"Gott ist unsere Stärke und Zuversicht,
eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen." (Psalm 46,2)
Zuversicht steht im Zentrum des Monatsspruchs für den September. Ja, wer, wenn nicht die Kirche, soll Zuversicht ausstrahlen, zuversichtlich sein? Schon bei Ausbruch der Corona-Krise, als alle sozialen Schotten dicht gemacht wurden, bekam ich das zu hören. Kirche, ihr seid zuständig für Zuversicht! – Ob das der Kirche in den frühen Frühjahrsmonaten 2019 und in der Zeit danach gelungen ist mit ihren Raumschließungen, die in lebensrettender Absicht geschahen? Die kritischen Analyseprozesse zeichnen ein Bild im Zwielicht: Ein Osterfest ohne leibhaftige gottesdienstliche Präsenz kann nun eben nicht beanspruchen, ein starkes Realsymbol für Zuversicht zu sein – ganz zu schweigen von den vereinsamten, vor allem alten Menschen, die in den Kliniken und Pflegeheimen auch von Caritas und Diakonie lebten und starben.
Digitaler Aufbruch im Abbruch
Persönlich fand ich mich damals in einer leergefegten Evangelischen Akademie Loccum wieder. Als einziger Mensch mit Zugangsrechten zum Büro, um von dort aus bei schwacher digitaler ländlicher Anbindung mit IT-kundigen Kolleginnen und Kollegen eine digitale Akademie aufzubauen. Aufregend und spannend war das – neben aller Weltsorge um die Pandemie, die mit ihren bedrohlichen Szenarien vor allem bei meinen Freunden in Italien ganz leibhaftig etwas von den zusammenstürzenden Bergen und Meeren hatte, die das Psalmwort in den Blick nimmt. Viele digitale Aktivitäten, Liedersingen auf Balkonen, die Entdeckung von "Zoom", internationaler Austausch auch mit Leuten aus Krisenregionen anderer Erdteile, die wir niemals leibhaftig nach Loccum an einen Tisch bekommen hätten …
Aber war das Zuversicht? Und ist Zuversicht überhaupt so gut? Wenn in meinem Zimmer alles drunter und drüber ging, Lego mit Puzzeln und Fischertechnik vermischt war, Chaos pur, kommentierte meine Mutter das mit einem seufzenden Kommentar: "Jesses, was ist das denn bloß wieder für eine Zuversicht bei Dir!" Unvergesslich und zweifelsohne ein Kommentar, der einem als angelegentlicher Teilnehmender an dem ein oder anderen kirchlichen Gremiendiskurs einfallen könnte: durcheinanderpurzelnde Argumentationsebene, Geltungsbedürfnis, Verlustangst, Relevanzhubereien, geistliche Eitelkeiten, hohes selbstloses Feuer, das für wichtige Vorhaben lichterloh brennt, aber nicht so recht weiß, wo es den Ressourcenbrennstoff hernehmen soll. Chaos pur, Jesses, was für eine Zuversicht!
"Jesus, meine Zuversicht" – Warum auch nicht? Jesus ist in der Kirche gleich welcher Konfession immer richtig!
"Jesus, meine Zuversicht" – Warum auch nicht? Jesus ist in der Kirche gleich welcher Konfession immer richtig! Ein Lied mit einer beeindruckenden Vorgeschichte: Im Jahr 1653 fand es in der Mark Brandenburg Eingang in das Gesangbuch für die Reformierten, verlegt von Christoph Runge zu Berlin in einem Bändchen, das auf den Titel Geistliche Lieder und Psalmen hört. Eine Edition in einem lutherischen Gesangbuch, nämlich in Johann Crügers Praxis Pietatis Melica, folgte auf dem Fuße. In beiden Gesangbüchern wird dieser Choral mit seinen zehn Strophen als Auferstehungslied verzeichnet. Das stimmt zuversichtlich.
Vom Zuversichtslied zum Beerdigungschoral
Und Fontane-Liebhaber werden jetzt in den noch einmal aufflammenden goldenen Tagen des späteren Septembers mit den reifen Früchten und Birnen selbstverständlich an dieses Gedicht denken: "Herr Ribbeck von Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand". So schön, dies Gedicht! Und in ihm kommt er doch so anspielungsreich zu stehen, der Gedanke der Zuversicht, dieser Choralgedanke: "Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen 'Jesus meine Zuversicht'".
