Haltung statt Heiland?In Berlin streiten Justus Geilhufe und Carl-Victor Wachs über Kirche und Politik

Wenn Politiker predigen und Kirchenleute politisieren: Ein Abend in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung widmete sich der Frage, wie viel Profanität die Kirche verträgt.

Carl-Victor Wachs, Justus Geilhufe, Carlotta Voß
© Dorothea Wachs

Matthias Miersch von der deutschen SPD sagt: "Jesus ist ein Linker". Herbert Kickl von der österreichischen FPÖ beruft sich auf "Glaube, Hoffnung und Liebe". Welcher der beiden Fälle einen mehr ärgert, das dürfte nicht zuletzt mit den eigenen politischen Präferenzen zu tun haben.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland fordert ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern und feiert eine Klimaaktivistin mit Standing Ovations. Der katholische US-Bischof Robert Barron lässt sich von Trump in eine Regierungskommission für Religionsfreiheit berufen und findet lobende Worte für den ermordeten rechten Aktivisten Charlie Kirk. Auch hier hängt es vermutlich stark von den eigenen Überzeugungen und Vorannahmen ab, welchen Fall man für kritikwürdiger hält.

Wenn Politiker sich religiös äußern, heißt es von der politischen Gegenseite: Die Religion wird "instrumentalisiert". Und wenn Kirchenleute sich politisch äußern, dann sagen diejenigen, die andere Ansichten vertreten: Die Kirche soll sich "aufs Wesentliche konzentrieren".

Im Frühjahr sorgten Aussagen der CDU-Politikerin Julia Klöckner für Wirbel: Die Kirche sei "manchmal zu beliebig" und würde austauschbar, wenn sie zu tagespolitischen Themen wie etwa dem Tempolimit Stellungnahmen abgebe, dabei aber die "grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod" nicht mehr im Blick habe, sagte die Bundestagspräsidentin zu Ostern der Bild-Zeitung.

"Jesus ist ein Linker"-Miersch kritisierte Klöckner: "Christinnen und Christen haben sich immer politisch eingemischt. Und das ist gut so." Etwas anders klang der SPD-Fraktionsvorsitzende wenig später, als katholische Kirchenvertreter sich in die Debatte um die Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf einschalteten: "Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben. Kirche kann durchaus politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich."

Schützenhilfe für Julia Klöckner kam von Carl-Victor Wachs, bis 2023 Bild-Journalist und seitdem Sprecher der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". In Artikeln für COMMUNIO und die "Welt" schilderte Wachs eine ökumenische Karfreitagsprozession in Berlin: Statt um die Passion Christi sei es um allerlei politische Botschaften zu Themen wie Klimaschutz und Migration gegangen. Wachs: "Julia Klöckner hat recht: Die Kirchen verlieren ihren Kompass."

Später legte er mit Kritik am Evangelischen Kirchentag in Hannover nach. Zur Veranstaltung gehörten, wie gewohnt, zahlreiche Programmpunkte aus dem Repertoire des linken und grünen Aktivismus, die Konservative verlässlich auf die Palme bringen. Wachs entdeckte im Programm einen Workshop "ausschließlich für BIPoc/PoC-Kinder" und eine Veranstaltung zum Thema "Queer in der Klimakrise". Die Kirche wirke "wie ein verspäteter Mitläufer, moralisch korrekt, aber innerlich leer", schrieb der Journalist auf "X". "Die Kirche wird zur Plattform: Marke statt Mysterium, Haltung statt Heiland, Statement statt Sakrament."

Die lautesten Kritiker des Kirchentags seien am weitesten vom Gemeindeleben entfernt, meinte der Kirchenmann, den man schon rein äußerlich nicht dem linken oder grünen Milieu zurechnen würde: Geilhufe propagiert seit Längerem das, was er mit etwas Augenzwinkern "bürgerlichen Protestantismus" nennt, vermeidet es dabei aber erkennbar, kulturkämpferische oder polarisierende Töne anzuschlagen.

Widerspruch kam in der "Welt" von Justus Geilhufe, einem medienaffinen Pfarrer der sächsischen Landeskirche. Die lautesten Kritiker des Kirchentags seien am weitesten vom Gemeindeleben entfernt, meinte der Kirchenmann, den man schon rein äußerlich nicht dem linken oder grünen Milieu zurechnen würde: Geilhufe propagiert seit Längerem das, was er mit etwas Augenzwinkern "bürgerlichen Protestantismus" nennt, vermeidet es dabei aber erkennbar, kulturkämpferische oder polarisierende Töne anzuschlagen. Ja, einiges beim Kirchentag sei "nicht seine Sprache, nicht seine Themen". Und doch gebe es dort auch "alles für das bürgerlich-konservative Herz".

Am Dienstag trafen Geilhufe und Wachs in Berlin aufeinander – nicht in einem kirchlichen Haus, sondern in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, und nicht angeregt von einem Kirchenvertreter, sondern vom Soziologen Stephan Fichtner. Die Historikerin Carlotta Voß moderierte die Diskussion zur Frage: "Wieviel Profanität verträgt die Kirche?"

Wachs hielt dagegen, er Auftrag der Kirche sei "pastoral", sie müsse "für alle da sein" und "mit allen reden" und fragte: "Warum biedert sich die Kirche nur bei einem Teil der Bevölkerung an?"

Dass der Vorwurf, konservative und rechte Kirchenkritiker hätten mit dem kirchlichen Leben oft wenig am Hut, den praktizierenden Katholiken Carl-Victor Wachs nicht trifft, räumte Geilhufe dabei gleich ein. Der Pfarrer blieb aber dabei, dass bei vielen, die eine Politisierung der Kirche beklagen, kaum christliche Substanz vorhanden sei. In Ostdeutschland sei er immer wieder mit antikirchlicher Polemik von AfD-Leuten konfrontiert, deren Vorfahren schon in den Fünfzigerjahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten seien.

