Andreas G. Weiß über Humor und Glauben "Humor wäre für die Kirche nur ein kleiner Schritt auf ihrem Weg in die Zukunft"

In seinem Buch „Ausgelacht. Glaube und die Grenzen des Humors“ durchforstet Andreas G. Weiß die Geschichte des Miteinanders von Humor und Religion. Doch es geht ihm nicht nur darum, ob Humor in der Religion einen Platz haben kann – für ihn stellt sich vielmehr die Frage, ob Humor nicht sogar eine produktive Ressource für christliche Religiosität sein kann. Ein Vehikel für ernste Themen und Kritik, für Bodenhaftung und realistische Selbsteinschätzung.

Andreas G. Weiß über Humor und Glaube
© Verlag Herder

Herr Dr. Weiß, wie kam es zu diesem Buch? Was war Ihr Ausgangspunkt?

Den Anstoß für dieses Projekt bekam ich tatsächlich schon im Jahr 2013, als mich eine meiner Studentinnen in den USA darauf ansprach, dass ich während meiner Vorlesungen über meine eigene Konfession viel mehr Witze mache als über alle anderen. Die Studentin war selbst Katholikin und fühlte sich dadurch wohl irritiert.

Mit war das zunächst gar nicht bewusst – aber ich war durch die Frage berührt und gleichzeitig angespornt, mehr über das Verhältnis von Religion, Humor und der eigenen spirituellen Beheimatung nachzudenken.

Was dann zunächst als eine Vortragsreihe in österreichischen Volkshochschulen begann, wurde natürlich durch die Terroranschläge 2015 – vor allem durch den Angriff auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo -, aber auch durch ständige Querelen zwischen Medienkonzernen, Filmemachern und der katholischen Kirche mit neuer Brisanz versehen. Das Thema ist und bleibt aktuell: Denn die Religionen weltweit sehen sich ständig Widerspruch, Kritik und nicht zuletzt auch mehr oder weniger humorvollen Zugriffen ausgesetzt.

Wenn man sich in der Kirchengeschichte der letzten Jahrhunderte umsieht, scheint Humor schon immer bedrohlich gewesen zu sein – also auch in Zeiten, in denen die Kirchen viel unangefochtener waren als heute. Warum scheint Humor für Religionsgemeinschaften gefährlich zu sein?

Humor ist keinesfalls nur für Religionen gefährlich, sondern Lachen kann für alle Systeme und Einzelpersonen bedrohend werden. Wenn Menschen über bestimmte Dinge (oder Personen) Witze machen können, dann bedeutet das nichts anderes, als dass sie sich in einer gewissen Distanz dazu bewegen: Wer über eine Autorität lacht, relativiert deren Anspruch.

Witz und Humor können somit einen Raum herstellen, in dem die Welt nicht so ist, wie sie zunächst erscheint: Wer beispielsweise über den Tod lachen kann, der raubt ihm quasi seinen Stachel (1Kor 15,55), weil man ihn nicht mehr fürchten muss. Dasselbe gilt aber auch für Personen, über die man lachen kann: Wer im Mittelalter den König lächerlich gemacht hat, hat dessen Majestät, ja dessen quasi-göttliche Berufung und seinen Anspruch infrage gestellt.

Im Laufe der Geschichte musste man feststellen, dass so manche politischen Unruhen, ja ganze Revolutionen damit begonnen haben, dass Menschen Witze über die Mächtigen gemacht haben. Mit diesem Lachen kann durchaus ein Prozess in Gang kommen, der ganze Systeme und deren Leitungsebenen gefährdet und letztlich stürzen kann.

Innerhalb der religiösen Sichtweise erscheint das Problem aber noch einmal in verschärfter Weise: Denn die Religionen vertreten einen Wirklichkeitsanspruch, der über Leben und Tod hinausgeht. Sie denken dementsprechend immer mit einem erhöhten Wahrheitsanspruch, der sich nicht auf einen kleinen Teil der Wirklichkeit reduzieren lässt. Zusätzlich haben viele Religionen den Anspruch, klare Wahrheiten von einer göttlichen Autorität erhalten zu haben – und hier verläuft die problematische Linie: Denn die Würde und Hoheit der höchsten Quelle aller Wahrheit wird dann als Tabu gesetzt, das nicht angetastet werden darf.