Nur: Das Gedicht findet eine tragische Fortsetzung:
"Und die Kinder klagten, das Herze schwer: 'He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer'?" Dieses Zuversichtslied ist alsbald zum Beerdigungschoral avanciert, auch wenn das fromme, singende Ich bereits in der Mitte des Chorals, nämlich mit der fünften Strophe, in einer etwas fragwürdigen, identitätstheoretischen Form die Gewissheit formuliert, mit Haut und Haaren aufzuerstehen:
"Dann wird eben diese Haut
mich umgeben, wie ich gläube,
Gott wird werden angeschaut
dann von mir in diesem Leibe,
und in diesem Fleisch werd' ich
Jesum sehen ewiglich."
In diesem Lichte erscheint Zuversicht plötzlich wie eine Vokabel, um die Kirchen fromm zu Grabe zu tragen … Nur, wie wahrscheinlich ist es, dass sie mit Haut und Haaren wieder auferstehen werden? Der Würzburger katholische Hochschulpfarrer Burkhard Hose ist jedenfalls der festen Überzeugung, dass die römisch-katholische Kirche in ihrer Istgestalt zu Grabe getragen werden müsse, und arbeitet zugleich fröhlich als Hochschulreferent in der Bistumsleitung seiner von ihm ja im Grunde totgesagten Diözese. Was für eine anspruchsvolle ekklesiologische Dialektik!
Historische Annäherungen
Hinzu kommt, dass "Jesus, meine Zuversicht" ein Beerdigungschoral mit einer schwierigen Geschichte ist – im Zusammenhang der 1848er Märzrevolution wurde er im Innenhof des Berliner Schlosses angesichts der Leichenberge von dort Stunden zuvor umgekommenen Revolutionäre angestimmt, was Julius Stein zu der Bemerkung hinriss: "Ein Volk, welches ein paar Stunden nach dem Kampfe Jesus meine Zuversicht singt, macht keine Revolution". Und Ferdinand Freiliggrath schärfte zu genau dieser Szene in seinem Poem "Die Todten an die Lebenden" ein: "Dann ‚Jesus meine Zuversicht!‘, wie ihrs im Buch könnt lesen: Ein 'Eisen meine Zuversicht!' wär' paßlicher gewesen!"
Das mag nun auch mit dem eigentümlichen Schillern zusammenhängen, das auf einem der frühesten Belege für Zuversicht aus der griechischen Antike liegt: In der Orestie des Aischylos fragt sich der von Troja nach Hause zurückkehrende Heerführer Agamemnon (seine Frau Klytemnestra kann ihm schwerlich verzeihen, dass er kurz nach der Abreise die gemeinsame Tochter Iphigenie als Opfer getötet hat, um für die Eroberung Trojas guten Segelwind zu erhaschen):
"Wie denn kommt's immerfort/ solche Angst aufsteigend vor / Meinem schreckenschaunden Geist / Unherschwebt, / Weissagung mir ohn Geheiß, / ohne Lohn mein Gesang gibt? / Daß nicht, sie verscheuchend wie / Wirre Bilder eines Traums / Zuversicht sich setzt voll Vertraun auf der Seele lieben Thron?"
Zuversicht – ein Gefühl, das sich für Heimkehrer von lebensgefährlichen Reisen naturwüchsig einstellen sollte, fällt aus. Der Grund: Agamemnon ahnt, dass Klythemnestra sich rächen und ihn umbringen wird. Der Anfang der Orestie – eine schuldbeladene Ursprungsgeschichte von zerstörter Zuversicht in einer Heimat, die fremd geworden ist. In dieser Tragödie kann Zuversicht nicht gedeihen.
Zuversicht ist mehr als pure Hoffnung
Aristoteles, der Philosoph, der diese Szene kennt, wurde klar: Zuversicht ist mehr als pure Hoffnung. Ein Hauch von Kühnheit liege in ihr. Zuversicht werfe alles Zaghafte über Bord. Sie taste sich nicht vorsichtig in die Zukunft vor. Zuversicht stehe und falle mit der Phantasie, lebhaft zu hoffen, dass Rettung ganz nah sei, dicht an Dir dran. Diese Zuversicht verankert Cicero später im Selbstvertrauen und meint. Wo Du Dir selbst vertrauen kannst, da entsteht Zuversicht und umgekehrt: Zuversicht stiftet Selbstvertrauen.
