In Deutschland wurde in diesen Tagen wieder eingeschult. Diesmal war auch unser großer Sohn dabei. Beim Anblick von Schultüte und Ranzen waren Erinnerungen an die eigene Schulzeit in den Neunzigerjahren unvermeidlich – sie machten deutlich, wie sehr sich das Land seither verändert hat. Polizisten vor dem Schulgebäude gab es damals jedenfalls nicht. Auch die Wahl der Grundschule war weniger ein Thema. man ging in die nächstgelegene, oder?
Heute hat man in der Großstadt mehr Optionen. Will man Montessori, Waldorf, konfessionsgebunden, Ganztag, Halbtag, ein externer Hort? Oder etwas ganz anderes? Nach der Bewerbung und dem Vorstellungstag hofft man dann auf den Wunschplatz.
Dieser Aufwand war mir lange zu viel Bohei. Wir wollten einfach in die Regelschule nebenan, in Bayern "Sprengelschule" genannt – auch weil dann die potenziellen Freunde in der Nähe wohnen. In unserem Fall wäre das eine alteingesessene Schule mit erfahrenen Lehrern, sie hat einen guten Ruf, gilt als solide – eigentlich.
Schnell wurde aber im Gespräch mit anderen Eltern klar, dass diese Grundschule wie andere gerade vor großen Herausforderungen steht. Wie umgehen mit immer mehr Schülern, die (noch) kaum Deutsch sprechen? Wie normal weiterarbeiten mit einer steigenden Schülerzahl mit Auffälligkeiten, die mehr Förderung benötigen, wie Autismus? Wie dabei alle im Blick haben, zudem mit sehr großen Klassen? Man kann Glück haben, aber eben auch nicht.
Im Juni ging durch die Nachrichten, dass in Hessen im Großraum Wiesbaden 41 Grundschulen eine Überlastungsanzeige gestellt haben. Die Unterzeichner problematisieren das Genannte und mehr: einen Mangel an qualifizierten Lehrkräften, immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, ein zu hohes Arbeitspensum und zu große Klassen. Für die eigentliche pädagogische Arbeit bleibe zu wenig Zeit.
Unter Katholiken
Ein Lichtblick sind daher für viele Eltern Privatschulen mit besseren Rahmenbedingungen. Teuer müssen sie dabei nicht sein, es gibt auch solche, die beispielsweise von den Kirchen getragen werden. Aller Kirchenkrise zum Trotz werden diese von Eltern immer noch stark nachgefragt. Mehr als 500 000 Kinder und Jugendliche besuchen in Deutschland christliche Schulen. Etwa 360 000 davon eine der über 900 katholischen.
Wir haben unseren Sohn nach langem Überlegen auch an einer Grundschule in kirchlicher Trägerschaft angemeldet. Er musste sich dafür an einem Auswahltag vorstellen, auch wir Eltern wurden zum Gespräch geladen. Eine Platzgarantie gibt es nicht. Die große Nachfrage übersteigt das Angebot.
Bei besagter Schule sollen dabei mindestens 70 Prozent der Kinder katholisch sein, wurde selbstbewusst am Infoabend verkündet. Die religiöse Bildung werde in alle Themengebiete einfließen, gemeinsame Gottesdienste und Gebete inklusive. Auch wenn unser Sohn lieber zu seinen Kindergartenfreunden in die Sprengelschule gegangen wäre, waren wir froh, als wir die Zusage im Briefkasten hatten. Die Schule bietet neben kleineren Klassen weitere Vorteile, mit der die staatliche nicht mithalten konnte: bei Bedarf Mittagessen, Nachmittagsbetreuung und ein schönes Ferienprogramm, dabei alles unter einem Dach. Und natürlich: die kirchliche Prägung gefällt uns. Wir glauben, dass es unserem Kind guttut, wenn er in der Schule betet und dieselben Symbole wie zu Hause findet, wenn er sieht, dass das für andere Kinder auch selbstverständlich ist und er als Katholik kein Exot ist.
Der Tag der Einschulung begann dann auch mit einem Gottesdienst. Jedes Kind wurde persönlich gesegnet und bekam eine Kette mit dem Erkennungszeichen der frühen Christen, dem Fisch-Symbol, überreicht. Wir konnten unseren Augen und Ohren kaum trauen, als so viele junge Familien um uns herum laut und begeistert "Gottes Liebe ist so wunderbar" sangen und später ins "Vaterunser" einstimmten.
Beim Stehempfang wurde deutlich, dass einige weite Wege für diese Schule auf sich nehmen. Aber auch einige Anwohner sind dabei, für die Religion keine so große Rolle spielt, die aber die christliche Bildungsarbeit schätzen – "und ich wollte einfach nicht, dass mein Kind in eine Klasse mit fast 30 Schülern aus teils schwierigem Hintergrund gehen muss", erzählt eine Mutter. Ihre Regelschule wäre eine "Brennpunktschule" gewesen.
Für Außenstehende muss das paradox wirken: das Erfolgsmodell (Schule) zu schließen und stattdessen weiter verstärkt in das Krisenmodell (viele vereinzelte Gemeinden mit teuren Gebäuden) zu investieren.
Dass sich die Kirchen angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen an vielen Orten überlegen, ob es sich künftig noch lohnt, eigene Schulen zu betreiben – das kann ich dabei kaum glauben. Die Personalkosten, vor allem auch für die Pensionen, seien zu hoch, hört man. 2018 hatte das Erzbistum Hamburg angekündigt, acht von 21 Schulen in der Stadt zu schließen. 2023 kamen ähnliche Nachrichten vom Bistum Eichstätt, das sich von fünf Schulen trennen wollte, auch in Köln und Aachen war das schon Thema. Viele Schulen wurden seither tatsächlich geschlossen, auch wenn dagegen protestiert wurde.
Für Außenstehende muss das ziemlich paradox wirken: das Erfolgsmodell (Schule) zu schließen und stattdessen weiter verstärkt in das Krisenmodell (viele vereinzelte Gemeinden mit teuren Gebäuden) zu investieren.
Wenn sich der Säkularisierungstrend weiter fortsetzt, sind diese Schulen bald einer der wenigen Orte, wo die Kinder noch vertieft mit der christlichen Botschaft in Berührung kommen. Was für eine Chance! Ob sie sich danach für den Glauben entscheiden oder nicht, sie hatten zumindest die Option.