#44 TalismanDie Kraft des Synkretismus

Christliche Motive im Manga, K-Pop-Ästhetik oder O-Mamori-Täschchen: In Japan und Südkorea zeigt sich, wie kraftvoll kreative Neudeutungen globaler Glaubenskultur sein können.

O-Mamori mit christlichen Bibelversen aus der Präfektur Yamanashi
O-Mamori mit christlichen Bibelversen aus der Präfektur Yamanashi© Emma Lau

Ob es japanisch beschriftete Prayer Post-Its sind, die irgendwo in römischen Pilgerkirchen kleben oder Jesus als Hello Kitty- oder K-Pop-inspirierte, digitale Message Boards mit marianischer Fürbitte sind: In Japan und Südkorea läuft die christliche Popkultur gerade im Hyperdrive.

Die weltweite Ausbreitung der römischen Kirche und die historischen Folgen auf lokale Bevölkerungen diskutierte man in den letzten fünfzig Jahren zurecht im kolonialen Kontext. Dabei verkürzt sich der Blick auf Dynamiken der Macht, der Inkulturation und damit einhergehend der Gewalt.

Die jüngere Kritik an postkolonialen Diskursen selbst hebt demgegenüber Prozesse des Kulturaustausches hervor. Hier würdigt man hybride Traditionen, erkennt man die eigentümliche Kraft des Synkretismus und der Kreolisierung. Man schätzt die getüpfelte Wendigkeit der Diaspora, lobt die Fähigkeit der kulturellen Aneignung, der Neuverortung, die lokalen Ausprägungen von globalen Trends.

Christianisierte O-Mamori

Alle lieben kleine Täschchen. Wer lässt schon nach dem Besuch eines Shintō-Schreins gerne das Souvenir am Pilgerkiosk liegen? Formenreich findet man dort nämlich kleine handtellergroße Stoffbeutel, sogenannte O-Mamori (御守り). Sie sind oft kunstvoll bestickt und beinhalten Papiere, auf die ein schützendes Schriftzeichen aufgemalt sind. Im Wesentlichen handelt es sich hier um einen Talisman, also ein Schutzzeichen.

In den letzten Jahren entwickelte sich nicht nur popkulturelle Varianten dieser O-Mamori, sondern auch katholische Adaptionen, die häufig von jungen Japanern mit christlichen Symbolen und Formen selbst angefertigt werden. Die kleinen Täschchen werden sodann mit christlichen Medaillen, Kreuzen oder Bibelversen gefüllt, um sie als Amulett zu tragen. Etsy wimmelt nur von christianisierten O-Mamori.

Treffen sich Jesus und Buddha zur Teezeremonie

Ähnlich verhält es sich auch bei der Manga Serie Seinto Oniisan (Heilige Jungs), die Hikaru Nakamura lancierte und bis heute in zweiundzwanzig Bänden erschien. Es ist bemerkenswert, dass in Japan eine Manga-Serie (später auch Anime-Filme), bei der Jesus und Buddha im heutigen Tokio ihre Abenteuer erleben, ein populärer Stoff sein kann. Neben Jesus treten hier auch diverse Erzengel, Joseph und Maria in Erscheinung sowie ein Yakuza-Mitglied oder Buddhas Mutter Maya.

Nur Kitsch? Eher nicht. Vielmehr ist Seinto Oniisan um eine der wichtigsten Manga-Serien, die nicht nur in zahlreichen Übersetzungen erscheint, sondern auch in Kino-, Streaming- und Spielfilmadaptionen beträchtliche Summen einspielt. Es handelt sich dabei weniger um Erbauungsliteratur als um eine lebensnahe Unterhaltungskunst, die mit Humor und Wortwitz operiert.

Die Beispiele zeigen, wie lebendig und offen die religiöse Kultur im 21. Jahrhundert geworden ist. Christliche Motive wandern nicht mehr nur entlang missionarischer Routen, sondern durch die kreativen Kanäle globaler Popästhetik, wo sie neu gedeutet, verspielt verfremdet oder überraschend ernsthaft aufgegriffen werden. Was dabei entsteht, ist keine Verwässerung des Christentums, sondern eine Einladung, religiöse Imagination als glaubensproduktives Experimentierfeld zu begreifen.

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