Räume prägen Geschichten – und umgekehrt. Zwischen Wohnungen und Reisen, Küche und Schreibtisch, Alltag und Spiritualität entfaltet sich ein Nachdenken über weibliche Rollenbilder und eine Theologie der Beziehung im Unvollkommenen.

I.

Gibt es ein weibliches Schreiben? Die Frage ist alt, abgestanden und im Grunde nur zurückzuweisen. Die weibliche DNA produziert keine spezifischen Metaphern. In den Frauen steckt keine "Essenz" des Weiblichen, die sie hingebungsvoller schreiben lässt oder blumiger oder emotionaler

oder was auch immer man annehmen könnte. Schreibende jedweden Geschlechts können die Perspektiven wechseln und Figuren unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Standes etc. schaffen. Und doch schoss mir diese Frage kürzlich durch den Kopf, als ich in einer Buchhandlung das jüngste Buch von Doris Dörrie mit dem Titel Wohnen fand. Ist es, andererseits, nicht erwartbar, dass – wenn jemand vom Wohnen schreibt – es sich um eine Frau handelt? Weil eine Frau als rollentypische "Hüterin des Hauses" das Wohnen ernster nimmt? Und weil, umgekehrt, Reiseliteratur, klassischer Weise, männlich besetzt ist? Von Chretien de Troyes über Jack London bis Allain de Botton schicken männliche Schriftsteller Männer auf Reisen. Den Frauen kommt in der literarischen Topologie der heimische Part zu. Sie sitzt zuhause und wartet wie Homers Penelope auf den Geliebten, auf Rettung, im mystischen Fall: auf Gott.

Der innere Einspruch folgt auf dem Fuß und legt eine komplexe Gemengelage offen. Die mystische Rolle der Braut – sie ist zunächst vor allem von Männern besetzt. Umgekehrt liest sich etwa die Vida der Teresa von Ávila in Teilen wie ein (innerer und äußerer) Reisebericht. Als nächstes fällt mir Die Fahrt hinaus (engl. The Voyage out) ein. Gleich das Erstlingswerk der begnadeten Virginia Woolf ist Reiseliteratur und gilt als Beispiel dafür, dass sich der Erfahrungskreis von Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erweitert hatte.

Mit Frauenrollen wandeln sich auch Schreibrollen. Virginia Woolf ist nun freilich auch diejenige, die die Frage nach dem Beitrag von Frauen zur Literatur mit ihrem ebenso unbestechlich analytischen wie feinsinnig-bissigen Essay A Room of One's Own beantwortet hat. Das Schreiben von Frauen ist gebunden an materiale und materielle Möglichkeiten. Sie brauchen 500 Pfund, so Woolfs Berechnungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und vor allem ein eigenes Zimmer, um die notwendige Ruhe zum Schreiben zu haben. Neben der notwendigen Ausbildung hatte das auch die Karmelitin: ein eigenes Zimmer.

Beginnen Frauen theologisch zu schreiben, weil sie nur als Mystikerinnen schreiben dürfen und als solche innere Reisen beschreiben? Und wo bleibt in all dem Unterwegssein die Sehnsucht nach dem Zuhause, das nicht in einer sternenfernen Welt liegt, sondern von Menschen bewohnt werden kann?

Dabei geht es in der Frage nach dem Wohnen um weit mehr als um Zimmer mit vier Wohnungen, die als Behälter für Menschen und Dinge fungieren. Entlang von materialen Räumen wird verhandelt, welchen "Raum" Frauen haben, um zu Feder, Schreibmaschine oder Laptop zu greifen. Es geht darum, ob Frauen sich herausnehmen, literarisch produktive Erfahrungen zu haben und welche Erfahrungen überhaupt als literarisch (oder theologisch) wertvoll gelten. Die Reise, schon immer. Aber das Wohnen? Beginnen, so überlege ich, Frauen theologisch zu schreiben, weil sie nur als Mystikerinnen schreiben dürfen und als solche innere Reisen beschreiben? Und wo bleibt in all dem Unterwegssein die Sehnsucht nach dem Zuhause, das nicht in einer sternenfernen Welt liegt, sondern von Menschen bewohnt werden kann? Dies führt zurück zu Doris Dörrie.