Wachs hielt dagegen, er Auftrag der Kirche sei "pastoral", sie müsse "für alle da sein" und "mit allen reden" und fragte: "Warum biedert sich die Kirche nur bei einem Teil der Bevölkerung an?"

"Zu den Guten gehören"

Während Geilhufe in der "Welt" noch das Bild eines Kirchentages gezeichnet hatte, in der Linke wie Bürgerlich-Konservative im Grunde gleichermaßen angesprochen würden, gestand er in Berlin zu, dass es in Gremien und bei Führungspersönlichkeiten der evangelischen Kirche seit Jahrzehnten eine große Nähe zur Umwelt- und Friedensbewegung gibt.

Carl-Victor Wachs deutete diese Nähe psychologisch: Leitend sei hier das "Bedürfnis, zu den Guten zu hören".

Leider wurde dieser Gedanke in der Diskussion nicht weiterverfolgt. Kürzlich hat der Philosoph Sebastian Ostritsch darauf verwiesen, dass die Seite der Moral gern von der politischen Linken reklamiert wird. Konservative würden darauf oftmals so reagieren, dass sie moralische Argumente in politischen Fragen für irrelevant erklären – und damit die Selbstzuschreibung der Linken bestärken. Stattdessen sollte sich Konservative bemühen, ihre Positionen ebenfalls moralisch gut zu begründen, so der Philosoph.

Die politische Asymmetrie, die man der evangelischen Kirche gern attestiert, wird indes zunehmend auch im katholischen Bereich beklagt. Im Februar war die ehemalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgetreten und hatte diesen Schritt mit der Kritik der ZdK-Führung an den parlamentarischen Initiativen der Union für eine Verschärfung der Migrationspolitik begründet.

Was sollen die Kirchen also tun? Sollen sie jedwede Äußerung vermeiden, die als Stellungnahme in politischen Streitfragen interpretiert werden könnte? Das geht nicht, meint Justus Geilhufe. Für Geilhufe gibt es bestimmte Momente, in denen "das Leben auf die Kirche übergreift". Ja, manchmal sei es geradezu ein "heiliger Dienst" der Kirche, dem "Profanen" großzügig Raum zu geben. Der ostdeutsche Theologe verwies auf die Wendezeit: "Wir Ostdeutschen sind an die Grenze dessen gegangen, was an politischer Stellungnahme nur denkbar ist", so Geilhufe.

In ähnlicher Weise hätte man auch auf die Einsprüche von Kirchenleuten in der Zeit des Nationalsozialismus verweisen können. Aber wer wollte behaupten, dass dies auf der gleichen Ebene liegt wie kirchenoffizielle Beschlüsse zum Tempolimit auf Autobahnen?

Die Kirche müsse sich in jedem Fall überlegen, ob sie der richtige Absender politischer Botschaften sei, meinte Geilhufe. Sie müsse sich die Frage stellen: "Können das nur wir und können wir das am besten?" Im Osten begrenze nicht zuletzt die Knappheit der Ressourcen die Möglichkeiten zum politischen Engagement. Als Pfarrer in Ostdeutschland könne er sich entsprechende Äußerungen ohnehin nur erlauben, wenn er zuvor "seinen Job gemacht" habe.

Die Machtfrage stellen

Eine im Publikum anwesende Programmverantwortliche des Evangelischen Kirchentags stellte – man könnte sagen "typisch links" – die Machtfrage: Wer denn entscheide, ob bei einem Thema "das Leben auf die Kirche übergreift" und eine Intervention erforderlich macht? In der Tat, dafür gebe es keine Instanz, antwortete der evangelische Pfarrer. Vielleicht verhalte es sich damit wie mit dem Kanon der biblischen Schriften, der sich "imponiert", also von sich aus durchgesetzt habe.

Es war nicht das einzige Mal in der Debatte, dass der geschulte Prediger und Theologe mit derartigen Abstraktionen davonkam.

Carl-Victor Wachs, der nach eigenem Bekunden als "einfacher Kirchgänger" und ehemaliger Bild-Reporter auftrat, blieb bei seiner Botschaft: Die Kirche muss sich daran erinnern, wo ihre Kraft liegt: "in ihrem Verhältnis nicht nur zu Welt, sondern zu Gott".

Gewissheiten

Auch hier hätte man weiterdiskutieren können: Ist es vielleicht so, dass hier die Gewissheiten in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander stehen? Dass man sich also im Verhältnis zur Welt umso sicherer ist, je ungewisser das Verhältnis zu Gott erscheint? Polemisch zugespitzt: Man weiß als Kirche nicht genau, ob Gott existiert, ist sich aber ganz sicher, welche Maßnahmen zum Klimaschutz die richtigen sind.

Vielleicht würde es schon reichen, wenn politische Äußerungen von Kirchenleuten in dem Bewusstsein vorgetragen würden, dass es sich nicht um dogmatische Gewissheiten handelt.

Und müsste es nicht eigentlich andersherum sein? Katholiken finden Orientierung beim Zweiten Vatikanischen Konzil. In der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" heißt es, wenn es darum gehe, "das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen", könne den christlichen Laien "gerade eine christliche Schau der Dinge (…) eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen." Doch die Konzilsväter ergänzen: "Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen."

Vielleicht würde es schon reichen, wenn politische Äußerungen von Kirchenleuten in dem Bewusstsein vorgetragen würden, dass es sich nicht um dogmatische Gewissheiten handelt – und dass andere Schlussfolgerungen keine Ketzerei sind.

COMMUNIO Hefte

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen