Mit der Veröffentlichung der vatikanischen Erklärung "Fiducia Supplicans" (FS) am 18. Dezember 2023 (vgl. HK, Februar 2024, 9-10) sowie der kürzlich erschienenen Handreichung "Segen gibt der Liebe Kraft" der Gemeinsamen Konferenz von Deutscher Bischofskonferenz (DBK) und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wurde die weltkirchliche Debatte über die pastorale Praxis der Segnung von Paaren neu entfacht (vgl. HK, Juni 2025, 42). Das vom Dikasterium für die Glaubenslehre unter dem Vorsitz von Kardinal Víctor Fernández mit ausdrücklicher Zustimmung von Papst Franziskus veröffentlichte Schreiben erlaubt erstmals die Segnung von Paaren in sogenannten „irregulären Situationen“, also beispielsweise von wiederverheirateten Geschiedenen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Diese Öffnung wurde jedoch an klare Bedingungen geknüpft: keine liturgische Form, kein ritueller Rahmen, keine Verwechslungsgefahr mit der sakramentalen Ehe.
Die kontroverse Rezeption von FS zeigt, wie herausfordernd es ist, im Spannungsfeld von kirchlicher Lehre, kultureller Vielfalt und pastoraler Wirklichkeit Orientierung zu bieten. Sie berührt neuralgische Punkte der kirchlichen Sexualmoral, ekklesiologischer Zuständigkeiten sowie kultureller Sensibilitäten. Insbesondere aus afrikanischen Ortskirchen wurde harsche Kritik laut, nicht zuletzt deshalb, weil gleichgeschlechtliche Beziehungen dort gesellschaftlich geächtet oder strafrechtlich verfolgt werden. Auf die kontroverse Rezeption reagierte der Vatikan mehrfach mit ergänzenden Erläuterungen, die die nicht-liturgische, spontane und dezente Form der Segnung unterstreichen (FS 35, 41).
Zwischen Lehramt und Lebenswirklichkeit
FS steht nicht isoliert da, sondern fügt sich ein in die theologisch-pastorale Linie von Papst Franziskus. Schon in "Evangelii Gaudium (EG)" forderte der Papst eine pastorale Neuausrichtung und kirchliche Erneuerung, wobei die konkrete Lebenswirklichkeit der Menschen Ausgangspunkt und Zielpunkt der Verkündigung ist (EG 27). Das Reich Gottes, das sich in Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verwirklicht, soll im Alltag der Menschen erfahrbar werden – auch und gerade dort, wo kirchliche Lehre nicht einfach angewendet werden kann, sondern Übersetzungsarbeit nötig ist (EG 176).
Der Theologe Jochen Sautermeister spricht in diesem Zusammenhang von einer „pastoralen Hermeneutik“, die nicht durch rigide moralische Normen, sondern durch die Bereitschaft zur Weggemeinschaft mit den Menschen geprägt ist. Segnen heißt, sich an Gottes Wirken in der konkreten Situation zu beteiligen. Dies gilt auch dann, wenn diese unter gewissen Gesichtspunkten nicht als vollkommen gelten sollte. Hier liegt der theologische Dreh- und Angelpunkt: Der Segen zielt nicht auf die Legitimation einer wie auch immer gearteten Beziehung ab, sondern auf eine positive Transformation der Beziehung und Beteiligten.
Unter diesen Voraussetzungen hat sich das Bistum Mainz bereits vor FS die Frage gestellt, wie die Kirche und vor allem ihre (hauptberuflichen und ehrenamtlichen) Mitarbeitenden theologisch verantwortet und pastoral glaubwürdig mit Paaren umgeht, die um einen Segen bitten und zu dieser Weggemeinschaft bereit sind.
Pastorale Wirklichkeit im Bistum Mainz
Das Bistum Mainz hat auf diese pastoralen Optionen und Fragen nach einer konkreten Praxis mit einem breiten Beteiligungsprozess reagiert. Unter der Federführung der Beauftragten für Queersensible Pastoral sowie des Fachbereichs Partnerschaft/Ehe/Familie wurde im Sommer 2024 im Bistum Mainz eine Umfrage unter hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern durchgeführt. Ziel war es, ein aktuelles Stimmungsbild einzufangen, den pastoralen Bedarf von Segnungsfeiern zu erheben und in einem weiteren Schritt Antworten auf die Frage zu finden, wie der Segen für Paare so gestaltet werden kann, dass er theologisch verantwortet und zugleich pastoral tragfähig ist.
Der Umfrage ging ein Austauschtreffen mit elf Seelsorgenden voraus. Es zeigte sich schnell, dass weniger die theologische Reflexion im Vordergrund stand als der Wunsch nach praktikablen und liturgisch verantwortbaren Handlungshilfen. Die meisten Teilnehmenden hatten sich im Vorfeld noch nicht intensiv mit den Ausführungen in FS befasst. Dies verweist auf einen pastoralen Realismus: Seelsorgende stehen oft unter Zeitdruck und benötigen praxisnahe Orientierung.
