Eine „Schatzkammer“ der ganzen Schrift

Die Messfeier sieht den Antwortpsalm als wesentliches Element stets vor. Dennoch wird er oft durch ein Lied ersetzt. Doch wer sich mit den Psalmen näher beschäftigt, wird schnell ihren besonderen Reiz erfahren.

Auch in Kirchenchören finden sich oftmals Sängerinnen und Sänger, die bei entsprechender Förderung den Kantorendienst ausüben und damit den Antwortpsalm intonieren können.
Auch in Kirchenchören finden sich oftmals Sängerinnen und Sänger, die bei entsprechender Förderung den Kantorendienst ausüben und damit den Antwortpsalm intonieren können.© KNA-Bild

Der Psalter war das „Lieblingsbuch“ der frühen Christen, denn aus keinem alttestamentlichen Buch zitiert das Neue Testament so häufig wie aus den Psalmen. Jesus selbst hat bekanntlich diese vielschichtigen Texte Israels gekannt, sie ausgelegt (vgl. Lk 24,44) und mit ihnen gebetet (vgl. Mt 27,46; Lk 23,46). In den Psalmen bringen Menschen ihre eigene Situation vor Gott. Die Bandbreite der Psalmen spiegelt die Vielfalt des menschlichen Alltags wider: Freude und Leiden, Gesundheit und Krankheit, Lob und Bitte, Klage und Dank, Schuld und Reue, Gottesnähe und Gottesferne. Die Psalmen sind dichterischer Ausdruck des menschlichen Lebens im Angesicht Gottes – sie sind „Theo-Poesie“ (Erich Zenger). Zugleich sind sie als Teil der Bibel Wort Gottes an den Menschen, sodass sich in ihnen ein gott-menschlicher Dialog entfaltet, der zum Wesen der Liturgie gehört.

In der Messfeier sind einzelne Psalmverse u. a. als Introitus- und Kommunionantiphon vorgesehen, insbesondere aber gehört der Antwortpsalm als „wesentlicher Bestandteil“ zum Wortgottesdienst dazu (Grundordnung des Römischen Messbuchs [GORM] 61). Bevor ein Blick in die Praxis geworfen wird, sollen seine Funktionen näher bedacht werden: Wozu dient der Antwortpsalm? Dies soll an Beispielen der kommenden Sonn- und Feiertage veranschaulicht werden.

