Wenn von der Liturgischen Bewegung gesprochen wird,
erscheint diese auf den ersten Blick als eine recht
homogene Gruppe. Auf den zweiten Blick offenbaren
sich neben den ähnlichen Anliegen unterschiedliche Akzente, die
die einzelnen Zentren der Bewegung gesetzt haben. Eben diesen
zweiten Blick wollte man beim Vierten Liturgiewissenschaftlichen
Symposion Klosterneuburg auf Pius Parsch (1884–1954) als prominenten
Vertreter dieser Bewegung werfen. Dazu versammelte das
Pius-Parsch-Institut Klosterneuburg – coronabedingt digital – vom
22. bis 24. Februar Wissenschaftler/innen aus dem deutschsprachigen
Raum, um der Frage nachzugehen, worin das liturgietheologische
Proprium von Parsch zu erkennen ist.
Schon im Todesjahr von Parsch hatte der Beuroner Erzabt
Damasus Zähringer seinem Denken eine „nicht weiter ableitbare
Ursprünglichkeit“ attestiert, die es anderswo in der Liturgischen
Bewegung so nicht gibt. Ein halbes Jahrhundert später hielt der damalige
Kardinal Joseph Ratzinger fest, dass die Werke von Parsch
„entscheidend das liturgische Bewusstsein der Weltkirche geformt“
haben. So wurde bei der Tagung der Versuch unternommen, zentrale
Themen der in 17 Sprachen erschienenen Werke Parschs und seines
Wirkens auf ihre Eigenständigkeit sowie auf ihre Verbindung zu
anderen Theologen und Einflüssen seiner Zeit hin zu untersuchen.
Gottes Wort und Gottesdienst
Zu den Spezifika von Parsch zählte immer schon die enge Verbindung
von Bibel und Liturgie, von Gottes Wort und Gottesdienst.
Marco Benini, der neue Inhaber des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft
in Trier, zeigte in seinem Festvortrag auf, dass Parsch eine
eigene Wort-Gottes-Theologie entfaltet hat. Die Bibel verstand er sakramental;
sie diene nicht nur der Belehrung, sondern wirke auch
am Menschen. Eine für die damalige Zeit revolutionäre Einsicht.
Lange vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich Parsch dafür
eingesetzt, die Verkündigung der Heiligen Schrift im Gottesdienst
aufzuwerten. Mittlerweile finde sich die Einsicht, dass Gott nicht
nur in den biblischen Lesungen zum Menschen spricht, sondern
Christus auch in der Homilie gegenwärtig ist, in mehreren aktuellen
kirchenamtlichen Schreiben, wie im Apostolischen Schreiben Evangelii
gaudium von Papst Franziskus. Und eine der Forderungen von
Parsch, dass Predigten anspruchs- und qualitätsvoll sein müssen,
hat bis heute nicht an Bedeutung verloren.
Auch wie der Klosterneuburger Chorherr die Messe und ihr Opfer
generell verstand, weise dem Verständnis der beiden Liturgiewissenschaftler
Peter Ebenbauer (Graz) und Winfried Haunerland (München)
entsprechend eine besondere Originalität auf. Ebenbauer erkannte
bei Parsch eine Wendung hin zum Performativen, wie sie sich
erst Jahrzehnte später durchsetzen sollte: „Liturgische Theologie geht
bei Parsch von der rituellen Erfahrung des Gottesdienstes aus.“ Diese
von der konkreten Feier ausgehende Theologie bildete ein zentrales
Charakteristikum, das Parsch in die Liturgische Bewegung einbrachte.
Neue Wege beschritt Parsch auch in theologischen Bereichen,
die indirekt auf die Liturgie wirkten. So setzte er neue Akzente in
der Gnadentheologie oder entwickelte ein Kirchenbild, bei dem laut
dem Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Reinhard Meßner die
Eucharistie den „Kristallisationspunkt“ der Gemeinschaft bildete.
Inspiration holte sich Parsch aus der Erfahrung der ostkirchlichen
Liturgien, die er als Seelsorger im Ersten Weltkrieg erleben konnte.
Dieser Einfluss hat ihn in seinem gesamten späteren Wirken nachhaltig
geprägt. Es ließen sich aber auch zahlreiche Verbindungen
zur evangelischen Liturgischen Bewegung ausmachen.
Auf die bleibende Aktualität seines liturgietheologischen Denkens
hat der Direktor des Pius-Parsch-Instituts, Andreas Redtenbacher,
hingewiesen, auch wenn viele der Forderungen Parschs
mittlerweile verwirklicht sind. Angesichts der „beschleunigten Veränderung
der Sozialgestalt der Kirche“ sollten „Sinnpotenziale“,
wie etwa jene, die das Denken von Pius Parsch böte, neu entdeckt
werden. Dass die Nachfrage danach groß ist, zeigte nicht zuletzt
die große Teilnehmerschar beim Symposion, zu dem sich über 100
Interessierte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und darüber
hinaus angemeldet hatten. Sie bewiesen: Viele Anliegen von
Parsch sind heute aktueller denn je, und er zieht auch 70 Jahre nach
seinem Tod die Menschen noch immer in seinen Bann.