AutoritätZum aktuellen Heft von COMMUNIO

Pantokrator, Hagia Sophia
Pantokrator, Hagia Sophia© Pixabay

Wer von «Autorität» spricht, bewegt sich in der Regel auf dem Schlachtfeld der europäischen Moderne, wo seit 200 Jahren um die politische Freiheit gekämpft wird. Hier geht es nicht zuletzt um das Abstreifen oder Zertrümmern von Autoritäten – und um die Schäden, die dabei auftreten. Der Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, den die Revolutionäre den Autoritäten des Ancien Régime entgegenschleuderten, hallt nach. Immer wieder und immer anders geht es gegen alte und neue Autoritäten, wird eine Krise der Autorität beklagt oder bestritten, in Staat und Politik, in der Familie, in Kunst und Kultur. Der Konflikt von Freiheit und Autorität und ihre schwierige Vermittlung tritt in immer neuen Varianten und dialektischen Konstellationen auf.

In diesem Autoritätsdiskurs der Moderne ist Autorität eng mit der Macht verbunden, dem rechtlichen pouvoir oder der nackten Fähigkeit, physische Gewalt auszuüben. Ihr begrifflicher Ursprung im römischen Recht legt aber etwas anderes nahe. «Auctoritas» stammt vom Verb augere ab und kann mit «vermehren, zunehmen, wachsen lassen» übersetzt werden. Im römischen Recht beziehen sich «auctoritas» und «auctor» auf jemanden, der durch den Verkauf einer Sache einen anderen reicher gemacht, also zur Mehrung seines Vermögens beigetragen hat. In der römischen Staatsordnung bildete sich dann das klassische Gegensatzpaar von «auctoritas» und «potestas» heraus. Erstere lag beim Senat, letztere bei den Konsuln oder Prätoren, die die zivile bzw. militärische Befehlsgewalt innehatten. Autorität liegt hier also gerade nicht beim Träger rechtlicher Vollmacht oder Zwangsgewalt.

Hannah Arendt hat 1955 in einem grundlegenden Aufsatz mit dem Titel «Was ist Autorität?» festgehalten, dass Autorität die Ausübung von Zwang geradezu ausschließt. Dennoch ist die Sphäre der Autorität nicht die des herrschaftsfreien Diskurses. Sie ist hierarchisch strukturiert, aber auf eine sanftere, indirektere Art als der Raum der potestas. «Will man also Autorität überhaupt definieren», schreibt Arendt, «so würde es sich vor allem darum handeln, sie klar sowohl gegen Zwang durch Gewalt wie gegen Überzeugen durch Argumente abzugrenzen. Denn die autoritäre Beziehung zwischen dem, der befiehlt, und dem, der gehorcht, beruht weder auf einer beiden Teilen gemeinsamen Vernunft noch auf der Macht des Befehlenden. Was beide gemeinsam haben, ist die Hierarchie selber, deren Legitimität beide Parteien anerkennen und die jedem von ihnen seinen von ihr vorbestimmten, unveränderten Platz anweist.»

Das Christentum und die christliche Theologie haben mit keinem dieser beiden Kontexte unmittelbar etwas zu tun. In ihren Ursprüngen hatten sie keinen Kontakt mit dem römischen Zivil- und Staatsrecht, so sehr sich das entstehende Kirchenrecht auf der Basis römischen Rechtsdenkens entwickelt hat und es bis heute von ihm geprägt ist. Auch sind Christentum und Theologie, so tief sie in die politische Geschichte der europäischen Moderne verwickelt sein mögen, nicht per se darauf festgelegt, sich am europäischen Diskurs um Autorität und Freiheit abzuarbeiten. Es gab und gibt das Christentum vor und außerhalb dieses Diskurses. Vor allem aber ist das Christentum keine politische Religion und die seinen Überzeugungskanon reflektierende Theologie keine politische Wissenschaft. Der christliche Glaube ist nicht in erster Linie an der Organisation des politischen Gemeinwesens interessiert und damit auch weder an politischer Freiheit noch an politischer Autorität als solcher. Damit soll nicht gesagt sein, dass das Christentum keine Konsequenzen für die politische Ordnung hat. Aber diese Konsequenzen sind mittelbare.