Vier Funktionen des Antwortpsalms

  • Der Antwortpsalm dient erstens der Meditation der zuvor gehörten Lesung. Auch GORM 61 führt aus, dass „er die Betrachtung [meditatio] des Wortes Gottes fördert.“ Dies kann man etwa am 2. Sonntag im Jahreskreis B deutlich sehen: Die Berufungserzählung des jungen Samuel im Tempel (1 Sam 3,3b-10.19), die auf das Wort Samuels „Rede, denn dein Diener hört“ hinausläuft, wird von Ps 40 aufgegriffen, wenn es dort heißt: „An Schlacht- und Speiseopfern hast du kein Gefallen (…). Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt; darum sage ich: Ja, ich komme.“ Zugleich wird das Hören zum Handeln fortgeführt: „Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude, deine Weisung trag’ ich im Herzen.“ So hilft der Antwortpsalm, das Gehörte nachklingen zu lassen und zu verstehen, weil er häufi g Aspekte der Lesung (manchmal wörtlich) wieder aufnimmt. Bereits aus der alltäglichen Kommunikation weiß man, dass ein Wort, besonders wenn es ermutigend, tröstend, mahnend etc. wirken soll, eine Zeit der Annahme und des Bedenkens braucht.
  • Zweitens kann man oftmals feststellen, dass der Psalm eine Antwort oder eine Reaktion auf die Lesung darstellt. Anders als die deutsche Übersetzung „Antwortpsalm“ (lat. psalmus responsorius) nahelegt, leitet sich die Bezeichnung allerdings nicht in erster Linie von dieser Funktion ab, sondern vom responsorischen Vortrag des Kehrverses. Die nachvatikanische Liturgiereform, die übrigens die Abstimmung zwischen Lesung und Psalm auch jenseits der Feste erst eingeführt hat, ließ sich bei der Auswahl der Psalmen nachweislich vom Gedanken der Antwort leiten. So wird etwa am 3. Sonntag im Jahreskreis B in der Lesung der Bußruf des Jona und die Umkehr des Volkes von Ninive verkündet, die dazu führte, dass Gott das angedrohte Unheil nicht ausführte (Jona 3, 1-5.10). Der Antwortpsalm legt den Hörern der Lesung nahe, sich selbst als Adressaten der Botschaft des Jona zu verstehen und zu Gott zu rufen: „Zeige mir, Herr, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“ (Kehrvers). Zugleich wird die Heilserfahrung der Bewohner von Ninive zum Grund, dasselbe für sich zu erbitten: „Denk an dein Erbarmen, Herr, und an die Taten deiner Huld; denn sie bestehen seit Ewigkeit. Denk nicht an meine Jugendsünden und meine Frevel! In deiner Huld denk an mich, Herr, denn du bist gütig.“ Wie auch am vorausgehenden Sonntag unterstreicht der Antwortpsalm, wie die Schriftlesung zu verstehen ist: Hier wird nicht in erster Linie eine alte Erzählung vorgetragen, um Bibelkunde zu betreiben. In der Liturgie ergeht tatsächlich ein „Wort des lebendigen Gottes“, der in den Lesungen heute zu seinem Volk spricht und zu Annahme und Antwort ruft.
  • Drittens kann man den Antwortpsalm als Lesung mit besonderem Charakter verstehen. Denn er trägt zusätzliche Aspekte zur Verkündigung bei und ist selbst Wort Gottes, wie die Aufnahme der Psalmen in den Bibelkanon deutlich macht. Am 4. Sonntag im Jahreskreis B wird der Verkündigungscharakter besonders daran ersichtlich, dass Ps 95 auch eine direkte Rede Gottes enthält: „Verhärtet euer Herz nicht wie in Meriba. (…) Dort haben eure Väter mich versucht“. Bereits Augustinus († 430) hat den Psalm als Lesung verstanden, wenn er in einer Predigt beiläufig erwähnt: „Wir haben den Apostel gehört, wir haben den Psalm gehört, wir haben das Evangelium gehört. Alle göttlichen Lesungen stimmen darin überein, dass wir unsere Hoffnung nicht auf uns, sondern auf den Herrn setzen sollen“ (Sermo 165). Zahlreiche Kirchenväter haben über die Psalmen gepredigt. Dass der Antwortpsalm am Ambo vorgetragen (vgl. GORM 309) und der Gemeinde gleichsam „zugesungen“ werden soll, weist ihn als Schriftlesung und Teil des Verkündigungsgeschehens aus. Nicht umsonst steht der Antwortpsalm im Lektionar.
  • Schließlich hat der Psalm eine Scharnierfunktion zwischen Altem (1. Lesung und Psalm) und Neuem Testament (2. Lesung und Evangelium). Die Psalmen sind dafür gut geeignet, weil sie als „Schatzkammer der ganzen Schrift“ (Cassiodor; † nach 580) sowohl aus dem Alten Testament schöpfen als auch prophetisch auf das Neue hinweisen. So preist etwa Ps 107 die Heilsgeschichte Gottes mit Israel und es können etliche Psalmen auf Christus hin verstanden werden (z. B. Ps 22 als Hinweis auf seine Passion). Daher hilft der Antwortpsalm, die Beziehungen zwischen (erster) Lesung und Evangelium zu erkennen. Dies wird etwa am 7. Sonntag im Jahreskreis B oder an Epiphanie sichtbar: Dass die „Sterndeuter aus dem Osten“ (Mt 2,1) zu Königen aufstiegen, liegt an Ps 72, der von den Königen von Saba und Seba mit ihren Gaben spricht und verständlicherweise am 6. Januar den Antwortpsalm bildet. Er ergänzt die Lesung aus Jes 60,1-6, die dafür verantwortlich ist, dass diese Könige in unseren Krippen mit Kamelen und Dromedaren dargestellt werden.