Lukas, der Evangelist, sieht das deutlich anders und warnt dringend vor einer Mentalität, die ihre Zuversicht auf sich selbst und die eigene Gerechtigkeit setzt (Lk 18,9). Worauf dann? Paulus sagt es ganz klar: Gründe Deine Zuversicht nicht auf Dich selbst, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt (2 Kor 1,9). Das leuchtet ein. Glaub nicht an Dich selbst, glaub an Gott. Eine Devise, die in der frühen christlichen Tradition Kirchenväter wie Ambrosius gerne aufgenommen haben. Ambrosius meint, es komme darauf an, einen starken, mit Zuversicht gestärkten Glauben zu haben, weshalb später dann im Mittelalter im wahrsten Sinne des Wortes vom robusten Glauben die Rede war: (Robur … spei nostrae et quaedam sperantis auctoritas confidentia est): Ein Glaube, der robust davon überzeugt sei, dass es so kommt, wie wir im Glauben hoffen; ein Glaube, in dem Hoffen und Glauben einstimmig zusammenlaufen, hingerissen von der Überzeugung, dass Hoffnung und Glauben einig sind, einheitlich sind, einheitlich handeln – so eine Art seelisches ökumenisches Verbindungsmodell einander eng umschlungener organischer Momente.
Der Lutheraner mag hier mit Martin Luther im Gepäck noch eine Zuversichtschippe drauflegen und daran erinnern, wie Luther in seiner Vorrede zum Römerbrief von 1545 vom Römerbrief meint, Glaube sei "eine lebendige / erwogene Zuversicht auf Gottes Gnade / so gewiß / daß er tausend Mal drüber stürbe." Das klingt alles nach Psalm 46: Berge mögen ins Meer stürzen, aber meine Gottesgewissheit und Zuversicht ist stark, überwindet das alles. Nur, dass das noch lange nicht Psalm 46 ist.
Gott ist stark – nicht als allmächtiger Kraftprotz. Er ist es als himmlisch verkörperte Zuversicht, als heilige Instanz, die nach vorne sieht, aufsieht, mit seinen Kirchen ins Leben hinein blickt, die Welt mit ihren Abgründen durchschaut,
Warum herrscht so wenig Zuversicht in der Evangelischen Kirche?
Für die evangelische Kirche nachgefragt, für deren Perspektive ich mit Verantwortung zu tragen habe: Warum eigentlich setzt sich so wenig Zuversicht auf den lieben Thorn der Seele der Evangelischen Kirche? Vielleicht, weil sie wie ein religiöser Agamemnon nach einem Ausflug in ein vorgeblich postsäkulares Zeitalter von Forumstudien erschüttert erschrocken zurückkehrt in eine grob vor sich hin säkularisierende Gesellschaft, in dem sie den heimatlichen Haftpunkt nicht so richtig finden. Vielleicht aber auch, weil sie insgeheim zu sehr Cicero folgt – sicher in bester Absicht – auf eigene Wirkung und auf konzentrierte Ressourcen bedacht; auf der vergeblichen Suche nach Zuversicht, die ihren Grund tief in ihr selber haben soll, in der Art, wie sie selbst der Welt und den Dingen und ja auch Gott gerecht werden will, in der Art, wie sie zu glauben versucht. Vielleicht auch meint so mancher mit Martin Luther die eigene leidenschaftlich zusammengeklaubte Glaubensgewissheit stifte Zuversicht.
Gott ist unsre Zuversicht, betet der Psalmist. Das ist etwas sehr anderes. Der Psalmist betet nicht: Gott stiftet in uns Zuversicht. Sondern: Gott verkörpert unsere Zuversicht. Gott selbst ist sie, kraftvoll machtvoll.
Das kann doch zu einer belastbaren Septemberperspektive werden – Gott selbst, Gott allein gilt es, als die Zuversicht dieser Welt zur Geltung zu bringen. Gott ist stark – nicht als allmächtiger Kraftprotz. Er ist es als himmlisch verkörperte Zuversicht, als heilige Instanz, die nach vorne sieht, aufsieht, mit seinen Kirchen ins Leben hinein blickt, die Welt mit ihren Abgründen durchschaut, …
Grund für eigentlich grenzenlos hoffnungsbasierte kirchliche Kommunikation, die nicht nur die Probleme aufzählt, sondern sich über Lösungsperspektiven im Horizont einer wunderbaren Erlösungsperspektive freut, die Gott selbst bereithält.