Ich will nicht "rechts" sein, also schweige ich. Bei dieser Feigheit ertappe ich mich regelmäßig, wenn ich für eine Publikation angefragt werde, die mir an sich unproblematisch erscheint, die aber Verbindungen zu Personen hat, die als umstritten gelten. Das passiert gar nicht so selten. Die Sorge, sich zu disqualifizieren, ein falsches Brandzeichen verpasst zu bekommen, das man dann nicht mehr loswird, die sitzt tief.
Das liegt auch daran, dass einstmals gemäßigt christlich-konservative Positionen wie der Wert der klassischen Familie oder der Lebensschutz von der populistischen und extremen Rechten gekapert wurden. Dabei haben die meisten Politiker in diesem Spektrum ansonsten mit dem Christentum kaum etwas gemein.
Andreas Püttmann hat das in der Süddeutschen Zeitung kürzlich schön gegenübergestellt: Empathie, Demut und Gelassenheit seien die "schönsten Früchte" des Christentums, das "Signum der Rechtspopulisten" dagegen: Empathielosigkeit, Hybris und Daueraufgeregtheit. Dass völkisch-nationales Gedankengut und Christentum unvereinbar sind, sollte ohnehin klar sein, das haben auch die Bischöfe 2024 in einer gemeinsamen Erklärung unterstrichen. Welcher Katholik, welche Katholikin möchte da also dabei sein?
Macht sich jeder automatisch mit Rechtsradikalen gemein, der seine eigentlich "normal-katholische" Position vertritt? Ist die ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp jetzt auch "rechts", weil sie gesagt hat, dass sie Brosius-Gersdorf wegen deren Haltung zur Abtreibungsfrage nicht wählen könnte?
Doch was passiert, wenn – wie in der spannenden Debatte um die Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf – Themen öffentlich diskutiert werden, die klassischerweise vielen Christen sehr wichtig sind? Macht sich dann jeder automatisch mit Rechtsradikalen gemein, der seine eigentlich "normal-katholische" Position vertritt? Ist die ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp jetzt auch "rechts", weil sie gesagt hat, dass sie die Juristin wegen deren Haltung zur Abtreibungsfrage nicht wählen könnte?
Für nicht wenige Linke ist jeder, der eine der genannten konservativen Positionen einnimmt, ein potenzieller Unterstützer von Rechtsradikalen.
Mich erschreckt, dass sich im Internet augenscheinlich nur noch wenige die Mühe machen, einen Text und dessen Argumente genauer zu studieren. Stattdessen wird alles schnell nach Schlagwörtern gescannt, mit dem Fokus auf: welches Medium und welcher Standpunkt zu welchem Thema, aha, also rechts oder links. Freund oder Feind, relevant für mein Weltbild oder eben nicht.
Die emotional aufgeheizte Stimmung, die verbalen Entgleisungen online und eine bewusst verletzende Kommunikation geschehen dabei auf beiden Seiten. Vor allem auf den sozialen Medien ist der Diskurs verroht. Was manche Professoren dort von sich geben, ist ihrem Berufsstand unwürdig. Etwas, was links wie rechts zu beobachten ist.
Diffamierungen verschärfen die Gräben, geben der Polarisierung Aufwind, die eine echte Debatte zunehmend verunmöglicht. Konservative gehen dann in Deckung – oder radikalisieren sich tatsächlich.
Ich kenne konservative Journalisten, die von dieser Dynamik über die Jahre so provoziert wurden, dass sie – vielleicht aus Trotz – irgendwann gesagt haben: Na gut, dann geh' ich dahin, wo ihr mich haben wollt! Tragischerweise schreiben einige davon heute tatsächlich für dubiose rechtspopulistische Medien, was ich in Einzelfällen immer noch kaum fassen kann.
Und geht das Lieschen Müller nicht genauso? Wie viele wählen mittlerweile aus Frust und wegen einzelner Positionen tatsächlich die AfD? Deren Umfragewerte sind erschreckend hoch. Dass wirklich so viele Deutsche völkisch-national denken, glaube ich nicht.
Die Intoleranz der Linken und die offenen Arme der radikalen Rechten
Der vergiftete Diskurs reicht bis in die kirchliche Landschaft. Es erschreckt mich, dass auch manche Christen, deren Positionen noch vor ein paar Jahren ganz selbstverständlich in der Mitte der Gesellschaft standen und die mit der CDU eine seriöse politische Heimat hatten, sich jetzt aus einer Mischung aus Trotz und gefühlter Heimatlosigkeit einer völkischen Partei annähern.
Das hat auch damit zu tun, dass das progressive Lager in der Kirche gemäßigt konservative Positionen zunehmend ausgrenzt und diffamiert. Die Intoleranz, der unsägliche Ton in den sozialen Medien – sie spielen nur den Radikalen in die Hände. Die freuen sich über alle, die sich von diesem Klima aufpeitschen lassen, die sich an den Rand gedrängt fühlen, weil in der "Mitte" angeblich kein Platz mehr für konservative Positionen ist, und die am Ende sagen: Dann bin ich eben "rechts".
Um die Sache geht es längst nicht mehr, wenn Emotionen gewinnen. Die Populisten haben ein Einfallstor gefunden. Framing und die Angst vor Verunglimpfungen lähmen an manchen Stellen einen echten Diskurs, emotionalisierte Kampagnen im Internet lassen Politiker mitunter wie Getriebene wirken. Einer Demokratie mit christlicher Werteordnung ist das unwürdig.