Rezensionen: Theologie & Kirche

Nies, Jörg: Gehorsam in der Gesellschaft Jesu. Theologie, Verständnis und Kritik eines beunruhigenden Gelübdes.
Würzburg: echter 2024. 523 S. Kt. 54,–.

Vom liberalen Zeitgeist nicht gerade geschätzt, zugleich durch das Erstarken autoritärer Tendenzen wieder neu und sehr strittig aktuell, ist der Gehorsam, von Jesuiten traditionell eher streng verstanden, jenes Gelübde, für das dieser Orden – je nach Perspektive – berühmt und anerkannt oder auch berüchtigt und verfemt ist. Die fundamentaltheologische Dissertation eines jungen Jesuiten zu dieser Thematik lässt aufhorchen. Wie geht er das komplexe Thema an?

Nies geht sehr genau vor, er beschreibt Forschungsgeschichte und -stand und reflektiert die Begrifflichkeit, er beschreibt verschiedene Ignatius-Bilder und benennt Vorurteile (z. B. „Antijesuitismus und jesuitischer Fundamentalismus“, 79), er betont die Geschichtlichkeit, die Kontextualität und die kulturelle Bedingtheit der Deutungen. Die Gründungsgeschichte des Ordens und alle wesentlichen Gründungsdokumente beleuchtet er genau, meist mit Bezug auf moderne Deutungen. Die spirituelle und theologische Verankerung des Gelübdes wird eingebracht.

Stark ist der Blick auf Ignatius, auf die Exerzitien als theologisches Grunddokument und auf die Ordenswerdung (Kap. II bis IV) – hier ist das Buch sehr ausführlich, gut lesbar und kann auch als allgemeine Einführung in die Gründungsgeschichte des Ordens dienen. Durch die spätere Geschichte des Ordens geht Nies eher kursorisch. Beeindruckend ist Nies’ sehr umfassende Quellenkenntnis und seine breite Rezeption und Diskussion der Sekundärliteratur, alles sehr international und auf dem neuesten Stand. Ausführlich erläutert werden die beiden Gehorsamsgelübde der Jesuiten: das zeitlich und sachlich prioritäre Papstgelübde und der diesem nachgeordnete Gehorsam gegenüber den Ordensoberen. Ein wenig schwach wird m. E. die berühmte 13. Kirchenregel („Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt“, EB 365) gedeutet: Der Unterschied „glauben“ – „sehen“ wird nicht thematisiert, und eine theologische Deutung, etwa von der Kreuzestheologie her, fehlt weitgehend (216 f.).

Im abschließenden systematischen Kapitel (VI) geht es nochmals ausführlich um hermeneutische Fragen der Gehorsamsdeutung, um die Kontext- und Kulturbezogenheit, um sprachliche Feinheiten und Paradoxien, auch – kritisch – um Gefahren oder Missbrauch des Gehorsams. Eher knapp kommt die eigenständige inhaltliche Deutung, was Gehorsam im Jesuitenorden ist und wie er heute anthropologisch, soziologisch und v. a. theologisch begründet wird oder werden sollte. Wer freilich eine differenzierte und umfassende historische und hermeneutische Reflexion auf dieses so belastete und strittige, gleichzeitig fundamentale und aktuelle Gelübde sucht, ist mit diesem Buch bestens bedient.

Stefan Kiechle SJ

Hoffmann, Veronika: Glaubensverunsicherungen. Beobachtungen zum religiösen Zweifel.
Ostfildern: Matthias Grünewald 2024. 489 S. Kt. 58,–.