II.

Doris Dörrie, die Filmemacherin mit dem Blick für Räume, durchmisst in dem autobiographischen Band die vielen Wohnungen, die sie selbst im Lauf ihres Lebens bewohnt hat, und noch etliche darüber hinaus. Ihr Interesse gilt dem, was sich mit den Wohnungen verbindet – den Tätigkeiten, den Beziehungen, den Identitäten und Sehnsüchten. "Wohnungen sind Metaphern. Sie erzählen immer über uns. Als Inszenierung oder unfreiwillig, aber immer erzählen sie." Von den Wohnungserzählungen zu erzählen, macht Wohnen zu einem vielperspektivischen Nachdenken über das Menschliche. Dabei gestalten keineswegs nur Menschen Wohnungen. Materiales wirkt auch zurück: Als Dörrie, bzw. ihr autobiographisches Ich, und ihr Mann ein Haus mit Garten kaufen, ahnen sie vage, "dass all das, was wir jetzt unser Eigen nennen und gestalten können, auch uns gestalten wird." Denn Häuser sind auch widerspenstig, "dauernd stehen Reparaturen an, das Dach muss teuer gerichtet werden, der Rasen gemäht, die Bäume beschnitten, der Zaun repariert und die Regenrinnen gesäubert werden." Wieviel Einfluss lässt man den Wohnungen, die eigenen Erzählungen zu bestimmen?

Dörrie kommt, wie könnte es anders sein, in Wohnen auf Virginia Woolfs Essay zu sprechen. Über ihr eigenes Wohnen zu erzählen, ist auch ein Abarbeiten an Frauenrollen, denen sie entflieht und die sie hineinrutscht, die sie hinter sich lässt oder die sie aktiv annimmt und (um)gestaltet. Es ist nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, der "unablässigen Hüterin des Hauses". Der Raum der Mutter in der Wohnung war unbestimmt, da sie – im Gegensatz zum Vater und zu den Kindern – keinen eigenen hatte. Die meiste Zeit verbrachte sie, wie so viele Frauen ihrer Generation, in der Küche. Es ist der Raum, den sie am wenigsten mochte, in dem sie aber am meisten Macht und Kontrolle hatte – ein "hochkomplexer Ort vornehmlich weiblicher Anerkennung und Abwertung" und nicht nur darin politisch.

Die Frage nach ihrem Wer wird zur Frage nach dem WoWo war sie wirklich? Die Frage ist ein Spiegel: "Und wo bin ich? Wo bin ich zuhause?"

Das Handeln in der Küche ist kulturproduktiv, bestimmt nicht nur (ebenfalls politische) Essgewohnheiten, sondern auch Familienkulturen und mit ihnen Beziehungen, Erzähltraditionen etc. Halbernst verweist Dörrie auf Claude Levy-Strauss, der den Frauen vor dem Topf über dem Feuer, die in der Verwandlung von Rohem in Gekochtes Natur in Kultur verwandelten, den kulturproduktiven Ort schlechthin zuwies. Nach dem Tod der Mutter streift Dörries erzählendes Ich durch die Räume ihrer Kindheit und versucht, ihre Mutter zu greifen. Die Frage nach ihrem Wer wird zur Frage nach dem Wo. Wo war sie wirklich? Die Frage ist ein Spiegel: "Und wo bin ich? Wo bin ich zuhause?"

III.

