Der heute im Fokus stehende Psalm 43 ist die später hinzugedichtete dritte Strophe zu Ps 42. Hatte die zweite Strophe (Ps 42,7-12) den Beginn des Refrains (Ps 42,6.12) von der deprimierten Seele entfaltet, so will diese dritte Strophe das Ende des Refrains entwickeln, das Thema der künftigen neuen Dankbarkeit gegenüber Gott: "Ich will dir danken" (Ps 43,4).
1 Schaff Recht mir, Gott, und streite meinen Streit gegen ein illoyales Heidenvolk,vor einem betrügerischen und unredlichen Mann lass mich entkommen!
Wie schon die zweite eröffnet auch diese dritte Strophe mit einer Anrufung Gottes. Das hatte die erste (Ps 42,2-6) noch nicht getan. Die ersten beiden Strophen Ps 42,2-6.7-12 hatten Gott je siebenmal genannt, insgesamt also 14 Mal. Ps 43 als dritte Strophe steigert das noch einmal zu acht Nennungen. Die Gesamtzahl wächst also auf 22 Erwähnungen Gottes – die Zahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets. Die Zahl symbolisiert eine Art gelehrter Vollständigkeit. der Beter durchmisst in diesem Gedicht sämtliche Stufen der Gotteserfahrung, von extremer Ferne bis hin zu intensiver Nähe. Die erste Strophe erinnerte sich der früheren Nähe bei großen Wallfahrten in der Vergangenheit. Die zweite Strophe entfaltete die Gottverlassenheit der Gegenwart. Die dritte Strophe sinnt nun nach über die für die Zukunft neu erhoffte Näherfahrung. Gott heißt in diesem gesamten Gedicht fast immer "Gott" (hebräisch el und elohim), nur einmal in 42,9 steht der Gottesname JHWH ("der Herr"). Durch die Anfügung der dritten Strophe gerät der heilige Name genau ins Zentrum des Gesamtgedichts.
"Wo ist denn dein Gott?"
Nach den klagenden Strophen von Ps 42 eröffnet Ps 43 mit einer neuen Entschlossenheit, die sich sofort in den eröffnenden Imperativen und Wünschen ausdrückt: "Schaff Recht! – Streite! – Lass entkommen!" Mit "illoyales Heidenvolk" und "ein betrügerischer und unredlicher Mann" fasst der Beter seine Feinde nun direkt ins Auge und fordert Gott auf, gegen sie vorzugehen. Bisher hatten diese als "Feind" und "Bedränger" (42,10-11) mit ihrer höhnischen Frage "wo ist dein Gott" (42,11) die Selbstzweifel des Beters nur verstärkt (42,4), die ohnehin schon in ihm nagten, so dass er ihnen nichts zu antworten wusste. Sie sind wohl Israeliten, aber wie ungläubige Heiden fragten sie ständig bohrend: "Wo ist denn dein Gott?" (Ps 79,10; 115,2 Joel 2,17). Jetzt soll Gott sich zeigen und gegen sie vorgehen. Als "lebendiger Gott" (42,3) kann er wirksam handeln, was sie ja leugnen. V. 2 fügt die Begründung für die Aufforderung an:
2 Denn du bist der Gott meiner Schutzwehr! Warum hast du mich verstoßen? Warum muss betrübt ich einhergehen drangsaliert vom Feind?
In 42,10 hatte er Gott eine Steilklippe, einen Felsen genannt, der ihn vor den herandrängenden Fluten (V. 8) schützen sollte. Hier nun nennt er ihn eine Schutzwehr, die die Feinde abwehren soll. Damals hatte er Gott gefragt "Warum hast du mich vergessen? Warum muss betrübt ich daher gehen, drangsaliert vom Feind?" Jetzt wiederholt er die Frage mit leichter Variation: das "Vergessen" aus 42,10 wird hier in 43,3 zur "Verstoßung". er will Gott provozieren zum Dementi: "Ich habe dich nicht verstoßen!" Statt "daher gehen" (42,10) sagt er jetzt "einhergehen" "von dem in sich versunkenen bedächtigen Schleichgang" (Delitzsch). Zugleich schlägt er mit dem Wort von der Verstoßung aber auch die Brücke zu Ps 44, der in V. 10.24 die Verstoßung Israels durch Gott beklagt. Ps 43 ist nämlich nicht nur als dritte Strophe zu Ps 42 hinzugedichtet worden, sondern auch als Brücke zwischen Ps 42 und 44. Die erbetene Abhilfe gegen die feindliche Bedrängnis formulieren V. 3-4:
3 Sende dein Licht und deine Wahrheit! Sie sollen mich führen, mich kommen lassen zu deinem heiligen Berg und zu deinen Wohnungen, 4 dass ich hineinkomme zum Altare Gottes, zum Gott meiner Jubelfreudeund dir danke mit der Tragleier, Gott mein Gott!
