Während sich die Weltkirche auf das Konklave vorbereitet, schaut auch Peking nach Rom. Und schweigt – vielsagend. Denn das Pontifikat von Papst Franziskus, das an vielen Stellen Impulse für soziale Gerechtigkeit, Umweltethik und eine Kirche an der Peripherie setzte, hinterließ an einer Front eine sichtbare Leerstelle: im Verhältnis zur Volksrepublik China.
Kaum ein Regime durfte unter Franziskus mit so viel vatikanischer Zurückhaltung rechnen wie das chinesische. Der Papst, der für Sudan und Myanmar betete und täglich in Gaza anrief, schwieg zu Xinjiang, Tibet und Hongkong.
Offiziell hat der Papst das letzte Wort. In der Praxis bestimmt Peking – und Rom bestätigt. Oder schweigt.
Die Ursache ist bekannt: das 2018 geschlossene und bis heute geheime Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Kommunistischen Partei über die Ernennung von Bischöfen. Offiziell hat der Papst das letzte Wort. In der Praxis bestimmt Peking – und Rom bestätigt. Oder schweigt. Seit Abschluss der Vereinbarung hat sich die Lage der katholischen Kirche in China nicht verbessert. Die Verfolgung der Untergrundkirche dauert an, mehrere Bischöfe wurden verhaftet, Priester verschwanden. Gleichzeitig setzt die Partei auf "Sinisierung" – eine politisch kontrollierte Integration der Religion in marxistisch-nationalistische Ideologie.
Die Rolle von Ex-Kardinal Theodore McCarrick
Was oft übersehen wird: Der Weg zur Vereinbarung von 2018 wurde nicht allein im vatikanischen Staatssekretariat unter Kardinal Pietro Parolin geebnet, sondern schon Jahre zuvor – durch diskrete, inoffizielle Kontakte. Eine Schlüsselfigur war dabei Theodore McCarrick, der ehemalige Erzbischof von Washington. McCarrick wurde 2018 suspendiert und trat aus dem Kardinalskollegium zurück. 2019 wurde er laisiert: wegen sexueller Verführung im Rahmen der Beichte, Verstößen gegen das sechste Gebot mit Erwachsenen und Minderjährigen, wobei erschwerend der Missbrauch von Macht hinzukam.
In einem Interview mit der regimetreuen Global Times bezeichnete McCarrick 2016 die Parallelen zwischen Papst Franziskus und Xi Jinping als "besondere Gabe für die Welt".
Zwischen 1998 und 2016 reiste McCarrick mehrfach nach China, traf führende Funktionäre der Religionsbehörde, übernachtete im Pekinger Priesterseminar und lobte öffentlich das "soziale Verantwortungsgefühl" der chinesischen Regierung.
In einem Interview mit der regimetreuen Global Times bezeichnete McCarrick 2016 die Parallelen zwischen Papst Franziskus und Xi Jinping als "besondere Gabe für die Welt". Laut US-Diplomatendepeschen, die später über Wikileaks bekannt wurden, vermittelte McCarrick sogar Botschaften zwischen Washington, Rom und Peking – teils über Persönlichkeiten wie Nancy Pelosi, teils auf eigene Initiative. Kardinal Zen sprach später davon, dass McCarrick der "wichtigste Freund Chinas im Vatikan" gewesen sei.
Was diese Reisen brisant macht, ist der Zeitpunkt: In der Kurie waren die Vorwürfe gegen McCarrick schon lange bekannt, er war intern bereits diszipliniert worden, zudem liefen Verfahren gegen ihn. Und doch wurde er – informell – als Mittler genutzt.
Elmar Nass: Kirche muss unabhängig bleiben
"Der Vatikan verfolgt sicher hehre Motive, um die staatliche Verfolgung von Christen in China zu reduzieren", sagt der Kölner Sozialethiker Elmar Nass. "Solche Kollaboration ist sicher nicht als Komplizenschaft angelegt. Sie zersetzt aber doch fundamental die Glaubwürdigkeit der Kirche, die ihre Unabhängigkeit und damit ihre Letztverantwortung vor Gott der Macht des irdisch Stärkeren opfert." Zuletzt demonstrierte Peking diese Haltung besonders deutlich – und besonders taktisch. Nur wenige Tage nach dem Tod von Papst Franziskus ernannte die KPCh zwei neue Weihbischöfe ohne Absprache mit Rom: Wu Jianlin in Shanghai und Li Jianlin in Xinxiang. Beide gelten als parteinah, die Verfahren liefen über staatlich gelenkte Versammlungen. Medien wie Asianews werteten dies als "Test" für den neuen Papst – andere als offenen Affront.
