„Nein heißt Nein“Sexualpädagogik

Der Caritasverband für die Diözese Mainz hat für seine Kindertageseinrichtungen ein Konzept für Sexualpädagogik entwickelt. Warum das so wichtig ist, erklärt Bereichsleiter Clemens Frenzel.

Nein heißt nein
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klasseKinder!: Sexualpädagogische Konzepte kennt man für Jugendliche in der Pubertät. Warum sind sie auch schon für Einrichtungen wie Grundschule und Kita wichtig?

Clemens Frenzel: Sexualität ist etwas sehr Grundlegendes. Sie gehört zu uns Menschen, und zwar in jedem Alter. In unseren Kindertageseinrichtungen im Bistum Mainz möchten wir, dass die Träger und Mitarbeitenden auch Konzepte zu frühkindlicher Sexualität erarbeiten und umsetzen. Es geht um den alltäglichen Umgang mit Nähe und Distanz von Kindern und Erwachsenen, um den Umgang mit kindlicher Neugierde am Körper des anderen bis hin zur Nutzung von Rückzugsmöglichkeiten für Kinder.

Sie haben für die katholischen Kindertageseinrichtungen in der Diözese Mainz Leitsätze für frühkindliche Sexualität entwickelt. Was war der Auslöser?

Wir haben immer wieder Fragen aus Einrichtungen erhalten: Wie gehen wir damit um, wenn Kinder nackt sein wollen? Wie steht die Bistumsleitung dazu? Was sollen die Mitarbeitenden tun, wenn Eltern dies nicht mögen? Wie sollen pädagogische Fachkräfte auf Doktorspiele reagieren? Und es gab auch sexuelle Übergriffe in Kindertagesstätten. Das alles war für uns Anlass, gerade im Vorfeld der Pädagogik aktiv zu werden und die Leitsätze zu entwickeln.

Was wird da unter anderem geregelt? I

m ersten Leitsatz zum Beispiel: „Ein sinnvoller Umgang mit sexueller Entwicklung braucht ein positives Verständnis und eine anerkennende Haltung. Die Sicht von Erwachsenen auf Sexualität ist eine andere als die von Kindern.“ Unsere Kitas haben im Durchschnitt 13 Mitarbeitende. Diese müssen sich verständigen, wie sie im Alltag auf bestimmte Situationen reagieren: Dürfen sich die Kinder im Sommer im Außengelände nackt ausziehen? Dürfen Kinder sich alleine mit Decken und dem Arztkoffer in die Bauecke zurückziehen? Zugleich wissen wir, dass Sexualität etwas sehr Persönliches darstellt. Gespräche darüber fallen unter Erwachsenen und auch mit Kindern oft schwer. Hier braucht es besondere Behutsamkeit.

Was ist Inhalt der Fortbildungen, die Sie zum Thema anbieten?

Da geht es um die psychosexuelle Entwicklung von Kindern, um die Weiterentwicklung der Sprechfähigkeit von Kindern und Erwachsenen oder auch um die Vorund Nachbereitung eines Elternabends zu diesem Thema. Es soll innerhalb der zwei- bis dreitägigen Fortbildung eine Verständigung auf Konzeptbausteine erfolgen, die am Ende der Veranstaltung verschriftlicht werden.

Sprechfähigkeit heißt was genau?

Dass die Dinge beim Namen genannt werden. Natürlichkeit ist wichtig, kein verschämt-verspieltes Verniedlichen. Wir sagen Penis statt Pullermann und Scheide statt Muschi. Im Alltag gehört dazu auch der respektvolle Umgang der Menschen untereinander, die sagen, was sie gern möchten und was nicht. Das ist uns wichtig.

Wie sollten Erzieher damit umgehen, wenn sie Kinder bei sogenannten Doktorspielen beobachten?

Es sind konzeptionelle Rahmenbedingungen festzulegen, wie zum Beispiel: „Jedes Mädchen/jeder Junge bestimmt selbst, mit wem es/er spielen möchte“ oder „Niemand steckt einem anderen Kind etwas in den Mund, in die Nase oder in das Ohr, auch nicht in den Po, in die Scheide, in den Penis“. Oder auch: „Kein Kind tut dem anderen weh“ und „Ein Nein ist ein Nein!“. Wenn die Kinder wissen, dass sie hier gestärkt und geschützt sind und Fehlverhalten angesprochen und korrigiert wird, können Fachkräfte auch sicherer im Umgang mit Doktorspielen sein. Sie haben gut im Blick, dass die Doktorspiele nicht über ein kindlich-neugieriges Erkunden hinausgehen und die Grenzen eines anderen Kindes nicht überschreiten. Das Thema ist sehr komplex – und gerade deshalb wollen wir Mitarbeitenden und Eltern mit unseren Leitlinien Sicherheit vermitteln.

Wie gehen die Mitarbeiter mit dem Thema um?

Die einen begrüßen, dass wir die Möglichkeit zur Weiterbildung anbieten. Bereits 88 Kindertageseinrichtungen haben eine solche Fortbildung besucht. Ihnen geben diese Seminare Orientierung und Sicherheit. Andere halten das Thema für nichts Neues, damit gingen sie schon immer um. Wir bieten jetzt Team-Fortbildungen für alle 208 Kindertageseinrichtungen an, haben dazu ein Curriculum verfasst und 25 Dozenten geschult.

Wie greifen Sie Vorbehalte von Eltern auf?

Das ist ein wichtiges Thema bei den Fortbildungen. Ein Elternabend mit fachkundiger Begleitung ist Teil unserer Initiative. Hier braucht es eine besondere Feinfühligkeit, weil in den Kindertageseinrichtungen die Fachkräfte auf so viele unterschiedliche Menschen mit ihren Erfahrungen und Einstellungen treffen. Es ist allen Verantwortlichen ein großes Anliegen, dass wir im Sinne der Erziehungspartnerschaft allen kultursensibel und respektvoll begegnen. Das erfordert viel Sensibilität und eine gute Ansprache.

Das Gespräch führte Claudia Füßler.

Hintergrund

Sexualpädagogik im Kita- und Grundschulalter hat nichts mit Aufklärung über Sexualpraktiken zu tun. Vielmehr geht es darum, Menschen schon von Kindesbeinen an auf ihrem Weg zu sexueller Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit zu unterstützen. Dazu gehören neben dem Wissen über die unterschiedlichen Geschlechter auch das Einfühlen in die Bedürfnisse anderer, die Reflexion geschlechtsbezogener Erfahrungen sowie die Fähigkeit, altersgemäß über Sexualität sprechen zu können. Sexualpädagogen geht es erklärtermaßen nicht darum, Normen für die Gestaltung von Sexualität vorzugeben.

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