Mit Jubelfreude gegen die Niedergeschlagenheit der Seele
"Licht und Wahrheit" sollen die Eskorten sein, die ihn hingeleiten zum Zionsberg, den er seit 42,5 vermisst. "Wann darf ich kommen" hatte er in 42,3 in der äußersten Gottesferne gefragt. Mit "kommen" und "hineinkommen" in 43,3-4 wünscht er eine Bewegung herbei, hin zu Gott. Die geographische Distanz und die seelische Gottesferne sollen überwunden werden in einem neuen Pilgerzug zum Berg Zion. Vom Hermon, dem "Berg" der Distanz (42,7) will er wieder "zu deinem heiligen Berg", ja mehr noch "zu deinem Wohnungen" und noch näher "hinein zum Altare Gottes".
Der frühere "Schall von Jauchzen und Dank" (42,5) bei den damaligen Jerusalemwallfahrten soll in Zukunft wiederkehren als Jubelfreude oder – wie man auch übersetzen kann und übersetzt hat: Freude der Jugend (qui laetificat iuventutem meam)."Jubelfreude" heißt hebräisch simchat gil; gil kann "Jubel" bedeuten, aber eben auch "(junges) Lebensalter" wie in Dan 1,10. Die altgriechische Bibelübersetzung "Septuaginta" und von daher dann auch die alten lateinischen Übersetzungen deuteten "Jugend". Tatsächlich wünscht sich ja der Beter von Ps 42-43, dass die Erlebnisse und Erfahrungen der Wallfahrten seiner Jugend (Ps 42,5) sich wieder einstellen sollen.
Mit dieser "Jubelfreude" wäre die jetzige "Niedergeschlagenheit der Seele" (42,6.12; 43,5) endgültig überwunden. V 4 kommt nun zum eigentlichen Ziel des ganzen Gebets und insbesondere der dritten Strophe: zur Dankfeier mit der Tragleier, weil Gott endlich wieder "mein Gott" geworden ist, der nahe, nicht mehr der ferne. Des Beters Tränen (42,4), seine Selbstgespräche mit der deprimierten Seele (42,6.12; 53,5), alles waren einsame und kaum vernehmliche Äußerungen. Ganz anders war einst der Jubel in der wogenden Festmenge (42,5). Ganz anders soll auch der künftige Dank mit "Jubelfreude" (43,4) werden: ein gesellschaftliches Ereignis inmitten von Freunden, eine Liturgie, ein Hochamt am Altar! Aber all das sind noch Zukunftswünsche. Die Gegenwart gehört noch immer dem traurigen Selbstgespräch:
5 Was solltest du niedergedrückt sein, meine Seele, und was willst du dich aufregen meinetwegen? Harre auf Gott, denn noch werde ich ihm danken die Rettungen meines Angesichts, meinem Gott.
Klage Israels über die Gottesferne im Exil
Der Refrain 43,5 wiederholt 42,12 ohne jede Variation und 42,6 mit leichter Variante. Hebräisch näfäsch, "Seele" heißt, wie zu 42,1 schon gesagt, zunächst "Kehle" und dann auch "Verlangen", "Sehnsucht". in der ersten Strophe 42,2-6 war sie viermal erwähnt worden (V. 2.3.5.6), in der zweiten nur noch zweimal im Rahmen (42,7.12), hier in der dritten schließlich (Ps 43) erscheint sie nur noch einmal und zwar zum Abschluss. Siebenmal "Seele" oder "Verlangen" bezeichnen vollkommene Sehnsucht nach Gott. Mit dem Fortschreiten der Strophen beruhigt sich aber das Verlangen (4-2-1). Im Gedenken an die Vergangenheit war es heftig (viermal), in der Gegenwart stark (zweimal), im Blick auf die Zukunft wird es ruhig und sicher (einmal).
Das letzte Wort ist "mein Gott", denn das soll er in Zukunft wieder werden, der zum Beter gehörige und sich ihm auch wieder erfahrbar machende Gott, wenn die lokale und mentale Distanz überwunden sein wird, die die drei Strophen nachgezeichnet haben. Psalm 43 bildet die Brücke zwischen Ps 42 und Ps 44. Dieser wird die Gottesferne, die Israel empfindet, beklagen. Der Doppelpsalm 42-43 hatte von einem Individuum ("ich") gesprochen. Durch die Fortsetzung mit Ps 44 werden auch die Pss 42-43 rückwirkend zu einem Kollektivgebet, zum "Ich" Israels (Zenger). So werden die beiden Psalmen tatsächlich auch von der jüdischen Tradition gelesen, als Klage Israels über die empfundene Gottesferne im Babylonischen Exil (Samson Raphael Hirsch).