Der Berührungspunkt der Theologie mit dem Thema Autorität ist zunächst auch ein genuin theologischer. Vom konstitutiven Glauben an die universale Erlöserschaft Jesu Christi her ist sie auf seine Autorität verwiesen. Thomas Söding zeigt in seinem Beitrag, wie die neutestamentlichen Schriften den Vollmachtsanspruch Jesu ausbuchstabieren und dabei von Anfang an auch die Widerstände schildern, auf den dieser Anspruch bei den Zeitgenossen stößt. Zugleich wird deutlich, dass dieser Anspruch als heilvoller Zuspruch formuliert wird, der weitergegeben werden soll. Diese Weitergabe hält, wie der Blick auf die Streitigkeiten unter den Jüngern zeigt, von Anfang spezifische Versuchungen bereit, die sich in der traditio des Glaubens immer wieder bemerkbar machen. Einen besonderen Ausschnitt aus dieser Überlieferungsgeschichte nimmt Bernhard Körner in den Blick. In der scholastischen Theologie wurde der Autoritätsbegriff in einem technischen Sinne verwendet. Der so genannte Autoritätsbeweis stützt sich nicht auf inhaltliche Gründe, sondern auf die einen Inhalt verbürgende Instanz. Für Thomas von Aquin war er der schwächste aller Beweise, von dem eine Wissenschaft, die sich auf Offenbarung gründet, aber durchaus Gebrauch machen soll. Der mittelalterliche Rekurs auf Autoritäten ist als ein Segment scholastischer Argumentationskunst zu verstehen, während die neuzeitliche, kontroverstheologisch und apologetisch ausgerichtete Theologie immer mehr Aufwand in die Begründung von Instanzen mit Autorität investierte. Nach dem Ende der Schultheologie ist die katholische Theologie von diesem Muster abgerückt, ohne ihre Orientierung an Autoritäten ganz aufgegeben zu haben. In einer ökumenischen Perspektive wendet sich Bertram Stubenrauch der Frage zu, wie sich die Autorität eines Lehramtes in der Kirche begründen und ausgestalten lässt. Da die Kirche von Christus abhänge, brauche sie in Gestalt des Lehramtes «ein strukturelles Signal ihrer Abhängigkeit von ihm». Stubenrauch plädiert für die katholische Ausgestaltung dieses Lehramtes, sieht aber eine ähnliche Grundstruktur von äußerer Vorgabe und innerer pluraler Aneignung des Glaubens auch im protestantischen und orthodoxen Christentum. Die akademische Theologie gehöre dabei nicht auf die Seite des kirchlichen Lehramts, das auf die Wahrung des Glaubenskerns bezogen sei und sich gerade deshalb theologisch-spekulativ zurückzuhalten habe. Libero Gerosa geht dem Autoritätsverhältnis nach, das in der Rechtsordnung der katholischen Kirche zwischen geweihten Amtsträgern und sog. Laien herrscht. Die Amtstheologie des Zweiten Vatikanums hat an die Stelle der überkommenen Unterscheidung von potestas ordinis und potestas iurisdictionis die integrale Kategorie der sacra potestas gesetzt. Der nachkonziliare CIC hat diese Neujustierung jedoch kaum umgesetzt. Er greift den Begriff der sacra potestas nicht auf und führt in der Verlängerung der alten potestas iurisdictionis den Begriff der potestas regiminis ein. Gerosa legt im Anschluss an den Kanonisten Eugenio Corecco dar, dass dadurch Raum für die Unterscheidung (nicht Trennung) von Besitz und Ausübung kirchlicher Vollmacht besteht und sich mit Blick auf die an die rechtlich verfasste kirchliche Gemeinschaft gebundene Ausübung dieser Vollmacht auch die Teilhabe von Laien richtig verstehen lässt. Diese bezieht sich nicht auf den Besitz der sacra potestas, sondern auf ihre Ausübung in der Kirche.

Die letzten beiden Beiträge des Heftes berühren schließlich jenes mittelbare Verhältnis von Christentum und Kirche zur politischen Welt, von dem schon die Rede war. 500 Jahre nach dem Bauernkrieg zeigt Johannes Elberskirch, wie die aufständischen Bauern ihre durchaus konventionellen Forderungen nach einer besseren Rechtsstellung mit ihrer religiösen Gleichheit als erlöste und glaubende Glieder der Kirche begründen. Luther weist eine solche Verknüpfung brüsk zurück und kappt in seiner Zwei-Reiche-Lehre jede Verbindung zwischen Freiheit und Gleichheit im Glauben und Freiheit und Gleichheit in der politischen Welt. Thomas Müntzer wird dadurch zum Gegenspieler der Wittenberger Reformation, dass er das Reich Gottes als unmittelbar handlungsleitende Kategorie in die politische Welt trägt. Entfaltet das Christentum hier sein politisches Potenzial oder wird es zur Bedrohung für die politische Vernunft? Schließlich blickt Mariano Barbato auf die gegenwärtige Situation, in der Autorität einerseits innerhalb der liberalen Institutionenordnung des Westes angefragt bleibt und andererseits die Kirche mit ihren Vorstellungen von religiöser und politischer Autorität in die Deutungskonflikte der Zeit verwickelt wird.

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