Wie wäre auf Ver-Rücktes zu reagieren? Mit gegenläufig Ver-Rückendem am besten doch wohl. Also durch das, was aus der ver-rückten Perspektive "Narrheit" genannt wird. Im christlichen Bewusstsein ist diese Option von Anfang an präsent. Die Wege der Aktivisten jedoch waren "hardcore". Eine Inspiration stellen sie gleichwohl unvermindert dar.

I.

Wenn deutsche Christen sich närrisch gebärden, leuchtet für einen ausgemachten Sauertopf wie mich Alarmstufe "Hoch". Dann nämlich befinden wir uns im Umfeld von Fassenacht, Karneval und Fasching. Und fünftjahreszeitlich lassen sie – vielleicht auch nur (oder besonders) Katholiken – sich nicht lumpen, von jeckem Treiben im Gemeindehaus bis hin zu Predigten nach Art der Büttenrede, Maske und Kostüm teils inbegriffen.

Alaaf und Hellau! Da simmer dabei, dat is prima! Die Kirche (ja, auch sie!) steckt doch keinen Ort des tierischen Ernsts ab – wobei, wer dieses label verwendet, von dem spielerischen Vermögen unserer Nachbargeschöpfe wenig mitbekommen hat. Subversivität den Verhältnissen gegenüber hält sich bei alledem in Grenzen. Nur etwas über die Stränge möchte man schlagen, bis am Aschermittwoch das Ventil sich ausgezischt zu haben hat.

II.

Zum Narren gehört das Gelächter. Er stimmt es an und/oder ruft es hervor. Doch handelt es sich dabei nur um einen Teil seines Habitus. Sympathisanten hatte der nicht immer. So manche Autoritäten (aufklärerische wie religiöse) stellten das Lachen unter Verdacht, wo sie es nicht gar auszutreiben wünschten. Doch auch als "Zeichen der Transzendenz" wurde es nachgerade interpretiert.

Im Kern deutet das Närrische auf Ver-Rücktes, samt dessen gegenläufig Ver-Rückendem. Dabei kommt es zu Verzweigungen des Begriffs und seiner Vorzeichen. Dummköpfe vorneweg bezeichnet er. Als Gottesverweigerer irrig herumtapsend nicht zuletzt, wie es die Bibel sieht. Am anderen Ende des semantischen splittings hier wie dort aber auch solche, die sich jenseits sozial anerkannter Ordnungen und Zwänge bewegen, ja deren Un-Sinn vertrackt entlarven. Wunderliche Lichtaufstecker.

III.

Byzantinisches Reich, letztes Drittel im sechsten Jahrhundert. Jemand gürtet sich einen toten Hund ans Bein, der auf dem Misthaufen lag, und trabt so durch die Stadt. Von der Kanzel herab bewirft er Gottesdienstbesucher mit Nüssen und pustet anschließend Kerzen aus: das burleske Echo von Tempelreinigung. Sonntags kreuzt er mit einem stolagleich um die Schulter gelegten Ring Bockwürste auf, das Senfgefäß in der Linken, um sie einzutunken und dann zu futtern: jenen vermeintlichem "Fresser" aus Mt 11,19 evozierend. Vor aller Welt gesoffen wird sowieso. Selbst öffentliche Nacktheit oder gar Verrichtungen der Notdurft gehören zu seinem einer Gaga-Performance ähnelnden Treiben. Regelmäßig setzt es dafür Prügel.

Hinter der aufgesetzten Maske aber verbirgt sich nicht nur eine Botschaft nach außen. Zum theatralen Rollenspiel zieht nachmals die Lebensbeschreibung auch deshalb den Vergleich, weil das Geheimnis eines Heiligen "nicht erkannt" werden sollte. Symeon von Emesa lautet sein Name. Die Verwandlung zum salos, einem "Narren", setzte sein zuvor drei Jahrzehnte währendes Wüsten-Mönchtum sozusagen auf höherer Ebene fort.

IV.

