Debatte um Wahl der BundesverfassungsrichterSchwangerschaftsabbruch und Ökumene

Die derzeitige gesellschaftliche Debatte um die gescheiterte Wahl der Bundesverfassungsrichter verdeutlicht unter anderem, dass es auch zwischen den beiden großen Kirchen Gesprächsbedarf in Sachen Lebensschutz gibt.

Porträt Ulrich Ruh
Ulrich Ruh, Ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz© Christian Klenk

Die Kontroversen im Zusammenhang mit der gescheiterten Wahl der Potsdamer Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts haben sich vor allem an ihrer Position in Bezug auf die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen entzündet. Dieses Thema stand zwingend auf der politischen Tagesordnung, nachdem 1990 die ostdeutschen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland beigetreten waren und eine gemeinsame rechtliche Lösung gefunden werden musste. Nach einigem Hin und Her kam es zur geltenden Regelung, einem grundsätzlichen Verbot der Abtreibung auch in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft, bei einem Verzicht auf Strafverfolgung und einer vorgeschriebenen Pflichtberatung (vgl. HK, April 2025, 31–34).

Auf katholischer Seite folgten heftige innerkirchliche Auseinandersetzungen um die Mitwirkung kirchlicher Beratungsstellen in diesem System; es entstand als Reaktion auf den amtskirchlichen Rückzug das „freie“ katholische Netzwerk von „Donum Vitae“. Die offizielle katholische Kirche in Deutschland hat trotz weiterhin geäußerter Kritik ihren Frieden mit der derzeitigen Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch gemacht, die gleichzeitig unter politischem und gesellschaftlichem Druck zugunsten einer „liberaleren“ Regelung steht. Jetzt zeigt der „Fall Brosius- Gersdorf“ in aller Deutlichkeit, wie sehr heute in Sachen Schwangerschaftsabbruch juristisch wie gesellschaftlich Diskussionsbedarf vorhanden ist.

In dieser Situation sind nicht zuletzt die Kirchen herausgefordert, und zwar möglichst im Schulterschluss der beiden großen kirchlichen Gemeinschaften in Deutschland, der evangelischen und der katholischen Kirche. Dass sich an der Stelle der klassischen dogmatischen Kontroversthemen wie Rechtfertigung, Eucharistie und Amt inzwischen eher ethische Fragen als trennende Faktoren zwischen den beiden Kirchen bemerkbar machen würden, wirkt oft wie eine Schutzbehauptung, die unterschiedliche innerkirchliche und –theologische Positionen und Kontroversen verdeckt. Es bräuchte gerade beim Thema Lebensschutz (in allen seinen Facetten) mehr Mut zur ökumenischen Verständigung im Interesse des gesellschaftlich- politischen Auftrags der Christen hierzulande.

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