Welche Bedeutung der Zweifel hat, ist nicht nur eine persönliche, sondern auch eine theologische Frage. Die in Fribourg in der Schweiz lehrende Dogmatikprofessorin Veronika Hoffmann hat bereits mehrere Publikationen zur Thematik vorgelegt. Das besprochene Buch kann daher als eine Art Summe verstanden werden, die auch eine begriffliche Schärfung zur Folge hat. Es geht spezifisch um den „religiösen Zweifel“ und dieser „ist nicht einfach ein Zweifel im philosophischen Sinn, nur an einer spezifisch religiösen Aussage, sondern er hat als Glaubenszweifel selbst eine spezifische Gestalt“ (14). Diese Gestalt ist entscheidend durch einen Kontext und Zeitindex geprägt, die in den einzelnen Teilen des Buches immer wieder deutlich wird.

Der Aufbau des Buches folgt dabei nicht einer strengen chronologischen Ordnung, sondern vielmehr werden verschiedene Zugänge untersucht. So spricht die Autorin nicht von Kapiteln, sondern von „Studien“, die inhaltlich verbunden sind. In einem ersten Schritt wird der Umgang der katholischen Theologie mit dem Glaubenszweifel im Rahmen der Analysis fidei und des Ersten Vatikanischen Konzils behandelt. Die zweite Studie stellt den veränderten Umgang mit dem Zweifel im 20. und 21. Jahrhundert in der katholischen wie protestantischen Theologie dar, wobei auch der Beitrag der analytischen Religionsphilosophie gewürdigt wird. Die dritte Studie nimmt die für die Fragestellung relevanten Entwürfe von Paul Tillich, Jürgen Werbick und Magnus Striet in den Blick. In einer weiteren Studie werden die Denkfiguren der Anfechtung, der  Versuchung und der Nachterfahrung des Glaubens als Deutungsmöglichkeiten für den Zweifel untersucht. Dabei geht es der Autorin weniger vor allem um eine aktuelle Wiederaneignung dieser theologischen Modelle, was zugleich die Frage nach einer historischen Verortung aufwirft. Die Frage der fünften Studie ist daher grundsätzlicher, ob der Zweifel ein Kind der Neuzeit sei. Im Anschluss an Charles Taylor wird nach dem religiösen Zweifel in einem „säkularen Zeitalter“ gefragt, bevor dann das Europa des 13. bis 15. Jahrhunderts als ein „Zeitalter des Glaubens“ im Vergleich dargestellt wird. Darüber hinaus wird die Rolle, die Glaubensverunsicherungen in der biblischen Welt spielten, anhand einzelner Bibelstellen diskutiert. Dadurch wird die Problematik von Kategorien deutlich, was sowohl für deren inhaltlichen Bestimmung als auch Übertragbarkeit gilt. Zudem wird so die Bedeutung eines gesellschaftlichen Rahmens und der Referenzen thematisch, weshalb gilt, „dass der Zweifel im „säkularen Zeitalter“ in der Regel eine spezifische Gestalt annimmt: in Richtung auf eine mögliche andere, mehr oder weniger transzendenzorientierte Deutung der Welt, vor allem aber in Richtung auf eine Schließung der Immanenz und damit eines Atheismus“ (330). So kann aber die Glaubensgewissheit als ein Problem erscheinen, da der Zweifel eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Toleranz spielen könne. Verschiedene Modelle dieser Argumentation bildet die sechste Studie, der dann eine weitere zum Zusammenhang von Glaube, Zweifel und Identität folgt. In dieser greift die Autorin Überlegungen von Paul Ricœur auf.

Wer der Autorin bis zu ihren Schlussausführungen folgt, wird ihr zustimmen, dass das Buch vielerlei „Differenzierungsgewinne“ bereitstellt. Diese sind für weitere Forschungen zur Thematik, aber auch für grundlegende Fragen relevant. Diese können nach der Lektüre deutlicher gefasst und auf implizite gesellschaftliche wie theologischen Annahmen befragt werden. Die detailreichen, thematisch breiten und mitunter fordernden Ausführungen bieten einen guten und sachkundigen Überblick, der zugleich viele Anregungen bietet und eine Referenzgröße für die theologische Bearbeitung des religiösen Zweifels sein wird.