Die vier Funktionen fließen oft ineinander über und sind je nach Antwortpsalm mehr oder weniger deutlich ausgeprägt. Eine wichtige Rolle spielt der Kehrvers, da er sich durch die Wiederholung einprägt und oftmals eine zentrale Aussage des Psalms (und der Lesung[en]) hervorhebt. Die Funktionen und Beispiele illustrieren die „große liturgische und pastorale Bedeutung“ (GORM 61) des Antwortpsalms.

Hilfen für die Praxis

In der Praxis wird der Antwortpsalm hingegen oftmals durch ein Lied ersetzt, das meist kaum oder keinen Bezug zu den Lesungen aufweist. Schon die immer noch geläufige Bezeichnung „Zwischengesang“, der aus der vorkonziliaren Bet-Sing-Messe stammt und in der GORM nicht mehr vorkommt, lässt erkennen, dass dieses Lied hauptsächlich die Zeit zwischen den Lesungen überbrückt. Eine allein im Deutschen Messbuch stehende Rubrik sieht einen solchen Ersatz nur „im Notfall“ (S. 335) vor, doch ist der Notfall oft zum Normalfall geworden. In anderen Ländern wird der Antwortpsalm selbstverständlich immer vorgetragen.

Will man diesen „Notfall“ lösen, sind zwei Dinge nötig: Zunächst braucht es Menschen, die den Dienst der Kantorin bzw. des Kantors übernehmen. Hier liegt wohl noch viel ungenutztes Potential verborgen – etwa in den Mitgliedern von Kirchenchören, die aufgrund ihrer musikalischen Begabung für diese wertvolle Aufgabe (bei entsprechendem Einsatz der Verantwortlichen) gewonnen werden könnten.

Die Motivation Ehrenamtlicher gelingt leichter, wenn man ihnen Hilfen für die Praxis an die Hand geben kann. Für den Antwortpsalm liegen mehrere Publikationen vor. Exemplarisch seien das „Münchener Kantorale“, das einen hohen kirchenmusikalischen Anspruch aufweist, oder das „Schott- Kantorale“ genannt. Auf breite Verwendung sind die „Hilfen für die Messfeier – Liedvorschläge, Antwortpsalmen, Rufe vor dem Evangelium“ angelegt (siehe unten rechts). Die seit Jahrzehnten bewährte Publikation für alle Sonn- und Feiertage (mit weiteren Sonntagen wie Erntedank, Kirchweih, Heiligen- Hochfesten etc.) liegt nun in einer stark überarbeiteten Neuauflage vor. Sie integriert dabei bereits die revidierte Einheitsübersetzung, die ab Advent 2018 in den Lektionaren verwendet werden soll. Auf eine gute Singbarkeit der Bibeltexte wurde geachtet (vgl. Gd 19/2017, S. 152 f.). Für den Antwortpsalm stehen jeweils zwei vertonte Modelle zur Verfügung: Das erste orientiert sich an den Kehrversen aus dem „Gotteslob“ und bietet den Psalm jeweils vierzeilig in einem der üblichen Psalmtöne. Das zweite ist noch einfacher auf einem gleichbleibenden musikalischen Grundmuster aufgebaut, auf den Kehrvers und Psalm adaptiert sind. Sollte ein „Gotteslob“-Kehrvers im Einzelfall zu schwierig sein, kann auf die zweite Variante ausgewichen werden. Besonders in der Einstiegsphase von neuen Kantorinnen und Kantoren ist dies eine entgegenkommende Erleichterung, um in diesem Dienst Erfahrungen zu sammeln und sich dann anspruchsvolleren Kehrversen und Psalmtönen zuzuwenden. Insofern versteht sich diese Publikation als Beitrag zur Förderung des Antwortpsalms – auch für Gemeinden mit nur schlichteren musikalischen Möglichkeiten.

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