Epheserbrief

Literarische und historische Fragen

Der Epheserbrief gehört im neutestamentlichen Kanon zu den Paulusbriefen. In der Forschung ist man sich jedoch weitgehend einig, dass dieser Brief nicht von Paulus selbst stammt, sondern von einem »Schüler«. Dieser schreibt im Namen und in der apostolischen Autorität des Paulus und weiß sich ihm und seiner Theologie verpflichtet. Der Verfasser kennt authentische Paulusbriefe und will gegen Ende des 1. Jahrhunderts das Erbe des Paulus fortführen, es in neuer geschichtlicher Situation aktualisieren. Der Verfasser rezipiert auch den Kolosserbrief und schreibt diesen Brief im Sinne des Paulus fort. Aufgrund seiner theologischen Weltsicht geht man mit Recht davon aus, dass der Verfasser – wie Paulus selbst – ein jüdischer Christusanhänger ist, der aus der Diaspora, eventuell aus dem Umfeld von Ephesus, stammt und vom hellenistisch-jüdischen Denken geprägt ist.

In den alten Handschriften fehlt in Eph 1,1 bei den Adressaten die Ortsangabe »in Ephesus«. Es könnte also sein, dass diese Angabe erst nachträglich eingefügt wurde. Möglich ist aber auch, dass das »in Ephesus« nachträglich ausgelassen wurde, um den Charakter des Schreibens, das von der umfassenden Gemeinschaft der Christusgläubigen ausgeht, noch deutlicher zu machen. Doch schon im 2. Jahrhundert hat der Brief bei der Zusammenstellung der Paulusbriefe die Überschrift »An die Epheser« erhalten. Vermutlich handelt es sich beim Epheserbrief um ein Rundschreiben, das nicht nur für eine Ortsgemeinde gedacht war, sondern sich grundsätzlich an »Trauende in Christus Jesus« wendet. Dementsprechend geht der Brief auch nicht – anders als Paulus in seinen eigenen Briefen – auf konkrete Gemeindeprobleme und -fragen ein, sondern behandelt grundsätzliche theologische Fragen. Sicherlich soll damit das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der Christusgläubigen gestärkt werden. Mit Recht kann man den Epheserbrief deswegen auch einen »ökumenischen« Brief nennen.

Adressaten und Adressatinnen des Epheserbriefes

Unabhängig von der Ortsfrage lässt sich aus dem Brief relativ genau erschließen, wer die Adressaten und Adressatinnen sind. Aus 2,11f geht eindeutig hervor, dass sich der Brief an nichtjüdische, aus der Völkerwelt stammende Christus-Gläubige richtet: »Deshalb erinnert euch, dass ihr früher von Geburt Nichtjuden / ›Heiden‹ wart und von denen, die am Körper beschnitten sind, ›Unbeschnittenheit‹ genannt wurdet. Zu jener Zeit wart ihr außerhalb des Christus, Außenstehende am Bürgerrecht Israels und Fremde der Bünde der Verheißung; ihr wart ohne Hoffnung und Gottlose in der Welt.« Die Adressaten waren als Nichtjuden ohne den Gott Israels und nicht in seinem Christus. Und 2,13 fügt hinzu: »Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, in Christus Jesus in die Nähe gekommen durch sein Blut.« Dass die Adressaten nichtjüdische Christusanhänger sind, unterstreicht auch 3,1, wo die Adressaten direkt angesprochen werden als Nichtjuden, als Menschen aus den Völkern, für die Paulus berufen wurde, weshalb er nun inhaftiert ist. Der Verfasser des Briefes weiß, dass zahlreiche Nichtjuden durch die Verkündigung des Evangeliums zum Gott Israels geführt wurden, dass ihnen durch den Gesalbten/Christus Gottes unmittelbarer Zugang zu dem einen Gott Israels geschenkt wurde. Ja, dass sie durch die Zuwendung Gottes und seines Christus bereits jetzt gerettet sind (2,5). Darin liegt der Sinn der Berufung des Paulus, dass er Nichtjuden den unerschöpflichen Reichtum Christi als Evangelium verkündet (3,8) und ihnen bezüglich ihrer Identität versichert, dass auch sie aufgebaut sind auf dem Fundament der Apostel und Propheten: Jesus Christus hält als »Eckstein« beide Teile, den jüdischen und nichtjüdischen Gewölbeteil zusammen zu einem Bau, zu einem heiligen Tempel (2,20f).

Themen des Briefes

Der leitende Grundgedanke liegt in der kosmischen Dimension des Christusgeschehens, das auf Einheit/Einung aller Menschen im messianischen Leib zielt. Diese Einheit ist die Vision des Epheserbriefes: dass in Christus alle, Juden und Nichtjuden, vereint, »eins« und ein »neuer Mensch« (2,15) sind – in der Welt und für die Welt. Denn Christus ist »unser Friede« (2,14). Diese Einung einer zerrissenen Welt in Christus ist Gottes Plan für die Menschheit von Anfang an; dies ist das »Geheimnis Christi «, das Paulus in seiner Berufung erkannte (3,1–13). Das Thema der Einheit prägt sowohl den ersten Teil als auch den zweiten Teil des Briefes. Der erste Teil (1,3–3,21), der stark vom Gebet geprägt ist, macht grundlegende theologische Aussagen zum Handeln Gottes durch Jesus Christus. Er erinnert die nichtjüdischen Adressaten daran, dass sie durch Jesus Christus und das Evangelium zusätzlich (nicht: an dessen Stelle!) zum Volk Israel Mit-Erben, Mit-Leib (Christi) und Mit-Teilhabende an der Verheißung sind (3,6).

Der zweite Teil (4,1–6,9) leitet aus dem Einheitswillen Gottes Ermahnungen zum konkreten Lebenswandel der Christusgläubigen ab. Es geht um einen »Wandel in Liebe« und um die Nachahmung Gottes und seines Christus (5,1f). Es geht um eine hochschätzende Zusammengehörigkeit – im universalen messianischen Leib der »Kirche« ebenso wie in der kleinen Sozialeinheit der Familie. Abschließend formuliert Eph 6,10–20 Konsequenzen, die sich für das politische Verhalten von zu Christus gehörigen Menschen ergeben und wenn nötig Widerstand gegen herrschende Gewalten (damals: im römischen Reich) erfordern.

Im Briefrahmen finden sich die Angabe von Absender und Adressaten mit einem Segenswunsch am Anfang (1,1f) und ein Schlussgruß sowie eine Kurzmitteilung am Ende (6,21–24). Der Epheserbrief ist ein bleibender Aufruf zur Ökumene, denn er bringt eine zutiefst jüdisch-christliche Grundüberzeugung zum Ausdruck und fordert diese ein: »Achtet darauf, die Einung des Geistes zu wahren: Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch zu einer Hoffnung durch den Ruf an euch berufen wurdet. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in allen ist.« (4,4–6) Der Epheserbrief ist aber auch Ausdruck der Überzeugung, dass Frieden, Einheit und Versöhnung in einer zerrissenen Welt, zwischen verschiedenen Kulturen, sozialen Gegebenheiten und Völkern nicht nur möglich, sondern von dem einen Gott Israels und seinem Handeln in Jesus Christus gewollt sind. Alle zu Christus Gehörenden sind damals wie heute aufgerufen, diesen Gegenentwurf zu Feindschaft und Ausgrenzung zu verstehen und im Leben zu verwirklichen.

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