Insbesondere die Personalie in Xinxiang ist brisant. Denn dort wirkt mit Joseph Zhang Weizhu bereits ein aus kirchlicher Sicht legitimer, vom Untergrund geweihter Bischof – mehrfach inhaftiert, verfolgt und staatlich nicht anerkannt. Die Ernennung Lis durch die Staatskirche ist faktisch eine Ersetzung, eine symbolische Entmachtung des papsttreuen und nicht sinisierten Episkopats. Auch in Shanghai hatte es 2022 bereits eine einseitige Berufung gegeben: Joseph Shen Bin wurde vom Regime eingesetzt – und später von Franziskus nachträglich anerkannt. Eine "pastorale Lösung", so hieß es. Andere sprachen von Kapitulation.
"Die Sinisierung ist ein umfassendes Kulturprogramm der Umerziehung", erklärt Elmar Nass. "Religion wird von innen ausgehöhlt. Für Transzendenz ist dabei ebensowenig Platz wie für eine eigene Moral."
Pekings Verhalten nach dem Tod des Papstes unterstreicht diese Haltung. Kein Vertreter der Katholischen Patriotischen Vereinigung – das ist die von der Kommunistischen Partei anerkannte "Kirche" – nahm an der Beisetzung in Rom teil. Eine offizielle Stellungnahme wurde erst nach einem Tag veröffentlicht – und vier Tage später kommentarlos gelöscht. Für den Vatikan ein diplomatischer Affront. Für China ein souveränes Statement.
"Die Sinisierung ist ein umfassendes Kulturprogramm der Umerziehung", erklärt Elmar Nass. "Religion wird von innen ausgehöhlt. Für Transzendenz ist dabei ebensowenig Platz wie für eine eigene Moral."
Hatte Franziskus gehofft, einmal nach Peking eingeladen zu werden? Dazu kam es nie. Selbst in Kasachstan 2022, wo beide Staatsoberhäupter anwesend waren, verweigerte Xi Jinping das Gespräch. Die Botschaft war klar: In Chinas Machtarchitektur gibt es für geistliche Autoritäten keinen Platz.
Auch auf geopolitischer Ebene plädiert Nass für Klarheit: "Kirche darf nie ein geopolitischer Wasserträger politischer Machtinteressen sein. Sonst ist sie erpressbar." Ihre Unabhängigkeit sei "die stärkste Quelle glaubwürdiger Resilienz gegen autoritäre Mächte". Gerade jetzt könne die Kirche "eine Bastion ehrlicher Freiheit und Gerechtigkeit" sein – nicht trotz, sondern wegen ihrer Glaubensbindung.
Kardinal Zen beim Vorkonklave
Umso auffälliger: die Anwesenheit von Kardinal Joseph Zen in Rom. Der emeritierte Bischof von Hongkong, inzwischen 93 Jahre alt, gehört nicht mehr zu den wahlberechtigten Kardinälen – und doch reiste er zum Vorkonklave an. Es ist eine stille, aber symbolträchtige Geste: Zen, lange die Stimme der verfolgten Kirche in China, zeigt Präsenz in einem Moment, da Rom auf der Schwelle zwischen diplomatischer Kontinuität und moralischem Neuaufbruch steht. In vatikanischen Kreisen wird seine Ankunft mit Respekt registriert, aber nicht offen kommentiert.
Dass er gekommen ist, obwohl er über Jahre hinweg ignoriert, ja beinahe marginalisiert wurde, kann man als letzten Dienst an einem Gewissen verstehen, das sich der institutionellen Disziplin nicht unterordnet, sondern aus der Treue zur verfolgten Kirche heraus spricht.
Was soll sich also ändern? Sollte ein zukünftiger Papst das Abkommen aufgeben – und damit das Risiko eingehen, dass romtreue Katholiken in China noch stärkeren Verfolgungen ausgesetzt sind? Elmar Nass meint: "Kurzfristig würde Chinas Regime vermutlich mit Repressionen reagieren. Allein das aber unterstreicht nur die Notwendigkeit der Standhaftigkeit." Auch für den nächsten Papst formuliert er klare Kriterien: "Der Papst gewinnt in sozialethischen Fragen glaubwürdige Autorität allein als moralische Instanz", nicht durch diplomatische Kompromisse. "Leitbild sollten vielmehr jene Christen sein, die in Chinas Untergrund bereit sind zum Martyrium. Deren Vertreter sollte der Papst empfangen, ermutigen und ehren."