I.
Kürzlich ist mir in einem Internetforum, in dem sich Parfumbegeisterte austauschen, der Beitrag einer Userin ins Auge gesprungen, die nach ganz speziellen Düften Ausschau hält: "Perfumes that smell like being followed by a priest" – Parfums also, die ihrem Träger das Gefühl vermitteln, von einem Priester begleitet, ja verfolgt zu werden. Der Anfrage beigefügt waren stimmungsvolle Bilder, die der olfaktorischen Fantasie eine visuelle Richtung gaben: darunter der Blick in einen reich geschmückten, neogotischen Chor und die Rückansicht eines andächtig Betenden im lichtdurchfluteten Kirchenraum. Der Beitrag stieß auf große Resonanz. In zahlreichen Antworten wurden entsprechende Düfte empfohlen, meist solche mit harzigen Noten von Weihrauch, Myrrhe und Labdanum.
II.
Es ist doch erstaunlich, wie viele Parfums allein schon durch ihren Namen die Sphäre des Religiös-Sakralen heraufzubeschwören suchen. So begegnet man "Breath of God" (von Lush), "Take Me to Church" (Toskovat'), "Ave Maria" (Bō), "Saints Tears: Extrait of Forgiveness" (Adi ale Van), "Ecclesiæ" (Arte Profumi), "Basilica" (Milano Fragranze), "Messe de Minuit" (Etro), "Sister Hildegard" (Pearfat Parfum), "Sancti" (Liquides Imaginaires), "Cardinal" und "Eau Sacrée" (Heeley Parfums), "La Religeuse" (Serge Lutens), "Archangels" (Cæleste), "Magnificat" (V Canto) oder "La Liturgie des Heures" (Jovoy) – die Liste ließe sich fortsetzen. "Der Parfumname ist vielleicht das kürzeste Gedicht", konstatiert die Philosophin Mădălina Diaconu und vergleicht ihn mit der rezeptionssteuernden Wirkung eines Bildtitels.
Das Spiel mit den Assoziationen setzt sich in der Parfumwerbung fort. Sehen wir uns einmal die Produktbeschreibung von "Eau Sacrée" des Parfümeurs James Heeley genauer an. Beworben wird der seit 2016 vertriebene Unisex-Duft, der sich aus Labdanum, Olibanum, Patschuli, Myrrhe, Moschus, Ambra, Vetiver und Gewürzen zusammensetzt, wie folgt:
"Seit Anbeginn der Zeit sagt man Weihrauch heilige Kräfte nach und so haben die großen Völker und Religionen Weihrauch genutzt, um die Seele von irdischen Sorgen zu befreien und den Geist in höhere Sphären zu tragen. Eau Sacrée ist ein eleganter, sakraler Duft, der die Seele reinigt und ihr auf eine höhere Ebene verhilft.
♂ Ein multitalentiertes Genie wie Leonardo da Vinci
♀ Maria, voll der Gnade
Extrait von Gelassenheit. Gnade. Heiligkeit. Stein. Stille. Glauben. Licht. Hingabe. Sakrament. Geist. Reinheit. Weltraum. Göttlichkeit. Seele."
In überschwänglicher Weise stilisiert der Werbetext das Parfum zu einem quasi-sakralen Objekt. Der im Duft enthaltene Weihrauch wird zur zeitlosen Konstante rituell-religiöser Handlung, das Parfum selbst zum Mittel der Purifikation erklärt. Durch eigentümlich synkretistische Bezüge – referenziert wird als Rollenbild einerseits Leonardo da Vinci als Universalgenie der Renaissance, andererseits die Gottesmutter Maria – bemüht das Marketing eine mit christlich-spirituellen Assoziationen aufgeladene Rhetorik, die der Person, die "Eau Sacrée" aufträgt, Zutritt zu höheren Sphären verspricht.
III.
