Zugegeben, so wie bei Gregor von Nyssa ist es aktuell noch nicht. Dieser Bischof aus dem vierten Jahrhundert beklagte sich einst darüber, dass man vor lauter Theologie praktisch keine normale Unterhaltung mehr führen könne: „Wenn du in die Stadt gehst und einen Geldwechsler um den Wechselkurs fragst, wird er dir eine Abhandlung darüber halten, wie der Sohn sich vom Vater unterscheidet; wenn du nach dem Preis eines Brotes fragst, bekommst du die Antwort, dass der Vater größer ist als der Sohn; und wenn du fragen willst, ob das Bad fertig ist, wird dir jemand sagen, dass der Sohn aus dem Nichts geschaffen wurde.“
Ein bisschen was von diesem öffentlichen Interesse an theologischen und kirchlichen Fragen würde man sich heute durchaus wünschen. Denn üblicherweise sind wir zurzeit in der Gedankenwelt – und der realen Erfahrung – des Niedergangs gefangen. Alles wird immer weniger, jedenfalls hierzulande: Gläubige, Priester, Theologiestudierende, Taufen ... Zuletzt legte die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) eine regelrechte „Erosion“ der Verbundenheit mit der Kirche, ja des christlichen Glaubens insgesamt offen. Und wer wurde infolge der Missbrauchsskandale nicht schon gefragt, wie er oder sie dieser „Täterorganisation“ weiterhin die Treue halten kann?!
Die vergangenen vier Wochen waren anders, boten eine ungewohnte Erfahrung. Plötzlich waren wir als Katholik, als Katholikin interessant. Nicht nur dass so viele politisch Mächtige aus aller Welt an den liturgischen Feiern in Rom teilnahmen. Nein, es betraf auch den unmittelbaren Nahbereich: Leute, von denen man es nie gedacht hätte, fragten einen plötzlich nach den Regeln des Konklaves oder nach unseren Favoriten für „den Neuen“. Und seit der Wahl Leos XIV. geht es gerade so weiter. Sicher, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, auch dem Anfang eines Pontifikats. Aber es ist fast schon unwirklich, wie glücklich eigentlich alle über unseren neuen Papst (noch) sind: die verschiedenen Strömungen innerhalb der Kirche, aber auch Menschen weit über die Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg. Und jetzt soll womöglich im Vatikan noch der Waffenstillstand für die Ukraine ausgehandelt werden! Nüchtern betrachtet ist das ein hochriskantes Unterfangen, das auf verschiedenen Ebenen scheitern kann. Doch in den Schlagzeilen hat Leo bereits den schönen Beinamen „Friedenspapst“.
Woher kommt dieses neue positive Bild des Katholizismus? Das Stichwort „Bild“ ist schon ein erster Teil der Antwort. Die Kirche hat mit ihren jahrhundertealten Ritualen starke Bilder geliefert. Zum Faszinierenden trug die Fremdheit bei: Was da zu sehen oder eben nicht zu sehen war, lief all unseren modernen Sehgewohnheiten zuwider. Das Konklave-Ergebnis etwa wurde nicht durch sich blitzschnell aufbauende Grafiken verkündet, sondern durch Rauchzeichen, nach stundenlangem Starren auf einen Schornstein. Gerade das Geheimnisumwitterte der Entscheidungsfindung weckte Spannung: gut 130 Männer, eingeschlossen unter dem Jüngsten Gericht in der Sixtina. Wie genau kam unter ihnen die Mehrheit für Robert Prevost zustande? Darüber lässt sich herrlich spekulieren.
Und was folgt aus all dem? Dass aktuell mehr Menschen freundlich-interessiert auf die katholische Kirche blicken, ist zunächst mal ein Grund zur Freude. Auch ein gesunder Stolz (vgl. S. 4) darf sein. Wer aber direkt aus den besonderen Wochen von Rom kirchenpolitische Handlungsempfehlungen ableitet, schießt über das Ziel hinaus. Es gibt diese Stimmen, die jetzt mehr Prunk und Pomp, mehr „Tradition“ fordern – und damit nötige Reformen abwürgen wollen. Und wieder wird in diesem Zusammenhang das fatale Franziskus-Wort zitiert, wonach man keine zweite evangelische Kirche brauche. Doch eine solche Interpretation macht auch den Katholizismus zu einem Klischee. Nutzen wir lieber die Gunst der Stunde, um positiv zu fragen, was unseren Glauben ausmacht!
Neue Reihe „Gut katholisch“
Der Beginn des Pontifikats Leos XIV. hat vielfach zu einem neuen Interesse am Christentum katholischer Prägung geführt. Wir nehmen das zum Anlass, in loser Folge zu erörtern, was heute „gut katholisch“ ist. Dazu laden wir auch Sie ein: Schreiben Sie uns, was aus Ihrer Sicht unseren Glauben kennzeichnet, warum Sie gerne katholisch sind.