Die Zehn Gebote

Die Zehn Gebote, auch Dekalog genannt, sind eine Reihe von Geboten und Verboten, die Gott den Israeliten übermittelt hat. Sie bilden die Grundlage der christlichen Ethik und regeln das Verhalten der Menschen untereinander, aber auch zu Gott.

Die Zehn Gebote
Die Zehn Gebote sind eine Reihe von Geboten und Verboten des Gottes JHWH. Sie werden auch Dekalog genannt© Pixabay

Der Gesetzeskorps der Zehn Gebote wird an zwei Stellen in der Bibel überliefert: im Buch Exodus (20,2-17) und im Buch Deuteronomion (5,6-21). Neben ihrer zentralen Bedeutung für Juden- und Christentum spielen die Zehn Gebote aber auch im Koran eine gewisse Rolle. Je nach Tradition – ob alttestamentlich oder neutestamentlich, katholisch oder lutherisch – treten die Gebote in unterschiedlicher Reihung, Zählung, Formulierung in Interpretation auf. Immer enthalten sind die Selbstvorstellung Gottes, das Fremdgötterverbot, das Namensmissbrauchsverbot, das Sabbat- und Elterngebot sowie die Einzelverbote über Mord, Ehebruch, Diebstahl, Falschzeugnis und Begehren.

Entstehungsgeschichte der Zehn Gebote

Die Bibel erzählt die Entstehungsgeschichte des Dekalogs wie folgt: „Nachdem der Herr zu Mose auf dem Berg Sinai alles gesagt hatte, übergab er ihm die beiden Tafeln der Bundesurkunde, steinerne Tafeln, auf die der Finger Gottes geschrieben hatte.“ (Ex 31,18) Die Stellung der Zehn Gebote innerhalb der fünf Bücher Mose bindet sie eng an die Befreiung Israels aus Ägypten. Der Dekalog wird zum grundlegenden Gesetz, mit dessen Hilfe diese neue Freiheit bewahrt werden kann und ein gelingendes menschliches Zusammenleben garantiert werden soll. Die Zehn Gebote erlangen besondere Bedeutung, weil sie von Gott selbst niedergeschrieben wurden.

Wissenschaftlich konnte rekonstruiert werden, dass der Dekalog in einem jahrhundertelangen Prozess gewachsen ist, indem mehrere Redaktionen nacheinander daran gearbeitet hatten. Die ersten drei ausführlichen Gebote entstanden wohl spätestens im 8. Jahrhundert v. Chr. Die sieben darauf folgenden sozialen Gebote sind älter. Sie werden zurückdatiert bis in die Nomadenzeit des Volks Israel (1500 bis 1000 v. Chr.). Ihre heutige Fassung entstand wohl erst im ersten Jahrhundert n. Chr., die Wirkung des Dekalogs entfaltete sich allerdings lange vorher. Der Dekalog bildet den Kerntext des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel. Ein Verstoß gegen sein Gesetz kam dem Lösen dieses Bundes gleich.

Dekalog im Neuen Testament

Im Neuen Testament werden die Zehn Gebote nicht benannt, jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt. Sie werden verschärft und gipfeln im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Im Sinne dieses Liebesgebots können die Vorschriften des Dekalogs gebrochen werden, ohne dass sie dadurch ungültig würden. Dieses Gebot Jesu jedoch als bloße Kurzfassung der Zehn Gebote anzusehen, greift zu kurz. Der evangelische Theologe Jörg Zink versuchte, neue Weisungen im Sinne des Neuen Testaments zu formulieren – seine Präambel lautete in diesem Sinne: „Gott liebt dich. Nimm seine Liebe an und gib sie weiter.“

Für den Apostel Paulus gehen die Zehn Gebote in der Nachfolge Christi sogar im Liebesgebot auf. Das entstehende Christentum beginnt, sich vom Judentum zu trennen: Die jüdischen Kult- und Opfergesetze, die an die ersten drei Gebote gebunden sind, verlieren ihre Bedeutsamkeit. Als gemeinsames Erbe verbinden und unterscheiden die Zehn Gebote gleichermaßen: Aus dem Bundesschluss, der als Rechtsvorschrift ein Volk in Gott zusammenhielt, wurde ein universaler Leitfaden für ein gottesfürchtiges und gerechtes Leben.

Die Zehn Gebote im Wortlaut

I
Ich bin Jahwe, dein Gott.
Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.

Im Judentum ist der erste Satz Bestandteil des ersten Gebots. Im Christentum gilt er als Präambel aller Gebote. Der Wandel zur Vorstellung eines einzigen universalen Gottes (Monotheismus) heraus aus einem Umfeld, das sehr viele verschieden Götter kannte (Polytheismus), vollzieht sich in den Texten des Alten Testaments nicht geradlinig. Der Gedanke an „den einen“ Gott war in der antiken Welt so befremdlich, dass es mehrere Jahrhunderte lang dauern sollte, bis er sich durchsetzen konnte: Erst um das 6. Jahrhundert v. Chr. wurden monotheistische Tendenzen deutlicher. Das Verbot, fremde Götter zu verehren schützte die religiöse Identität Israels in seiner polytheistischen Umwelt. Der Vorteil von JHWH, dem Lokalgott der Israeliten: Er benötigte weder Priester noch Tempel oder teure Ebenbilder. Er war so persönlich mit den Menschen verbunden, dass er sogar eifersüchtig war. Das Alte Testament begreift Gott klar als Person. Es spricht vom Glauben an einen lebendigen Gott, der in das Leben seines Volkes eingreift, sie aus der Knechtschaft befreit, Ansprüche stellt, aber stets aus Sorge und Liebe am Menschen handelt.

II
Du sollst dir kein Gottesbildnis machen.
Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen.

Mit der Erzählung vom Goldenen Kalb im Buch Exodus (Ex 32) wird Bilderverehrung im biblischen Kontext erstmals als Sünde verstanden. Es handelt sich nicht um ein Kunstverbot, sondern nach Dtn 5 um ein Kultbildverbot, das in engem Zusammenhang mit dem Fremdgötterverbot steht: Bilder haben teil an der Konkurrenz zwischen Göttern. Grundsätzlich wird die Vorstellung der Gegenwart Gottes im Bild untersagt.

Das Namensmissbrauchsverbot beruht auf dem wesenhaften Zusammenhang, in dem Name und Sache in der Antike standen. Das Verbot sichert die Freiheit Gottes, indem es dem Menschen untersagt, den Namen Gottes in frommer Heuchelei für eigene Zwecke zu missbrauchen. JHWH ist für das Volk Israel gegenwärtig – nicht als einer von vielen, nicht im Kultbild, sondern im Namen. Der Missbrauch seines Namens geschieht auch und vor allem da, wo Menschliches vergöttert wird und der Mensch sich an Stelle Gottes setzt.

III
Beachte den Sabbat und halte ihn heilig.

Das dritte Gebot sowie die ersten beiden sind formal als direkte Gottesrede überliefert. Ein Alleinstellungsmerkmal für diese Botschaft des Dekalogs: Der Wille Gottes wird dem Volk Israel ohne Moses als Mittler offenbart.

Vor allem in der Fassung des Sabbatgebots unterscheiden sich die Zehn Gebote in den Büchern Exodus und Deuteronomium. Wird es in der Exodus-Fassung damit begründet, dass Gott sein Volk Israel beim Auszug aus Ägypten befreit hat, so ist für die Fassung des Buches Deuteronomium die Ruhe Gottes nach der Schöpfung entscheidend. Für das Volk Israel ist der Sabbat neben der Beschneidung und dem Regenbogen das dritte Zeichen für den Bund, den Gott mit ihm geschlossen hat.

Sichtbar wird die Bedeutung des Dekalogs an diesem dritten Gebote. Noch heute halten Menschen weltweit, Millionenstädte und auch die Börse am wöchentlichen Ruhetag inne: freitags im Islam, samstags im Judentum, sonntags im Christentum.

IV
Ehre deinen Vater und deine Mutter.

Das erste der Sozialgebote richtete sich ursprünglich an die erwachsenen Kinder, denen damit die Verantwortung und Pflege für die gealterten Eltern übertragen wurde. Dieser Generationenvertrag bedeutete eine überlebensnotwendige Altersvorsorge, wobei die Pflichten der Kinder im Vordergrund standen. Aus dem ehemals ökonomischen ist in der Gegenwart ein hauptsächlich soziales Gebot geworden, das die Familie stärkt, ein Altern in Würde meint und eine neue Gegenseitigkeit enthält. Mehr zum vierten Gebot: hier.

V
Du sollst nicht morden.

Die objektlose Kürze des fünften Gebots verlangt eine unbedingte Ehrfurcht vor dem Leben. Das universal gültige Tötungsverbot beinhaltet alle Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt den Tod eines anderen Menschen veranlassen. Ursprünglich war das Gebot hauptsächlich auf vorsätzlichen Mord und Totschlag im Affekt bezogen sowie auf Handlungen mit möglicher Todesfolge. Es kann für die Gegenwart bedeuten, Frieden zu wahren und das Leben zu schützen.

VI
Du sollst nicht die Ehe brechen.

Im Alten Testament beruht die Ehe nicht auf Gegenseitigkeit: In einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur ist der Mann das handelnde Subjekt, Polygamie üblich und die Ehe keine Privatangelegenheit. Einstmals schützte das biblische Verbot die Familie vor illegalen Erbberechtigten, da das Überleben von Großfamilien von ihrem Grundbesitz abhing. Gemeint war ursprünglich also nicht eheliche Treue im moralischen Sinne. Aus der Institution zur gegenseitigen Versorgung und zum Großziehen der Kinder ist die Ehe in Europa erst in der Moderne zur Liebesbeziehung geworden, deren Verantwortungsverhältnisse nicht statisch sind und in der die Frau gleichberechtigte Partnerin ist.