Welch Kontrast hierzu die mahnenden Worte des neapolitanischen Moraltheologen und Kirchenlehrers Alfonso de Liguori, der auch in Geruchsfragen für eine asketische Lebensführung eintrat – zu einer Zeit, in der es Mode wurde, nahezu alles, was man am Körper trug, vom Handschuh bis zum Rosenkranz, einzuparfümieren. In seiner zwischen 1760 und 1761 verfassten Schrift La vera sposa di Gesù Cristo, einer Handreichung für Ordensfrauen (und -männer), betont der Geistliche, dass alle gut daran täten, wohlduftenden Essenzen zu entsagen: "Was den Geruchssinn anbelangt, so bemüht euch, die eitlen Düfte von Ambra, Pastillen, Balsamen, wohlriechenden Wässerchen und dergleichen zu meiden. Solche Raffinessen stehen sogar weltlichen Personen nicht gut an." Von den Ordensleuten verlangt Liguori mehr:
"Seid bestrebt, üble Gerüche, wie sie oft in Krankensälen vorkommen, zu ertragen: nach dem Vorbild der Heiligen, die – beseelt vom Geist der Nächstenliebe und der Kasteiung – mitten im Gestank der Kranken Freude finden, als wandelten sie durch Gärten voll herrlich duftender Blumen."
IV.
In der katholischen Kirche spielt der Geruchssinn eine nicht zu unterschätzende Rolle. Während des Gottesdienstes, der alle Sinne einbezieht, erfüllt Weihrauchduft den Kirchenraum. Das Verbrennen des Baumharzes dient dabei nicht bloß atmosphärischer Ausschmückung, sondern fungiert als bedeutendes liturgisches Zeichen. Im Inzensieren drückt sich die Verehrung aus, die den eucharistischen Gaben, ebenso dem Kreuz, dem Altar, dem Vorsteher und der versammelten Gemeinde als Leib Christi zuteil wird. Zugleich versinnbildlicht der Weihrauch das emporsteigende Gebet – "Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf" (Ps 141,2) – und wirkt gemeinschaftsfördernd. "Der Weihrauch hüllt nicht nur sichtbar die Gläubigen ein in eine Wolke des Wohlgeruchs", schreibt der Priester und Philosoph Heinrich Reinhardt in seinem geistlichen Ratgeber Verwandlung der Sinne: Fünf Wege zu Gott. "Er schließt vor allem die Seelen dichter zusammen zu einer Wolke des ungeteilten, andächtigen Betens." Hier sei an das Paulus-Wort im Zweiten Korintherbrief erinnert: Die Gläubigen selbst sind "der Wohlgeruch Christi für Gott", durch sie lässt er "den Duft seiner Erkenntnis" allerorts sichtbar werden (2 Kor 2,14f.).
V.
Auch in den Texten Ephraims des Syrers aus dem 4. Jahrhundert entfaltet sich eine ausgeprägte Geruchsmetaphorik. Duft ist für den Mystiker ein zentrales Medium göttlicher Offenbarung. "Und Weihrauchkörner", lesen wir etwa in seinem 14. Hymnus über die Jungfräulichkeit, "werden wie Märtyrer ins Feuer geworfen, und sie lassen ihren Duft emporsteigen wie ihr gütiger Herr, der durch seinen Tod wehen ließ den Duft seines Lebens" (Hymn. Virg. 11,14).
In hagiografischen Quellen begegnet uns immer wieder das Phänomen der Osmogenesia – gemeint ist damit der "Geruch der Heiligkeit". So wurde im zweiten Jahrhundert der Märtyrer Polykarp von Smyrna dem Scheiterhaufen überantwortet, jedoch von dessen Flammen nicht verzehrt; vielmehr verbreitete der Bischof – dem Martyriumsbericht zufolge – einen "Wohlgeruch wie von duftendem Weihrauch oder von einem anderen kostbaren Rauchwerk".
Der wundersame Wohlgeruch, den Heilige zu Lebzeiten oder erst nach ihrem Tod verströmen, bezeugt ihre besondere Nähe zu Gott. Zugleich ist er Vorgeschmack auf das Paradies, das Ephraim als "Schatz der Wohlgerüche" und "Scheune der Düfte" besingt: "Es ist ein Duft, der alle ernährt zu jeder Zeit, und wer ihn einatmet, wird erquickt" (Hymn. Parad. 11,15).
