Nach Bismarck: Das europäische Bündnissystem zerbricht

Das europäische Bündnissystem begann sich nach der Entlassung Bismarcks im Jahre 1890 sukzessive aufzulösen bzw. sich gegen das Deutsche Reich zu wenden. Ein wesentlicher Grund dafür war das zunehmend aggressive Auftreten des Deutschen Reiches gegenüber England. Dies äußerte sich in einer massiven Einmischung in britische Kolonialinteressen vor allem in Afrika und im Mittleren Osten, z. B. beim Wettlauf um Einfluss im Osmanischen Reich und bei der teils regelrecht erpresserischen Politik Berlins gegen die Engländer in Ägypten.

Nach Bismarck: Das europäische Bündnissystem zerbricht
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Kaiser Wilhelm und Admiral Tirpitz

Besonders aufsehenerregend war ein angebliches Telegramm Kaiser Wilhelms II. (tatsächlich hatte dieser den Text gar nicht verfasst) an den Präsidenten der Burenrepublik Transvaal nach der erfolgreichen Abwehr eines von britischen Politikern und Offizieren gestarteten Überrumpelungsversuches (»Jameson-Raid«). Die als »Krüger-Depesche« von 1896 bekannt gewordene Nachricht brüskierte Großbritannien und weckte bei den Buren und anderen Kolonisten Hoffnungen auf militärische Unterstützung gegen das Britische Empire. Die Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich verschlechterten sich dadurch erheblich. Verschärft wurde die Lage noch durch die Inangriffnahme eines ausgedehnten Kriegsflottenbauprogramms durch Berlin unter Admiral Tirpitz. Diese Flotte, die technisch auf dem englischen Schlachtschifftyp »Dreadnought« basieren sollte, war zwar nur sehr begrenzt für die Hochseekriegführung tauglich, wurde von Deutschland aber als globales Kriegsinstrument propagiert. Für Großbritannien waren damit im letzten Jahrzehnt vor 1914 die Toleranzgrenzen weitgehend überschritten.

Die »Entente Cordiale«

Hauptnutznießer dieser Entwicklung war Frankreich, das schon in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts revanchistische Tendenzen offenbarte und mit außenpolitischen Manövern versuchte, zu Erfolgen zu gelangen. Die Gefahr eines Zweifrontenkrieges begann langsam Gestalt anzunehmen, zumal das Deutsche Reich 1890 den Rückversicherungsvertrag mit Russland nicht verlängerte und Frankreich dadurch die Möglichkeit eröffnete, einen neuen Bündnispartner zu gewinnen. Dies geschah 1894 mit einem entsprechenden Abkommen. Gleichzeitig begann sich Italien vom Dreibund zu lösen und schloss 1902 ein Neutralitätsabkommen mit Frankreich ab. Entscheidend wurde jedoch die Annäherung zwischen Frankreich und Großbritannien, die durch eine Übereinkunft im kolonialen Bereich ermöglicht wurde. Hatte man sich 1898 noch feindlich gegenübergestanden (Faschodakrise: britische Kap-Kairo-Linie vs. Französische Ausdehnung von West- nach Ostafrika), gelangte man bereits 1899 mit dem Sudanvertrag zu einer gütlichen Einigung. Dies wiederum führte 1904 auch in Europa zu einer Einigung. Paris und London schlossen einen Vertrag zur Schaffung einer »Entente Cordiale« ab.

Die »Triple Entente«

Die »Entente Cordiale« wurde 1907 durch den Beitritt Russland zur »Triple Entente« erweitert. Die Isolation Frankreichs hatte sich damit umgekehrt und in eine Isolation Deutschlands gewandelt. Das Deutsche Reich, das sich durch spektakuläre, letztlich aber eher zweifelhafte Unternehmungen Luft zu verschaff en versuchte (z. B. Marokkokrisen 1905/06, 1911), musste sich nun auf seinen einzigen, militärisch nicht gerade starken Verbündeten auf dem europäischen Festland verlassen: Österreich-Ungarn.

Quelle: DER GROSSE PLOETZ ATLAS ZUR WELTGESCHICHTE, 2009, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht

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