Ähnliche Beschreibungen, wo durch Akte offensichtlicher Beklopptheit, der "Form" nach "lachenerrengend, den Menschen Erkenntnisse vermittelt" werden sollten, finden sich von nun an über ein Jahrtausend hindurch sporadisch wieder. Auch Frauen darunter, oder Ehepaare, die beispielsweise ihr ganzes Vermögen weggeben, um als anrüchige Existenzen umherzuziehen.

"Stellt euch verrückt, so viel ihr nur vermögt, aus Liebe zu Christus", riet Johannes Colombini den Brüdern des von ihm gegründeten Ordens der Jesuaten. Weitere Beispiele sind Franz von Assisi – "ein Tor in dieser Welt" nach eigenem Bekunden –, oder Philipp Neri. Vor allem jedoch im ostkirchlichen Bereich ist dieses Völkchen merkwürdiger Einzelner beheimatet. Wenn ich recht gezählt habe, wurden knapp 80 davon kanonisiert, nicht wenige mit ausdrücklichem Bezug auf ihr Gottesnarrentum.

V.

In Russland entwickelte sich dieser hier jurodivyj genannte Typus regelrecht zum nationalen Charakter. Während des 19. Jahrhunderts wurde er auch künstlerisch aufgegriffen. In Mussorgskijs Oper Boris Godunow (nach einer Vorlage Puschkins) behält ein "blöder", d.h. den üblichen Lügen und Intrigen fern stehender "Narr" das letzte Wort. Seiner naiv-herzensreinen Weltfremdheit wegen erinnert Fürst Myschkin, der Idiot aus Dostojewskijs so betiteltem Roman, an ihn. Oder Der Gaukler Pamphalon des grandiosen Erzählers Nikolai Leskow. Obschon nur ein "schwacher Mensch" setzte Tolstoj, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht, viel daran, den jurodivyj zum ethischen Modell für das eigene Leben zu machen: durch Loslösung von der "beständigen Aufmerksamkeit auf sich selbst", "freudig" im Ertragen der "Verachtung" anderer. Unbedingt, schärfte er sich ein, gelte es deshalb auf "einen schlechten Ruf" zu achten.

VI.

Schon die ironische Selbst-Relativierung fällt uns schwer. Sich indes gar dem Durchgeknalltheits-Argwohn auszusetzen, einem Verlacht-Werden, ist das Schlimmste. Eben danach streben diese Gottesnarren sehr bewusst. Wie sie sich geben, "arm im Geiste" bis hin zum Schwachsinn, zielt auf Verdemütigung, eine spezielle Art von Askese. Auf Provokation der Allgemeinheit nicht minder, welche schock-ästhetisch quasi aus üblicher Dickfelligkeit wachgerüttelt werden soll. Zwei unterschiedliche Impulse durchdringen sich: Einübung in geistige Freiheit mit fruchtbaren Anstößen für andere.

VII.

Gewisse Passagen aus dem Neuen Testament untermauern jenes Konzept. Gehäuft finden sie sich im ersten Brief, den Paulus nach Korinth adressiert. Die konkrete Aufforderung etwa: "Wenn einer unter euch meint, er sei weise in dieser Welt, dann werde er töricht, um weise zu werden." (1 Kor 3,18). Oder die Selbstcharakteristik des Verfassers: "Wir stehen als Toren da um Christi willen. Wir sind schwach, verachtet, wir gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen, beschimpft, geschmäht. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen" (1 Kor 4,10-13). Schon im Anfangskapitel wird in solcher Hinsicht Grundsätzliches ausgeführt: "Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit". Doch "da die Welt auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten." Sogar vom "Törichten an Gott" ist die Rede (1 Kor 1,18.21.25).

Von allen Facetten christlichen Bewusstseins sind derlei Stacheligkeiten vielleicht am gründlichsten verschüttet, und das kaum zufällig. Wenn wir aber am 'modus operandi' des Erlösungsgeschehens festhalten (längst nicht mehr voraussetzbar, ich weiß!), liegt der Schluss nahe: In Knechtsgestalt sich entäußernd und erniedrigend (Phil 2,7f.), hat Gott sich für uns zum Narren gemacht – wie immer menschliche Vernunft dies auch 'einordnen' mag. So fordert Nachfolge Jesu zentral Bereitschaft zum Narrentum. Jedenfalls besteht darin eine ernsthafte Option.

