"Wir sollten uns mehr um den Antichrist sorgen …"Eine kleine Erzählung von Peter Thiel

Er ist der Apokalyptiker des Silicon Valley, spricht vom Endkampf des Westens: Warum sich Peter Thiels Gedanken über den Antichrist nicht als überhitzte Phantastereien abtun lassen und doch einen wesentlichen Aspekt der christlichen Botschaft verfehlen.

Lithographie aus
Lithographie aus "Caesar-Antichrist" von Alfred Jarry, in: L'Ymagier, Nr. 2, Januar 1895 (Ausschnitt).© Daderot/gemeinfrei/Wikimedia Commons

Peter Thiel gehört zu den reichsten und zugleich widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Als Mitgründer von PayPal und Palantir, als früher Investor in Facebook und andere Tech-Unternehmen, bewegt er sich zwischen Geisteswissenschaften und Finanzwelt. In den USA seit Langem eine umstrittene Figur, ist der Unterstützer von Donald Trump und insbesondere von JD Vance auch hierzulande durch einen mehrteiligen Podcast des Deutschlandfunks breiter bekannt geworden. Thiel gilt als jemand, der "zwei Schritte voraus" denkt, während andere noch um Orientierung in der Gegenwart ringen.

Schmitts Freund-Feind-Dichotomie und Girards Theorie der mimetischen Gewalt bilden für ihn die Grundlage einer Geschichtsdeutung, in der Konflikt und Nachahmung die Triebkräfte menschlicher Dynamik sind. Daraus erwächst sein tiefes Misstrauen gegenüber der liberalen Demokratie, die für ihn weniger Freiheit als vielmehr ein System geistiger Uniformität erzeugt.

Seit seiner Studienzeit beschäftigt sich Thiel, der deutsche Wurzeln hat und in den USA lebt, nicht nur mit digitaler Technologie und Finanzstrategien, sondern auch mit Philosophie und Theologie. Prägend für ihn war die Lektüre von Carl Schmitt und René Girard. Schmitts Freund-Feind-Dichotomie und Girards Theorie der mimetischen Gewalt bilden für ihn die Grundlage einer Geschichtsdeutung, in der Konflikt und Nachahmung die Triebkräfte menschlicher Dynamik sind. Daraus erwächst sein tiefes Misstrauen gegenüber der liberalen Demokratie, die für ihn weniger Freiheit als vielmehr ein System geistiger Uniformität erzeugt. Den technischen Fortschritt sieht er dagegen als Motor geschichtlicher Erneuerung – nur er vermag die Stagnation zu durchbrechen, die Thiel beklagt. In seiner Wahrnehmung gibt es seit fast 60 Jahren keinen wirklichen innovativen Sprung nach vorn mehr – trotz Raumfahrt, digitaler Entwicklung und Künstlicher Intelligenz. Das ist die Logik des Silicon Valley, in der Thiel zu Hause ist und die er verinnerlicht hat.

Endspiel

Dabei fällt auf, dass Thiel nicht im typischen Jargon der Tech-Branche argumentiert. Vielmehr ist seine Sprache durchsetzt von apokalyptischen Bildern. Im Interview mit der Schweizer Zeitschrift Weltwoche bezeichnet Thiel Joe Biden als "falschen Freund" und "seelenlosen Roboter", der als Vertreter der Gerontokratie das Ende des politischen Establishments anzeigt und das "Endspiel" einleitet, während er in Donald Trump den unorthodoxen Spieler erkennt, der den liberalen Konsens sprengt. Er vermag es, den "New Deal" abzuschließen und die "Great Society" aufzubauen. Geradezu omnipotent erscheint der US-Präsident, wenn Thiel in Schmitt'scher Diktion sagt, in der internationalen Politik sei Trump der "absolute Souverän", der über den "Ausnahmezustand" entscheidet.

Der Westen, so Thiels Diagnose, stehe im "Endkampf": wirtschaftlich und geistig erschöpft, herausgefordert durch China und eine eigene innere Leere. Doch anders als viele Kulturkritiker sieht Thiel die Wurzel der Krise nicht primär in ökonomischen Strukturen, sondern im Verlust des Religiösen. "Religion ist der Kern des Westens – das Christentum", sagt er. Die größte Bedrohung aber sei nicht Krieg oder Rezession, sondern: der Antichrist.

Antichrist und Armageddon

Diese Figur deutet Thiel doppelt – politisch und theologisch. Politisch steht der Antichrist für den totalitären Einheitsstaat, der unter dem Vorwand universaler Rettung die völlige Gleichschaltung erzwingt. Theologisch ist er der "Hyperchrist", der "optimierte" Christ, der besser sein will als der wahre Christus.

Thiel hat Wladimir Solowjews "Kurze Erzählung vom Antichrist" und Robert Hugh Bensons "Herr der Welt" gelesen. In beiden Büchern, so Thiel, bleibe eine Sache unklar: nämlich wie genau es dem Antichrist gelingt, die Macht zu ergreifen.