Um ein breiteres Bild zu erhalten, wurde eine anonyme Umfrage unter 515 hauptamtlich pastoralen Mitarbeitenden durchgeführt (240 Priester und Diakone, 275 Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten). Insgesamt 109 Personen antworteten – davon 40 Priester, 15 Diakone und 54 Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten. Die Ergebnisse geben interessante Einblicke.
51 Personen haben bereits Paarsegnungen durchgeführt – vor allem bei wiederverheirateten Geschiedenen (42), aber auch bei queeren Paaren (22). Viele berichten von einer tiefen spirituellen Motivation der Paare: 41 Befragte betonen, dass die Bitte um den Segen aus einem authentischen Glaubensverständnis heraus geschehe. Die Hauptsorge stellt die Verwechslungsgefahr mit dem Sakrament der Ehe dar. 27 Personen äußern Bedenken hinsichtlich Inszenierung, Erwartungshaltung und einem als problematisch empfundenen „Event-Charakter“. Vier Priester und vier Diakone lehnen Paarsegnungen grundsätzlich ab – mit Verweis auf das kirchliche Eheverständnis, das biblische Menschenbild oder die Angst vor Spaltung. Aussagen wie „Man kann die Sünde nicht segnen“ oder „Das widerspricht der Schöpfungsordnung“ zeigen, dass das Grundanliegen von FS, nämlich zwischenmenschliches Vertrauen pastoral aufzugreifen, hier nicht geteilt wird.
Was in diesen kritischen Rückmeldungen zudem weitgehend fehlt, ist die Perspektive der Menschen, die um einen Segen bitten. FS und die Handreichung der Gemeinsamen Konferenz von DBK und ZdK "Segen gibt der Liebe Kraft" versuchen genau diese Lücke zu schließen: Sie stellen die Zuwendung Gottes und die Hoffnung der Menschen ins Zentrum und nicht die moralische Bewertung ihrer Lebenssituation.
Seelsorge im Spannungsfeld
Aus der Umfrage wird deutlich: Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen unter hohem Druck. Sie wollen den Menschen gerecht werden, gleichzeitig aber auch theologisch und kirchenrechtlich verantwortlich handeln. Viele wünschen sich eine klare Orientierung durch das Bistum, Fortbildungsangebote zur Theologie des Segens, zur queersensiblen Pastoral und zur Sexualmoral, liturgische Hilfen, die nicht inoffiziell, sondern kirchlich getragen sind, sowie eine wertschätzende Haltung gegenüber Vielfalt.
Die im April 2025 erschienene Handreichung "Segen gibt der Liebe Kraft", die inzwischen auch von mehreren deutschen Bischöfen als Orientierungshilfe für die Praxis empfohlen wurde, stellt einen wichtigen Meilenstein dar. Sie bietet theologische Impulse, liturgische Anregungen und pastorale Reflexionshilfen. Entscheidend ist jedoch, dass sie nicht nur als Werkzeug verstanden wird, sondern als Ausdruck einer theologischen Grundhaltung: Beziehungen, in denen Liebe, Treue und Verantwortung gelebt werden, sind Beziehungen – auch wenn sie nicht im Rahmen der sakramentalen Ehe gelebt werden.
Eine Praxis der Anerkennung und Wertschätzung
Papst Franziskus hat mehrfach betont, dass es nicht genügt, auf Prinzipien zu beharren. „Die Wirklichkeit steht über der Idee“, schreibt er in EG 231. Daraus ergibt sich eine Seelsorge, die nicht in erster Linie nach Normen fragt, sondern nach dem Menschen, nach seiner Würde, seiner Sehnsucht, seiner Beziehung zu anderen Menschen und zu Gott. Diese Perspektive prägt auch die pastorale Praxis von Paarsegnungen.
Dazu gehört, auch gegenüber queeren Lebensformen aufgeschlossen zu sein und eine Sexualmoral zu vertreten, die sich nicht von Bewertungen als Sünde leiten lässt, sondern den exegetischen, moraltheologischen, ethischen und humanwissenschaftlichen Erkenntnissen der heutigen Zeit Rechnung trägt. Es ist davon auszugehen, dass die kritischen Stimmen nicht einfach verstummen werden. Gewonnen wäre jedoch viel, wenn auch diese Stimmen Menschen, die sich aus Gewissens- oder anderen Gründen an sie wenden, nicht abweisen oder wegschicken, sondern ihnen eine Begleitung durch andere Personen und Stellen anbieten.
Der Segen ist ein Zeichen der Zuwendung Gottes. Er setzt keine moralische Perfektion voraus, sondern öffnet Raum für Wachstum, Versöhnung und göttliche Nähe. Wenn Menschen um diesen Segen bitten, tun sie dies nicht aus bloßem Ritualbedürfnis, sondern weil sie spüren: Unsere Liebe und Beziehung soll durch die Zuwendung Gottes gestärkt und gefestigt werden. Eine Kirche, die mit einer solchen Haltung antwortet, verliert weder ihre Lehre noch ihre Identität – sie lebt sie.