Lernen unter BäumenEine saarländische Schule

Eine saarländische Schule schickt ihre Schülerinnen und Schüler regelmäßig in den Wald.

Das Feuer knistert, Vögel zwitschern, es riecht nach Rauch, Erde und Wald. So beginnt für die Kinder der 5e aus der Gesamtschule im saarländischen Neunkirchen die Nachmittagsbetreuung. Schnell holen die Mädchen und Jungen ihre Waldhocker aus dem Baucontainer und versammeln sich um das Lagerfeuer. „Bitte Schrauben festdrehen!“, schallt Bodo Marschalls Stimme durch den Wald. Der pensionierte Förster, Wald- und Umweltpädagoge hat gerade Holz fürs Feuer gehackt. Jetzt kontrolliert er, ob alle stabil auf ihren Waldhockern sitzen. Als Nächstes steht die Begrüßung auf dem Programm. Vier Lehrkräfte und Experten bieten den Kindern an, was sie heute im Wald alles lernen können (siehe Kasten).

„Im Wald findet genau das statt, was ansonsten in der Schule passiert. Es gibt Unterricht in allen Fächern und in den AGs mit freier Mitarbeit“, sagt Schulleiter Clemens Wilhelm. Damit wagt die Gesamtschule mit immerhin fast 900 Schülern ein Experiment. Dem Projekt „Wald trifft Schule“ liegt eine fundierte pädagogisch-didaktische und auch ökologische Planung zugrunde.

Dafür hat die Schule eigens ein Haus im Wald errichtet, gerade so groß wie ein geräumiges Klassenzimmer. Die Kinder waren von Anfang an dabei: beim Fundamentgraben, beim Fällen und Sägen der Bäume, sogar beim Gerüststellen und beim Verkleiden der Wände. Schon hier ging es los mit dem Unterricht in Mathe und Naturwissenschaften. Lernerfahrungen während des Waldhausbaus? „Unzählige!“, nickt Bodo Marschall, der Projekterfinder. „Den Weg vom Baum zum Haus zu begleiten, auf Hängern mitzufahren, den Waldarbeitern beim Schälen und Sägen der Stämme zu Brettern aktiv zu helfen, das war für die Kinder unglaublich spannend. Die Kinder wollen ja gern arbeiten, die Handhabung der Werkzeuge lernen und dabei vielleicht entdecken: Unter der Rinde ist was! Da leben Tiere!“

Meist im Freien

Auch heute hantieren die Kinder ganz selbstverständlich mit Werkzeugen wie Maßband, Schäleisen und Säge. Eine Wand muss ausgebessert werden. Geübt messen die Kinder gemeinsam mit dem Förster die aus den selbst gefällten Bäumen entstandenen Bretter ab. Handschuhe, Maßbänder oder Sägen holen sich die Schülerinnen und Schüler aus dem Baucontainer. Der beherbergt neben noch mehr Werkzeug, Bänken und Tischen auch einen Generator, Getränke und einen Erste-Hilfe-Kasten. Nur an regnerischen Tagen findet der Unterricht im Waldhaus statt. Auch eine Feuerstelle mit Kamin und Abzug hat das Häuschen, je nach Bedarf stellen die Kinder sich Tische und Stühle auf. Jahrelang hat der pensionierte Förster nach einer Schule gesucht, die seine Idee vom Klassenzimmer im Wald in die Realität umsetzen wollte. Inzwischen läuft das Projekt an der Gemeinschaftsschule Haspelstraße so erfolgreich, dass auch andere Schulen Betreuerinnen, Lehrerinnen und andere Fachleute zur Hospitation vorbeischicken. „Kinder brauchen Gestaltungskompetenz, statt sich devot in ihr Schicksal zu fügen“, erklärt der Förster, der nebenbei auch BNE-Beauftragter ist. Das Kürzel steht für „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Marschall sieht den Wald nicht nur als Lernort für die Schulbildung, sondern als ganzheitliche Lernerfahrung. „Das, was ich als Förster gelernt habe, machen die Kinder intuitiv: beispielsweise erkennen, dass Bäume als Lebewesen auch Bedürfnisse haben.“

Am Ende des Nachmittags wird es Zeit für die Kinder, mit dem Bus zurück zur Schule zu fahren. „Unser Klassenzimmer im Wald ist toll!“, da sind sich alle einig.

Poesie unterm Blätterdach

Zwei Tische und zwei Bänke reichen den Kindern vom Kreativteam. Stephanie Laub, Kunstpädagogin und Integrationslehrerin in Ausbildung, sucht mit den Kindern im Wald nach einem Thema für ein Elfchen (ein Gedicht aus elf Wörtern). Bald sind die Gedichte fertig – und dokumentieren besser als hundert Fotos den Zauber des Waldes.

Mathe am Waldhaus

Lehrerin Kim Immesberger steht mit ihren Mathe-Kindern hinter dem Waldhaus. Heute sieht die Tagesordnung Maßeinheiten vor, für die man den eigenen Körper braucht: ellenlang, klafterhoch, fußbreit. Das Waldhaus wird vermessen. Selbst wenn Mohammed beide Arme ausbreitet, muss er sich ein paarmal drehen, bis er die Längsseite von sieben Metern abgemessen hat. Wie oft musste er sich drehen? Ihre Ergebnisse tragen die Kinder in Seiten ein, die sie später zu einem Buch zusammenkleben. Immesberger findet die Schule im Wald spannend. „Die Kinder“, erklärt sie, „lernen hier sogar besser und intensiver als im Klassenzimmer. An das Wetter gewöhnt man sich.“

Sexualkunde auf der Blumenwiese

Auf der Bienenwiese setzen sich die Kinder mit Hans- Werner Immesberger im Kreis auf ihre mobilen Waldhocker. Thema heute? „Sexualkunde!“, schmunzelt der Imker, der sich selbst Bienenvater nennt. Honig erwirtschaften steht bei ihm nicht an oberster Stelle, vielmehr geht es ihm ums Lernen durch Beobachten und darum, dass die Kinder ihren Blick auf die Bienen, vor allem auch auf Wildbienen, verändern. Statt als stechende Plagegeister können die Kinder die Insekten hier als eigene, ganz besondere und fürs Ökosystem Wald wichtige Lebensgemeinschaft kennenlernen.

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