwatzend. Die Stationsschwester ist ein bärtiger Lebensretter, oberkörperfrei, in roten Boxershorts. Gegen die Nesseln der Qualle, die Stacheln des Petermännchens, den Sonnenbrand dritten Grades – es grenzt an ein Wunder, hilft immer das gleiche Gel, aus einer verknitterten Tube, tatsächlich kühlt das Zeug wie Schnee im August.

Richtig malade wird man auch erst, kann man sich das tris aus den zwei lettini und dem ombrelone nicht mehr leisten. Der Preis variiert, wie auch der für die Krustentiere auf der heutigen Feiertagspasta. Nur so viel steht fest: Nie wird eine Erhöhung im kommenden Sommer rückgängig gemacht. Der Strandurlaub ist teurer als der in den Bergen. Doch das Gebirge kann das Verlangen zum Ursprung, dem Wasser, nicht stillen. Noch unterm Gipfelkreuz auf dreitausend Metern dröhnt der Sommerhit in den Ohren, das Dreigespann mare, spiaggia und sole.

Pranzo di ferragosto in Ostia, Sabaudia, Anzio und Gaeta gibt es heute ein mehrgängiges Menu, koste es, was es wolle. An langen Tischen reihen sich Familien auf. Man wuschelt durch Kinderlocken, küsst ferne Cousinen, prostet sich zu und schiebt die Alten aus der Sonne.

Fieber

Nur die blassen Goten haben sich freiwillig in Stubenarrest begeben. Neununddreißig Grad, das ist keine erhöhte Temperatur mehr, das ist eindeutig Fieber. Hinter halbgeschlossenen Fensterläden im Licht des Bernsteinzimmers erinnert man sich an das Kranksein als Kind, an die endlosen Tage mit Mumps, Masern, Röteln. Dabei ist man kein Fall für den Arzt, hat lediglich Sommer. Ansteckend ist er längst nicht mehr, eher schon kurz davor, zu verschwinden.

In ein paar Tagen kommt ein Wind aus Nordost auf, dann wird es gewittern und es ist Schluss mit den schwülen Sommernachtsträumen. Alles wie immer. Wandelt sich auch das Klima, der Sommer hat noch immer ein Ende gefunden. Wenn der eigene Schatten über einen hinauswächst, kommt man wieder auf die Beine. Die Wehmut wird zum Ablösungsschmerz von der Unbeschwertheit. Die Erinnerungen verblassen, wie die Insektenstiche, der ranzige Geruch von Kokosnussöl und Frittiertem in der Sonne verweht. Dann rutscht auch dieser Sommer in die Vergessenheit, zwischen all die andern, zum Verwechseln ähnlichen.

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