VI.
Von Jugend an litt die bettlägerige Lidwina von Schiedam (1380–1433) an aufbrechenden Eitergeschwülsten. Dennoch ging von ihr, wie der von Thomas von Kempen abgefassten Heiligenvita zu entnehmen ist, ein lieblicher Duft aus, der die Besucher glauben ließ, aromatische Kräuter seien in ihrer Kammer verstreut worden. "Wahrgenommen wurde diese wunderbare Süße, wenn sie [Lidwina] vom Erlöser oder von ihrem Engel besucht oder berührt wurde oder wenn sie aus dem Himmel oder den Gefilden des Paradieses zurückkehrte." Denen, die in den Genuss von Lidwinas Wohlgeruch kamen, legte er sich zudem als Zimtgeschmack auf die Zunge.
Teresa von Ávila (1515–1582) verströmte einen nach Lilien, Iris, Veilchen und Jasmin duftenden 'Geruch der Heiligkeit'. Nach ihrem Ableben war dieser so intensiv, dass während der Totenwache das Fenster im Zimmer geöffnet bleiben musste. Als eine Nonne, die an Anosmie litt, den Fuß der Toten küsste, kehrte ihr verloren gegangener Geruchssinn plötzlich zurück. Später sollen (Kontakt-)Reliquien der Heiligen ähnliche Wunderheilungen bewirkt haben.
Das Phänomen der Osmogenesia ist auch in jüngerer Zeit belegt. Den Kapuziner und Ordenspriester Padre Pio (1887–1968) zeichnete ein blumiger Duft aus, der auch seiner Kleidung und den Gegenständen, die er berührte, anhaftete. Klosterbruder Ludovico erinnert sich, dass jener Geruch in unterschiedlichen Räumen, die Padre Pio im Konvent San Giovanni Rotondo durchschritten hatte, unverwechselbar in der Luft hing. "Manchmal", so Pater Federico, "genügte es, der Duftspur zu folgen, um zu wissen, wo sich Padre Pio aufhielt."
VII.
"Und wonach riecht der Papst?", fragte mich eine Freundin, als ich ihr vom 'Geruch der Heiligkeit' erzählte. Nun, von Papst Johannes Paul II. wissen wir, dass "Blenheim Bouquet" sein bevorzugtes Eau de Cologne war. Der zitrische Duft, bereits 1902 von Walter Penhaligon kreiert, ist ein Klassiker unter den Herrendüften. Für Papst Benedikt XVI. wiederum stellte Silvana Casoli im Auftrag des Vatikans 2011 ein exklusives Duftwasser her. Dafür kombinierte die Parfümeurin Lindenöle mit Essenzen aus Eisenkraut und Gras.
"Ein Duftwasser dieser Art musste im Kern etwas Sauberes und Leichtes enthalten, etwas, das an Frieden erinnert. Ich dachte an die Düfte, die der Papst einatmet, wenn er im Garten vor der Grotte in Lourdes betet."
Dann ist da noch Filippo Sorcinelli, der sowohl Papst Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus eingekleidet hat. Bevor die päpstlichen Roben sein Modeatelier verließen, beduftete er sie mit einem Weihrauch enthaltenden Textilspray. Daraus entstand 2013 das Extrait de Parfum "LAVS", bis heute ein Bestseller. Im vergangenen Jahr präsentierte Sorcinelli seine neue Duftkollektion "MEMENTO", deren Flacons an Reliquien erinnern. Der Parfumdeckel besteht aus einer lebensgroßen, goldenen Hand, zum Segensgestus erhoben. Zu den acht Düften zählt auch "PONT. MAX.", inspiriert von der Sakristei des Petersdoms: "Wie ein liturgisches Gewand umhüllt Dich dieser Duft mit Noten, die jahrhundertelange Zeremonien atmen – getragen von der stillen Macht des Glaubens und der geistigen Erhabenheit Roms." Zum Preis von 280 Euro ist es zu erwerben, das Papstparfum für jeden, der sich's leisten kann.