VIII.

"Mir scheint, die christliche Religion steht überhaupt einer gewissen Torheit recht nahe; hingegen mit der Weisheit verträgt sie sich schlecht. Schließlich könnt ihr keinen Narren verrückter sich gebärden sehen als einen Menschen, den die Inbrunst christlicher Liebe einmal ganz gepackt hat: Hab und Gut schenkt er weg, keine Kränkung ficht ihn an, er lässt sich ruhig betrügen, unterscheidet nicht zwischen Freund und Feind, verabscheut die Freuden der Welt und lebt von Verfolgung, Hohn und Spott – mit einem Wort: für alles, was dem Menschenverstand einleuchtet, scheint er wie blind zu sein, als ob sein Geist sonst irgendwo lebte, nur nicht im Leibe. Heißt das aber nicht – verrückt sein?"

Also spricht die Dame Narrheit persönlich. In dialektischer Raffinesse lässt Erasmus von Rotterdam sie eine Lobrede über sich selbst halten. Auf dem Katheter macht die Stultitia sich breit. Hier nun kippt der Begriff unversehens. Bei dem nämlich, was als Christentum durchgehen soll, trägt sie vor, gelte nicht nur für Gottesgelehrte, dass sie gern "vier, fünf Wörtchen da und dort aus dem Zusammenhang reißen, nötigenfalls verdrehen und ganz nach Bedürfnis modeln. Das besorgen sie mit so erfolgreicher Frechheit, dass mancher Jurist die Theologen beneidet."

Item werden Werk und Botschaft Christi eindimensional geschrumpft, auf irgendwelche Werte, Menschenbilder und Anschlussfähigkeiten zum Beispiel, undifferenziert, kontextlos, in ihrer Abstraktion nett anzuhören, doch weit jenseits der skandalösen "Torheit Gottes". Keineswegs bloß öffentliche Einlassungen sind voll davon.

Auch derlei Zurechtstutzungen sprengen (mit einem plastischen Ausdruck für die Narrenfigur im Drama des deutschen Barock) Gottes Pickelheringe auf.

IX.

Verwundert, eher wohl kopfschüttelnd, ja unbehaglich schauen wir in diese Vergangenheit religiöser Praxis. Ein Christ (darauf zielt sie ab), er solle sich dominanten Wirklichkeiten nicht angleichen, falls nötig vielmehr ihre Maßstäbe durcheinander bringen, sie buchstäblich auf den Kopf stellen (wie es als Prinzip in Mt 19,30; Mt 20,16, oder eben bei Paulus anklingt). Ihr einen "Possen spielen" (Symeon von Emesa, wörtlich!), so dass dort ab und an vielleicht dämmern könnte, was nicht stimmt.

X.

Narren in Christus sind viel mehr als Ver-Rückende der bloß kuriosen Art. Nachahmen jedoch lassen sie sich kaum. Anlass zu Überlegungen hingegen bieten sie schon, wie jene Haltung, die ja keineswegs auf ihre historischen Erscheinungsformen fixiert bleiben muss, unter gewandelten Umständen neu inszenierbar wäre. Durch clownesk gesetzte Stolperer wenigstens, als ebenso aneckbereite wie mithin erkenntnisstiftende "Gegenkraft" zu real Ver-rücktem, das sich 'richtig' wähnt.

XI.

Einem wie Symeon Salos wäre ich gerne begegnet. Mir selbst fehlt zum angewandten Narrentum leider etwas die Courage. Der Kopf immerhin rumort bisweilen. Dann ertappe ich mich beim imaginären Nüssewerfen. In Denk-, Sprach- und Praxisräume unterschiedlicher Façon hinein. Ganze Säckchen können es sein.

Bei welchen Gelegenheiten genau, das verrate ich nicht.

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