Thiel sieht die Lösung für diese Frage im inneren Zusammenhang von Antichrist und Armageddon. Die Angst vor Armageddon, also der totalen Vernichtung – nuklear, ökologisch, digital – bereite gerade jene psychologische und politische Landschaft, auf der der Antichrist auftreten könne. Der Antichrist, glaubt Thiel, werde unablässig über Armageddon reden – und sich als Retter anbieten. So wird die Katastrophenrhetorik zum Machtinstrument: Die Furcht vor dem Untergang erzeugt den Wunsch nach Sicherheit, und dieser Wunsch gebiert die autoritäre Einheit, die Thiel das "Endspiel des Westens" nennt.

Hier liegt eine subtile Wendung: Thiel kritisiert nicht bloß den Liberalismus, sondern warnt vor einer globalen "Religion der Angst", die unter Berufung auf Katastrophen das Heil durch Kontrolle verspricht. Die aus seiner Sicht gänzlich "verweltlichten" Kirchen hätten dem nichts entgegenzusetzen.

Politik soll das Ende der Geschichte aufhalten, damit Technik sie vollenden kann.

Thiel sieht, dem Denken Carl Schmitts folgend, die eigentliche Aufgabe der Kirche jedoch darin, als Katechon – als Aufhalter – das Kommen des Antichrist zu verzögern (auch die USA nennt er an anderer Stelle immer wieder als "Kandidat" für diese Rolle). Der Katechon bewahrt den Raum der Geschichte vor der totalen Vereinheitlichung; in ihm bleibt Politik überhaupt erst möglich. Doch wenn Thiel nach einer solchen Kraft Ausschau hält, dann nur, um sie in den Dienst einer Zukunft zu stellen, die durch technischen Fortschritt vorangetrieben wird. Politik soll das Ende der Geschichte aufhalten, damit Technik sie vollenden kann.

Die Versuchung, die Geschichte selbst vollenden zu wollen

Es wäre zu einfach, die Figur des Antichrist als überhitzte Phantasterei von Peter Thiel abzutun. Theologisch darf zugestanden werden, dass er in der Beschreibung des Antichrist als "Hyperchrist" eine interessante Spur gelegt hat. Was Thiel jedoch nicht sieht: Für die Bibel gibt es ein Ende der Geschichte. Und dieses Ende ist von Gott her bestimmt. Erlösung geschieht durch die rettende Tat Gottes in Jesus Christus. Die Figur des Antichrist steht dabei gerade für den Versuch, die Geschichte selbst vollenden zu wollen.

Das griechische anti in "Antichrist" bedeutet sowohl "gegen" als auch "an Stelle von". Der Antichrist ist also der, der Christus bekämpft – und zugleich der, der ihn zu ersetzen sucht. Er verspricht eine vermeintliche Erlösung ohne Erlöser.

Diese Versuchung wiederholt sich heute in der Verheißung technischer Überwindung des Menschlichen. Doch nicht Ersatz ist die Logik der Vollendung, sondern Hineinnahme in die alles verwandelnde Liebe Gottes.

Kenosis

Der Transhumanismus, dem Thiel nahesteht, strebt die Unsterblichkeit des Menschen durch seine Entkörperlichung und digitale Vergeistigung an. Er schafft damit den "Hyper-Menschen", der in theologischer Lesart der Gegen-Christus ist. Paulus beschreibt im Philipperhymnus (Phil 2,6–11) das genaue Gegenteil: Christus entäußert sich, wird Mensch, nimmt die Tiefe des Leidens an – und wird dann erhöht. Der Weg Gottes führt über die Kenosis, nicht über eine Optimierung.

Die kenotische Haltung ist Widerpart zum Antichrist, weil sich hier der Gottessohn zutiefst mit der Welt und Geschichte verbindet. Es geschieht eine "Verweltlichung Gottes", die die Welt und den Menschen vergöttlicht. Das ist der absolute Kontrapunkt gegen Uniformität und Einheitlichkeit, aber auch gegen jede Versuchung, den Menschen aus der konkreten Geschichte transhumanistisch herauszunehmen.

Apokalyptik ist nicht Untergangsphantasie, sondern Erwartung der Vollendung, die Gott selbst heraufführt. Der Fortschrittsglaube, der sich an die Stelle Gottes setzt, ist die säkulare Form des Antichrist.

In dieser Gegenbewegung offenbart sich das Wesen der christlichen Hoffnung: Sie ist keine Flucht vor der Geschichte, sondern ihre Durchdringung durch die Liebe Gottes. Apokalyptik ist nicht Untergangsphantasie, sondern Erwartung der Vollendung, die Gott selbst heraufführt. Der Fortschrittsglaube, der sich an die Stelle Gottes setzt, ist die säkulare Form des Antichrist.

So stellt sich am Ende die Frage, ob Thiels eigene Vision einer durch Technik erlösten Zukunft nicht selbst jene Gestalt trägt, vor der er warnt.

COMMUNIO Hefte

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen