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Lebensspuren 10/2019

Heft 10/2019Oktober

Inhalt

Die Leichtigkeit des Sommers hat uns fast verlassen. Erdenschwere breitet sich wieder aus, feuchtes Laub, leichter Modergeruch in der Luft. Hier und da zeigen sich aber noch Heiterkeitsreste, in den bunten Farben der Blätter, in der Fülle und Schwere der Früchte. Die Tage des Innehaltens pochen wieder an die Türen. Zeit zum dankbaren Rückblick. Die Schönheit und Fülle des Lebens lässt sich begreifen und riechen. Selbstverständlich, denken wir vielleicht. Wie selbstverständlich stehen wir morgens auf, atmen die Luft, nehmen die Farben und Spiegelungen der Sonne in uns auf, hören den Gesang der Vögel, essen ein frisch gebackenes Brötchen und trinken frisch gebrühten Kaffee.

Aber Hand aufs Herz: Wie oft fehlt uns die Empfänglichkeit für diese Dinge? Die Empfänglichkeit für das, was Gott geschaffen hat – die Berührung des Wassers auf der Haut, der Atem der morgendlichen Kühle. Selten rieche ich den Duft von Kaffee und genieße den Menschen neben mir, der da ist, so wie die Sonne jeden Tag. Oft fehlt mir der wache Sinn für all das. Oft stehe ich blind vor dem Wunder des täglichen Glücks, kriege die Augen nicht auf. Andere Dinge besetzen mich, meine Gedanken sind beim Frühstück schon wieder bei den Aufgaben, die sich vor mir auftürmen. Was muss ich heute alles erledigen? Sorgen beschweren wie Blei die Schultern. Und während der Nachrichten im Radio kocht der Unmut über die politische Lage auf. Und über was ich mich gestern alles ärgern musste ... Menschen, die mir das Leben schwer machen, gehen mir durch den Sinn. Unzufriedenheit bestimmt mich. Je länger ich überlege, desto unzufriedener werde ich.

Wie hilfreich es doch wäre, dafür empfänglicher zu werden, was mir selbstverständlich scheint: die Kühle des Morgens, der Duft des Kaffees, die Menschen, die mir mit ihrer heilsamen Nähe wohltuend nahe sind. Und hoffentlich schaffe ich es auch noch mit hellwachem Sinn, das alles zu schätzen und zu genießen.

Der deutschsprachige Lyriker Paul Celan, eher ein Dichter des Dunkels und gefangen im Trauma der Shoah, hat dies schlicht und schön in einem Gedicht sagen können, das mir in diesen Tagen wieder in die Hände fiel:

Manche Menschen wissen nicht,
wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind.
Manche Menschen wissen nicht,
wie gut es tut, sie nur zu sehen.
Manche Menschen wissen nicht,
wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.
Manche Menschen wissen nicht,
wie wohltuend ihre Nähe ist.
Manche Menschen wissen nicht,
dass sie ein Geschenk des Himmels sind.
Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen.

Christ sein hat mit dem Anfang zu tun. Von Anfang an wird mir viel zum Leben geschenkt, gute Gaben der Schöpfung, Begegnung mit Menschen, der Anfang eines Tages voller Möglichkeiten, mit Sonnenschein und frischen Brötchen und dem Duft des Kaffees.

Ja, auch Aufgaben werden an mich gestellt und ich habe Pflichten zu erfüllen. Und nichts ist vergeblich, was mit Danksagung empfangen wird. Das gilt gerade in Zeiten, die uns nicht gefallen. Das Wesentliche und Wichtige aber sind die wachen Sinne gegenüber den Gaben des Lebens. Daraus wächst Dankbarkeit gegenüber dem Leben, Dankbarkeit gegenüber Gott.

Oder wie Albert Schweitzer es formulierte: „Gott braucht unseren Dank, er lebt davon. Ohne unsern Menschendank ist er, der Ewige, Unendliche, Allmächtige, arm; denn sein Reichtum kehrt nicht zu ihm zurück.“