Was das überfrachtete und politisch kontaminierte deutsche Wort "Heimat" bezeichnet, ist in Wirklichkeit eine Suche – nach Ankommen, nach Ganzheit, nach Identität. Sie reicht ins Metaphysische. Eher latent denn explizit begleitet diese Suche das autobiographisch-erzählende Ich in Wohnen entlang zahlreicher Orts- und Wohnungswechsel. Dörrie wohnt quasi unterwegs und durchbricht schon allein dadurch die weiblich-traditionelle literarische Position der Ortsgebundenen und Wartenden. Ihre Wohnsitze wechseln zwischen Deutschland und den USA, zwischen Stadt und Land, zwischen prekär und gemütlich, zwischen einem Wohnen mit (zu) vielen Menschen oder allein.

Die Wechsel sind oft beruflich bedingt. Sie sind aber auch getragen von einer Unrast, in die deutsche Familiengeschichte eingeschrieben ist. Beide Eltern waren im Krieg ausgebombt worden. Die Vorbehalte, das Herz an Besitz oder Haus zu hängen, hat die Tochter (möglich) von ihnen mitgenommen. So wird es in kaum einer ihrer Wohnung wirklich wohnlich – als gäbe es eine innere Agenda, dass Wohnen variabel bleiben muss, Zelte jederzeit abgerissen werden können und Identitäten fluide bleiben müssen. Gleichzeitig ist die Sehnsucht nach Ankommen und Zuhause mit Händen zu greifen. Es ist ein wenig so, als würde das Wissen, dass diese Sehnsucht nicht erfüllbar ist, die Wohnungswechsel vorantreiben – damit das "Zuhause" nicht zur Vorspiegelung falscher Tatsachen wird.

Diese Spannung zwischen Sehnsucht und der Absage an ihre Erfüllung – sie ist ein mystisches Strukturmoment. Insbesondere ist sie ein frauenmystisches Moment, denn es sind nicht zuletzt die Frauen – von Mechthild von Magdeburg über Teresa von Ávila bis zu Simone Weil –, die die Einsicht formulieren, dass die Sehnsucht nicht befriedet, die Leere nicht ausgefüllt werden kann, sondern bearbeitet werden muss. Ihre spirituelle Existenz wie ihre Texte markieren diese Spannung: In ihrem Bestreben, sich in dieser Welt einzurichten und sie zu bewohnen, blieben sie "Frauen auf der Reise".

IV.

Gibt es eine weibliche Theologie? Die Frage ist so unfruchtbar wie die nach dem weiblichen Schreiben. Und doch hat sie sich mir ebenfalls beim Thema Wohnen aufgedrängt. Kaum ein anderes theologisches Buch habe ich in den letzten Jahren so gern gelesen wie Das Fenster nach Süden von Maaike de Haardt. Die niederländische systematische Theologin macht ein Haus mit den verschiedenen Räumen zum Ausgangspunkt einer "Spiritualität des Alltäglichen", so der deutsche Untertitel von Raam op het zuiden. Religie en spiritualiteit van het alledaagse aus dem Jahr 2013. Im Hintergrund steht der auch bei Dörrie ganz selbstverständlich die Aufmerksamkeit leitende spatial turn, der nicht nur der Einsicht geschuldet ist, dass Menschen leibliche Wesen und damit immer irgendwo sind.

In Räumen kommt eine "Verbindung zwischen Ort, Erinnerung und Identität" ans Licht, die sich gegen eine ins bedeutungslose Nichts laufende chronologische Linearität der Zeit sperrt. Schon in dieser Durchbrechung ist die Aufmerksamkeit für Raum ebenso politisch wie theologisch.

Der Ort bzw. Raum ist niemals nur passiver Behälter. Räume werden durch vielfältige Praktiken Bedeutung zugewiesen. Sie verleihen ihrerseits Bedeutung, ermöglichen Wege und Haltungen, gestalten Beziehungen, öffnen "andere Räume". In Räumen kommt eine "Verbindung zwischen Ort, Erinnerung und Identität" (34) ans Licht, die sich gegen eine ins bedeutungslose Nichts laufende chronologische Linearität der Zeit sperrt. Schon in dieser Durchbrechung ist die Aufmerksamkeit für Raum ebenso politisch wie theologisch.