Ist es in unseren heutigen, aufgeklärten Zeiten im „Westen“ nicht eher so, dass man sich als Religionsgemeinschaft rechtfertigen müsste, wenn man Humor Grenzen setzen will?

Durchaus. Religionen bauen auf ein Wirklichkeitsverständnis auf, das heute nicht mehr bei allen Menschen und Gesellschaften vorausgesetzt werden kann. Der Bezug auf eine heilige Größe bzw. eine transzendente Sphäre ist heute vielen unverständlich geworden.

Trotzdem kennen aber viele – auch säkulare Menschen – nach wie vor das Gefühl der Sakralität, aber diese Emotionen verlaufen eher in einem höchst individuellen Bereich. Da wird es natürlich für Religionsgemeinschaften schwierig, im Rahmen einer säkular verfassten Gesellschaft zu argumentieren, warum denn der von ihnen proklamierte heilige Raum (der sich noch dazu von anderen Religionen unterscheidet) als gesellschaftliches Tabu für Witze gesehen werden soll.

Das Problem stellt sich also auf mehreren Ebenen: Einerseits ist Humor an sich sehr individuell – nicht alle katholischen Gläubigen haben dieselben Vorlieben und Grenzen bei ihren Lieblingskomikern. Andererseits aber wird es in den westlichen Gesellschaften immer schwerer, argumentativ für einen besonderen Schutz des „Heiligen“ einzutreten. Denn das Heilige existiert nicht als objektive Größe, sondern im Rahmen von Bekenntniszugängen, die wiederum bei verschiedenen Menschen und Gruppen sehr unterschiedlich sind.

Humor ist ja nicht nur Unsinn: Inwiefern lohnt es sich für Kirchen und die Gesellschaft, einen entspannten Umgang mit Humor zu pflegen?

Jeder Witz und jede Komik ist niemals nur Unsinn, sondern immer auch offenbarend – denn jede Pointe oder Erzählung bringt zum Vorschein, in welchem Kontext ein Witz entstanden ist. Die Funktion der komischen Erzählung zeigt zudem gesellschaftliche Zusammenhänge: Worüber macht man Witze? Über wen sollen die Menschen lachen? Und nicht zuletzt erfährt man auch sehr viel über die Personen, die Witze erzählen.

Ich schlage deshalb vor, dass man bei Witzen immer tiefer blicken und nicht auf der Ebene des Komischen verweilen sollte. Man kann von Witzen sehr viel über die Menschen, die Gesellschaft und die Geschichte lernen – dazu muss man sie aber ernster nehmen, als sie im ersten Zugang erscheinen.

Der entspannte Umgang kann erst dort gelingen, wo man Witze nicht immer gleich als direkten Angriff wertet, der eine Gegenreaktion erfordert. Dazu muss man aber auch lernen, selbst einen Schritt zurückzutreten und nicht im Schock der ersten Konfrontation sofort auf Empörung zu setzen.

Dies erfordert zunächst aber ein entspanntes Verhältnis zu sich selbst, zu den eigenen Fehlern und der eigenen Hinfälligkeit: Erst wenn ich akzeptieren kann, dass es in der eigenen Position wunde Punkte gibt, Unzulänglichkeiten oder Widersprüche, dann kann ich lockerer mit Witzen darüber umgehen. Wer sich selbst in einem absolut perfekten Bild darstellen möchte kann keine Fehler zulassen, wird in weiterer Folge auch Witzen nicht positiv oder entspannt begegnen können – schließlich kratzen sie an der Fassade.