Jörg Nies SJ

Aigner, Maria Elisabeth: Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Bd. 4: Handlungsfeld Seelsorge.
Stuttgart: Kohlhammer 2025. 129 S. Kt. 24,–.

Im „Bibliolog“ legt eine Gruppe, unter Anleitung zum persönlichen Einfühlen, unzensiert einen biblischen Text so aus, dass er in Kontakt mit den eigenen Erfahrungen gerät und sich im Miteinander lebendig, oft ganz neu, erschließt. Am besten kann man mit konkreten Beispielen in den „Beratungsraum biblischer Texte“ einsteigen (Kap. 4.3). Oder man lässt sich von der in dieser jungen pastoralen Disziplin erfahrenen Autorin ihre biografischen Zugänge und mutigen Erprobungen in Ost-Afrika erzählen: eindrucksvolle Belege transkulturell-pastoralpsychologischer Bibel-Arbeit (Kap. 5).

So zugerüstet, bietet die differenzierte Entfaltung des Grundmodells und seiner Elemente, der Blick in die Entstehungsgeschichte, v. a. in Nähe wie auch Differenz zum älteren Bibliodrama (bzw. Psychodrama), immer neue Facetten der theoretischen Basics wie der vielfältigen Kontexte bibliologischer Arbeit. Auf Schritt und Tritt spürt man theologische Weite, anthropologisch-psychologische Grundierung und pastoraltherapeutische Ausrichtung. Bibliologe zu leiten, erfordert qualifizierte Ausbildung, die Menschen befähigt, in Gottesdienst, Gemeindearbeit oder Schule auf kreative Weise mit biblischen Texten umzugehen.

Im Zentrum steht eine Trias von (heiligem) Text, (aktiv teilnehmender) Person und (tragender) Gruppe, die hier buchstäblich ins Spiel kommt. Erst dieses gemeinschaftliche, strukturierte Auslegen biblischer Texte befreit aus dem Bannkreis einlinig-autoritärer Verkündigung richtiger Glaubensinhalte. Von ihren vielfältigen Annäherungen an innovative Wirkweisen und Lern-Chancen, aber auch Grenzen und Gefahren steuert die Autorin immer wieder den interpersonalen und spirituellen Glutkern der freigesetzten kreativen Impulse an.

Im nüchternen Begriff „Bibliolog“ steckt Bibel (hier lodert das „schwarze Feuer“ der Glaubensüberlieferung) und Logos (hier lodert das „weiße Feuer“): die inkarnierte Geistkraft, die im Text-Erleben zu uns spricht und uns zum Sprechen und Verstehen bringt. So wird Biblio-Log zur befreienden Kontrasterfahrung, die das Leiden so vieler Menschen am leblosen, nur rezitierenden und von oben herab deutenden kirchlichen Umgang mit biblischen Texten lindert, ohne die Freiheit der aktiv Beteiligten durch Gruppenzwang zu manipulieren.

Anders als beim Psychodrama schützt die klare Struktur des Bibliologs den Text davor, zum bloßen Auslösereiz (Trigger) zu verkommen und achtlos liegen zu bleiben. Bei aller Zensurfreiheit, Offenheit und Texttreue wünsche ich mir allerdings mehr Augenmerk darauf, dass eigene Anteile der Leiterin direktiv in Anleitungen und spiegelnde Kommentare einfließen.

Das Design des Bibliologs eröffnet einen überzeugenden pastoral-sozialen Realisierungsort für genuin „symbolische Erfahrung“ im Glauben und Leben: Die szenisch zum Leben erweckten Figuren verbinden jetzt den Gehalt eines Textes mit den existentiell passenden Selbst-Anteilen. Ohne diese Rückbindung an die in ihm liegende lebendige Tradition bleibt der alte Text tot. Mein Fazit: eine sehr gut lesbare, gründlich informierende und narrativ spannende Hinführung zur Bibliolog-Arbeit in der Seelsorge.

Heribert Wahl

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