In letzter Zeit kommt es verstärkt zu Angriffen auf kirchliche Gebäude: Berichtet wird über Vandalismus, Diebstahl – und Graffiti. Die Beschriftungen erreichen selten Bansky-Qualität.
Gelegentlich stehen sie in Verbindung mit kirchenpolitischen Auseinandersetzungen. Beispielsweise beschmierten Unbekannte im Juli 2025 eine Kirche in Münster mit "FUCK TRUMP" und "FUCK USA," als dort der Besuch eines amerikanischen Bischofs erwartet wurde, um die Ehrung einer Stiftung entgegenzunehmen.
Ich musste damals an die Worte denken, die in den Neunzigerjahren über Wochen mit Kreide auf das Trottoir vor dem Haus meiner Eltern in Großwallstadt am Main geschrieben wurden: "Amisau" oder "Ami Go Home". Offenbar sollte dagegen protestiert werden, dass mein Vater ein US-Soldat war und frecherweise mit seiner Familie in einem fränkischen Dorf wohnte. In den Bush-Jahren wiederholte sich das auch mit Graffiti an der Hauswand und der Garagentür.
Ach, Graffiti
Aber zurück zu den Kirchen: Sie sind zeichenmächtige Orte. Deshalb ist ein Angriff auf sie nicht ein Zeichen abnehmenden "Respekts" oder gar Ausdruck von voranschreitender "Säkularisation," wie es anderswo kürzlich hieß. Das Gegenteil ist der Fall. Graffiti ist im Übrigen auch eher selten ein islamistisches Problem, wie man es offenbar in Wien kürzlich zuerst suggerieren wollte.
Ja, die Zeichen der Zeit sind flüssiger, zynischer und inkonsistenter geworden. Aber oft sind die Interpreten und Forensiker auch zu wenig in der jeweiligen Zeichenkultur bewandert, oder wollen sie nicht als das wahrhaben, was sie ist.
Vielmehr lese man die Zeichen genau. Neben klar antisemitischen, sexistischen und extremistischen oder anarchistischen Graffiti finden sich auch eine Fülle an ideologisch diffusen Zeichenkomplexen. Um etwa die Inschriften auf Patronenhülsen in den Fällen von Tyler Robinson oder Luigi Mangione zu verstehen, muss man sich mit der zeitgenössischen Meme-Kultur vertraut machen.
Ja, die Zeichen der Zeit sind flüssiger, zynischer und inkonsistenter geworden. Aber oft sind die Interpreten und Forensiker auch zu wenig in der jeweiligen Zeichenkultur bewandert, oder wollen sie nicht als das wahrhaben, was sie ist.
Ausblender und Anstreicherinnen
Als vor vielen Jahren einmal die Wiener Karlskirche mit "AUF REPRESSION FOLGT WIDERSTAND" besprayt worden ist, hieß es von der Erzdiözese: Die Aktion sei "nicht als direkte Provokation gegen die Kirche einzuschätzen." Sicher, man mag über die Sache müde lächeln. Aber die Aussage zeigt auch: Kirchliche Amtsträger haben entweder ein Problem, zu lesen und situativ einzuordnen oder die Realität wahrzunehmen, in der sie leben.
Im September 2025 nahm die Polizei in Bayern eine 27-jährige Münchnerin fest, die an sechs Kirchen Dinge wie "Frauenhasser" oder "Kirche predigt nur Hass" geschrieben hatte. Kann man plausibel finden. Kann man beleidigend finden. Fest steht: Hier verschenkt man sich – kirchlicherseits – eine Möglichkeit, über Zeichengewalt und ideologische Druckverhältnisse nachzudenken.
Hier drücken sich genuine – ideologische – Konflikte der Gesellschaft aus. Damit auch der Kirche in der Gesellschaft.
Wenn man kirchliche Gebäude als Orte des Geistes ernst nimmt, sollte man auch die (unerwünschten) Zeichen, die auf ihnen Niederschlag finden, nicht verharmlosen. Schon das Wort "Schmiererei" legt diese Trivialisierung nah. Hier drücken sich genuine – ideologische – Konflikte der Gesellschaft aus. Damit auch der Kirche in der Gesellschaft. Ob es an Kapellen-, Kloster- und Kirchenwänden das Anarchie-Symbol, der antisemitische Imperativ "Free Palestine," Protestsprüche gegen das Patriachat, Vorwürfe der "Bigotterie" oder Klassiker wie "Gott ist tot," "Kein Gott, Kein Staat, Kein Patriachat" sind, sie sind Teil einer gesellschaftlichen Debatte. Schluss mit dem Verdrängungskatholizismus: Man muss sich bemühen, alle Zeichen genau zu lesen und einzuordnen.