Zugleich kann man durch Witze – auch wenn diese im ersten Moment unpassend oder sogar beleidigend wirken – sehr viel lernen: Warum macht man bestimmte Witze? Warum werden etwa über den katholischen Zölibat so viele Witze gemacht? Dies deutet nicht selten auf Kommunikations- und Verständnisprobleme hin: Die Menschen machen oft Witze über Dinge, die sie nicht verstehen oder eben die vielleicht im realen Leben nicht so klar und einfach erscheinen, wie es in der Theorie vorgesehen wäre. Dieser Lernprozess ist für eine Religionsgemeinschaft heilsam – weil es auch wieder auf ihre eigenen Fehler verweist.

Und ganz konkret: Wie kann die katholische Kirche von einem souveränen und konstruktiven Umgang mit Humor profitieren?

Die katholische Kirche ringt zurzeit in vielen Bereichen mit sich selbst: Das betrifft nicht nur – aber auch – die Missbrauchskrise. In zahlreichen Fällen ist das auf das Auseinanderklaffen von Anspruch und Realität zurückzuführen. Das Resultat waren unsägliche Verbrechen, aber auch andere Skandale etwa im Finanzwesen, mit denen sich die Kirche befassen muss.

Humor von außen macht sich oftmals über Dinge lustig, die in der Kirche nicht (mehr) verstanden werden – hier könnte man natürlich kirchlicherseits ansetzen und einen neuen Dialog mit einer Gesellschaft fördern, die für vieles innerhalb der Kirchen kein Verständnis und keine Sprache mehr hat.

Selbst satirische Überzeichnungen mit ihrem bissigen Spott und oftmals beleidigenden Bildern erfüllen hier eine Funktion: Denn sie setzen nicht selten genau dort an, wo es den Religionsgemeinschaften am meisten weh tut. Die Witze zielen auf Schaltfunktionen des Glaubens und wollen hier eine gewisse Botschaft von außen platzieren – das ist ja eine der wichtigsten Funktionen von Satire, dass sie mit ihrem Spott etwas ausdrücken will. Auch hier werden sehr oft Fehler in den Blick genommen, die man kirchlicherseits lieber verdecken würde.

Ein Grund, warum sich die Kirche mit diesen Hinfälligkeiten in ihren eigenen Reihen so schwertut, ist, dass sie selbst immer noch einen scheinbar fehlerfreien und oftmals viel zu hoch gegriffenen Anspruch an sich selbst hat. Mit der eigenen Begrenztheit, Endlichkeit, ja existentiellen Lächerlichkeit umzugehen kann nur dann gelingen, wenn man von einem tabuisierten Selbstbild wegkommt, das nicht angegriffen und kritisiert werden kann und darf. Die Realität sieht nämlich anders aus als die theologische Idealität von Kirche.

Selbstironie steht einem unfehlbaren Selbstanspruch vielerorts im Weg. Also zieht man sich lieber auf die scheinbar unfehlbare Position zurück: Doch man übersieht besonders im kirchlichen Bereich dabei sehr oft, dass sich die Kirche eben aus menschlichen und fehlerhaften Menschen zusammensetzt, ja mitunter auf missbräuchlichen und gefährlichen Strukturen aufgebaut sein kann. Wer den Blick für diese Realitäten verschließt und alle Fehler von sich abputzen möchte, läuft Gefahr, im eigenen Anspruch in eine Sackgasse zu geraten, weil man die göttliche Wahrheit mit der eigenen Position verwechselt.

Humor kann hier ein Schlüssel zu einem realistischeren Selbstbild sein – das muss aber natürlich ein Lachen beinhalten, welches die Opfer nicht vergisst, die Leiden nicht wegwischt und nicht die ganze Existenz der Menschen einer umfassenden Lächerlichkeit preisgibt. Insofern wäre Humor, Selbstironie und ein Umgang mit der eigenen Hinfälligkeit für die Kirche nur ein kleiner Schritt auf ihrem Weg in die Zukunft. Dieser Schritt kann jedoch dazu beitragen, dass sie am Ende eines heilsamen Prozesses zu sich selbst findet. Aber dabei darf nicht vergessen werden, dass es einer umfassenderen Heilung bedarf als nur eines lockeren Lachens über sich selbst.

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