Der Raum bei Maaike de Haardt ist der des alltäglichen Wohnens in den verschiedenen Räumen eines Hauses: der Küche, der auch hier wiederum als kulturproduktiver "Ort" schlechthin gehandelt wird; dem Garten, in dem die Intra-Aktionen zwischen Natur und Kultur erfahren und Selbstwirksamkeit als etwas gelernt wird, das sich zwischen Selbstmächtigkeit und den Wirksamkeiten von Anderem abspielt; dem Schlafzimmer als Ort, an dem sich Intimität und Verletzlichkeit, Lebensanfang und Lebensende kreuzen.

Den geschlechtlich besetzten Idealen von Haus und Heimat, mit denen das Wohnen befrachtet ist, begegnet de Haardt mit Misstrauen. Das traute Heim als "heile" oder "unschuldige" Welt der Frauen verweist sie ins Reich des Imaginären. Schutz und Sicherheit bietet es viel zu oft gerade für Frauen nicht. Doch Maaike des Hardt dreht den Spieß quasi um. Sie befreit das Haus aus der Rolle, Reservat des Weiblichen zu sein, und liest es als theologie-produktiven "Ort". Nonchalant torpediert sie damit die klassischen Dichotomien von Öffentlichkeit und Privatheit, Rationalität und Emotionalität, Geist und Körper, Objektivität und Subjektivität und mit ihnen die so selbstverständlich leitenden Systeme des (männlich-patriarchalen) Wissens. Auch des theologischen Wissens.

Am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben ist mir beim Durchwandern des Hauses mit dem Fenster nach Süden, dass in der Vielfalt unserer Beziehungen – sei es zwischenmenschlich oder in die Transzendenz – Vollkommenheit keine Option ist. Sie ist es nicht in der Liebe, nicht in der Hingabe, nicht in der Gestaltungsmacht, nicht in der Selbstbestimmung. "Anerkennung der Tragischen, des Unvollkommenen, des nicht Beherrschbaren, Verletzlichen und immer Unvollendeten im Leben", so schreibt Maaike de Haardt, "ist von grundlegender Bedeutung, dem Leben, allem Leben, auch im religiösen Sinn, wirklich Aufmerksamkeit schenken zu können."

Immer wieder zieht es mich mit meinem Laptop ins Wohnzimmer, an den Esstisch, ins Herz unserer familiären Bezüge. Vielleicht, weil Theologie nicht von der Distanz, sondern von der Beziehung lebt, denn worum ginge es in Theologie, wenn nicht um Beziehung selbst im ureigensten Inneren. 

V.

Dieses Einrichten im Unvollkommenen, Wilden, Ungeordneten und Lebendigen habe ich bei Doris Dörrie vielfach, aber besonders noch einmal am Ende gelesen: "Ich fand heraus, dass ich keinen Schreibtisch und Schreibraum brauchte, sondern weiterhin am besten im Bett schrieb, wenn das Kind neben mir schlief. … Oder am Küchentisch, wenn das Essen kochte. Oder am Spielplatz. Oder während der Sendung mit der Maus. Immer nur kurz, das musste reichen." Oder in der Flucht ins Café, um dort ein paar ruhige Stunden zu haben.

Ich finde die Situationen meines eigenen Schreibens hier wieder, mit denen ich oft gehadert habe, und ich bin froh um meinen eigenen Arbeitsraum, über den ich inzwischen verfüge. Doch immer wieder zieht es mich mit meinem Laptop ins Wohnzimmer, an den Esstisch, ins Herz unserer familiären Bezüge. Vielleicht, weil Theologie nicht von der Distanz, sondern von der Beziehung lebt, denn worum ginge es in Theologie, wenn nicht um Beziehung selbst im ureigensten Inneren. Wenn das "weiblich" ist, dann soll meinethalben es so sein … Man könnte es ja auch menschlich nennen.

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