VII
Du sollst nicht stehlen.

Sich das Eigentum des Anderen nicht widerrechtlich anzueignen bedeutet die Achtung von Mein und Dein, dem Anderen seine Lebensgrundlage nicht zu nehmen und die Kategorien von Arm und Reich nicht auszunutzen und hinzunehmen. Das siebte Gebot schützt das Eigentum – in früheren Zeiten vor allem Grundbesitz und Vieh als Lebensgrundlage - und betont damit auch die Eigenverantwortung des Einzelnen. Zugleich steckt in diesem Gebot schon die Forderung nach einem funktionierenden Sozialwesen. Kein Mensch soll gezwungen sein, seine Lebensgrundlage durch Diebstahl herstellen zu müssen. Die katholische Soziallehre hat das zu einem ihrer Grundsätze gemacht und bereitete damit den Boden für den Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland.

VIII
Du sollst nichts Falsches gegen deinen Nächsten aussagen.

IX
Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen …

X
… und du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört.

Die letzten drei Gebote schützen die Lebensgrundlage des Menschen, vor Gericht und vor dem Neid der Anderen. Die Formulierung des achten Gebots sowie die Tatsache, dass keine allgemeine Verpflichtung auf die Wahrheit enthalten ist, zeigen an, dass es auf den öffentlichen Bereich des Gerichts zielt. Dort konnte ein lügender Zeuge leicht ein Todesurteil besiegeln. Ein falsches Zeugnis von sich selbst und anderen im privaten Bereich ist schnell gegeben. Umso mehr Mut erfordert es, dieses Gebot zu halten und Ehrlichkeit walten zu lassen. Das achte Gebot hält dazu an, sein Leben ohne Lügen zu gestalten.

Bedeutung des Dekalogs

Der Dekalog im Ganzen ist geprägt von einer intensiven und unauflöslichen Verbindung von Glauben und Ethik. Die Formulierungen sind zwar allgemein und es handelt sich dabei nicht um konkrete Rechtssätze mit Konsequenzen. Dennoch wird ein Ethos verfasst, das jeden Menschen in die Pflicht nimmt – im präventiven Sinne von Verhaltensregeln, die das menschliche Zusammenleben ordnen. Gott selbst autorisiert im Alten Testament dieses Gesetz. Die biblischen Gebote können keine exekutive Macht ausüben, sie bedürfen der freiwilligen Annahme durch die Menschen. Damit bilden sie die Basis für ein Gemeinwesen, das auf dem Prinzip der Freiheit beruht. In ihrer fast dreitausendjährigen Überlieferungsgeschichte und trotz der unzähligen Male, in denen sie gebrochen wurden, haben die Zehn Gebote bis in die heutigen Gesellschaften hinein ihren Einfluss behalten. Sie bestehen noch immer, „in ihrer scheinbaren Ohnmacht, als Bollwerk der Menschlichkeit gegen ihre Zerstörer, als Anklage und Waffe der Machtlosen gegen die Tyrannen, als Instrument der Selbsterkenntnis für alle, die glauben, alles besser zu wissen und richtig zu machen“, schreibt Notker Wolf in seinem Buch „Regeln zum Leben“.

Schon bei frühen Kirchenvätern des 2. Jahrhunderts wurde die Übereinstimmung des Dekalogs mit dem natürlichen Sittengesetz thematisiert und den Zehn Geboten damit eine überzeitliche Bedeutung beigemessen. Jedoch begann erst mit Martin Luthers Katechismus, der den Dekalog in seiner über Konfessionsgrenzen wirkmächtigen Sprache formulierte, die breite Rezeption der Zehn Gebote als ein Kerntext des Christentums.

Die Zehn Gebote in der Gegenwart

Die Bedeutung der Gebote JHWHs hat die Zeit überdauert: Der Dekalog bildet Regeln jenseits aller Ideologien, gibt innere Orientierung, ist anti-diktatorisch, anti-egoistisch. Auch und gerade deswegen sind die Zehn Gebote ein Wegweiser, der alle christlichen Konfessionen und sogar die Weltreligionen verbindet. Als Grundlage für ein Gespräch mit dem Islam finden sich im Koran (Sure 6,151 und Sure 17) deutliche Parallelen zu den jüdisch-christlichen Sozialgeboten. So entsteht ein kleinster gemeinsamer Nenner für ein Leben in Achtung vor Gott, in Menschlichkeit und unbedingtem Respekt vor dem Anderen.

Was schließlich für die Gegenwart feststeht, ist die Verankerung der Zehn Gebote in den Menschenrechten. Die weltweite Verbreitung, die der Dekalog bis hierher erfahren hat, machte ihn in seiner faszinierenden Erfolgsgeschichte zu einem Maßstab für richtiges und falsches Verhalten über Jahrtausende.

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